Satire ist Pressefreiheit ist Demokratie
Paris, elftes Arrondissement, Anfang Januar. Helllichter Tag. Zwei Männer springen aus einem Auto, stürmen in die Redaktion der Pariser Satire-Zeitung „Charlie Hebdo“. Sie sind maskiert und schwer bewaffnet, tragen Kalaschnikows mit sich. Sofort eröffnen sie das Feuer. Als sie die Sirenen der heraneilenden Polizei hören, fliehen sie. Auf der Straße schießen sie auf Polizisten, durchlöchern die Windschutzscheibe eines Polizeiautos – ihnen gelingt die Flucht. Was sie zurücklassen: Zwölf Tote, elf Verwundete, acht davon schwer.
Szenen wie in einem Action-Film. Und warum das Ganze? Weil die Satire-Zeitung mehrfach Karikaturen veröffentlicht hatte, in denen islamische Fanatiker – darunter ISIS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi – zynisch auf’s Korn genommen worden waren. Ein Redakteur, der den Terror-Anschlag überlebt hat, sagte hinterher aus, die Angreifer hätten geschrien: „Allah ist groß! Wir haben den Propheten gerächt!“ Kalaschnikows gegen Bleistifte. Ein kaltblütiger, feiger Anschlag.
Eine Herausforderung an den Islam
Ein Anschlag nicht nur auf die Redaktion des „Charlie Hebdo“, sondern gleichsam auf die europäische Pressefreiheit als Errungenschaft der westlichen Demokratie. Einer Demokratie, die im Idealfall auf öffentlichem Diskurs basiert – zu welchem Thema auch immer. Karikaturen sind nicht mehr und nicht weniger als Beiträge zum öffentlichen Diskurs und damit zur Demokratie. Sie sind dazu da, eine Debatte zu provozieren. Als journalistisches Instrument müssen sie erlaubt sein und von allen Teilnehmern der Gesellschaft akzeptiert werden, auch von denen, die sich durch die Zeichnung möglicherweise angegriffen fühlen.
Auf den Punkt: Satire ist Ausdruck von Meinungsfreiheit. Ein Gut, das es zu schützen gilt, gerade jetzt. Dafür verantwortlich ist nicht allein die Politik, sondern auch der überwiegende Teil der Muslime, der sich von Terror wie dem in Paris distanziert. So schreibt die „Frankfurter Rundschau“, das Attentat sei vor allem eine Herausforderung an den Islam: „Charlie Hebdo hat in seiner Kritik an egal welcher Religion nie Pardon gegeben. Das soll der journalistischen Zunft, das soll dem Westen, und das soll auch und gerade allen Muslimen Verpflichtung sein: keinen Fußbreit religiösen Eiferern – denn sie sind es, die ihrem Gott Hohn spotten!“
Differenzierung zwischen Islam und Islamismus ist „unvollständig“
Nein, der Islam ist nicht gleichzusetzen mit islamistischem Terror. Es geht hier nicht darum, rechtspopulistischer Rhetorik Wasser auf die Mühlen zu träufeln; den Islam als generell gewalttätige Religion abzustempeln, wäre irrsinnig und falsch. Aber der Islam ist nun mal nicht mit chirurgischer Präzision vom radikalen Islamismus loszulösen, steht dahinter zwar nicht dieselbe Glaubensauslegung, aber doch derselbe Glaube.
Jochen Bittner schreibt in seiner Kolumne für die „ZEIT“: „Die Differenzierung zwischen Islam und Islamismus war nie falsch. Aber sie war unvollständig. Mit der Entlastung der moderaten Mehrheit aller Muslime hätte viel früher auch eine Forderung einhergehen sollen, nämlich jene, dass der Islam sich selbst darüber erforscht, welche Glaubensinhalte, welche geistigen Verkrustungen und welche Anachronismen selbst moderater Koran-Lesarten es sein könnten, die junge Leute irgendwann ‚Allah ist groß!‘ rufen lässt, während sie Journalisten niedermetzeln.“
Die Mörder von Paris waren mutmaßlich getrieben von ihrer irrwitzigen Idee des heiligen Krieges. Einer Idee, vor der sich viele Menschen fürchten – auch, weil sich dieser heilige Krieg gegen die westlichen Werte und Demokratien richtet. Es geht hier nicht um die heraufbeschworene „Islamisierung des Abendlandes“, gegen die Pegida Woche für Woche demonstriert. Sondern um ein friedliches Zusammenleben in Europa. Aber das können wir nur erreichen, wenn Kritik (an welcher Religion auch immer!), zum Beispiel in Form von Karikaturen, als Teil des öffentlichen Diskurses wahrgenommen und akzeptiert wird. Diese Freiheit müssen wir jetzt verteidigen. Zusammen.
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Bildquelle: Valentina Calà unter CC BY-SA 2.0