12 Fragen, 12 Antworten: Muss mich mein Beruf glücklich machen?

„Normalerweise stelle ich hier die Fragen“, sagt Ingo Ostgathe und lacht. Der Psychologe aus München hat sich auf den Bereich berufliches Coaching spezialisiert. Er berät Menschen, die in ihrem Berufsleben nicht mehr weitermachen wollen oder können. ZEITjUNG hat mit ihm über das Arbeiten gesprochen, darüber, warum es so häufig unglücklich macht, und was man daran verändern kann.

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Wie kamen Sie dazu, sich auf berufliches Coaching zu spezialisieren?

Ich habe erst Elektrotechnik studiert. Dort habe ich zwar positives Feedback bekommen, aber immer gemerkt, dass mich eigentlich etwas anderes begeistert. Menschen haben mich schon immer interessiert, aber ich dachte immer, dass es jedem so geht. Als ich dann gemerkt habe, dass es nicht so ist, habe ich mich für Psychologie eingeschrieben. Jetzt, wenn ich abends nach Hause komme, bin ich zufrieden mit dem, was ich den Tag über geleistet habe. Da ich es aus eigener Erfahrung kenne, weiß ich, wie es ist, wenn man an seinem Beruf zweifelt. Man beginnt zu grübeln. Dabei hilft diese Selbstreflektion wenig bis gar nicht, man sieht sich immer wieder den eigenen Film an, schaut immer wieder in die eigene Lebensbiografie zurück und findet sich da aber nicht in der Version, die man gerne hätte. Aus diesem Grund ist es für den Einzelnen alleine so schwierig, eine Lösung für berufliche Schwierigkeiten zu finden. Es gibt aber Tools, die jemandem ermöglichen, Wege aus seiner Lage zu finden. Auf diese konzentriere ich mich dann mit den Menschen, die zu mir kommen und sich Hilfe holen.

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Was ist ihrer Erfahrung nach der Grund, warum Menschen unzufrieden mit ihrem Beruf sind?

Das mag jetzt nach Psychologen-Klischee klingen, aber ein wichtiger Grund ist natürlich die Kindheit. Wir bekommen von klein auf bestimmte Rollenbilder zugeteilt, mit denen wir uns vielleicht gar nicht identifizieren können. Außerdem benötigt man Vorbilder, an denen man sich orientieren kann.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist unser Schulsystem, das eher nach konformer Leistung als nach individueller Entwicklung strebt. Kinder sollen in allen Fächern gut sein. Eigentlich würde es mehr Sinn machen, zumindest aus meiner Sicht, das Kind in seinen jeweiligen Stärken zu fördern. Man lernt also von klein auf, fremden Zielen hinterherzulaufen und nicht auf sich selbst zu hören. Das führt im Laufe des Lebens häufig zu Unzufriedenheit.

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In welchem Alter kommen die meisten Leute zu Ihnen?

Mir fallen drei Phasen auf. In der Schulzeit findet die erste Orientierung statt, diese ist noch stark von den Elternwünschen geprägt. Meistens kommt der zweite Schwung, wenn man auf die 30 zugeht. In diesem Alter haben die Meisten bereits einen festen Job, in dem sie sich auch halbwegs wohlfühlen. Dennoch fragen sich viele: War es das jetzt? Der nächste Umbruch kommt dann, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Mit 50 kommen viele Menschen an den Punkt, ihr bisheriges Leben zu hinterfragen, sowohl beruflich als auch privat.

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Woran erkennt man, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann?

Das erste Stichwort hierzu ist vermutlich Anstrengung. Jemand, der jeden Morgen aufsteht und bereits genervt und angestrengt von seinem Tag ist, ist höchstwahrscheinlich unzufrieden mit dem, was er tut. Dann gibt es zwei Punkte der Veränderung. Der eine Punkt ist ein schöner Impuls, wenn man Menschen oder Aktivitäten kennenlernt, die einen berühren, die einen begeistern. Durch diesen positiven Eindruck beginnen Menschen, ihr Leben umzukrempeln. In unserer Zeit sind es leider oft äußere negative Symptome, durch die Menschen zum Handeln gedrängt werden. Das können Rückenschmerzen sein, oder Tinnitus, alle möglichen psychosomatischen Beschwerden, die mit Stress zusammenhängen. Wenn der Mensch in dem, was er tut, nicht richtig ist oder sich nicht richtig fühlt, entsteht Stress, und der führt zu körperlicher Krankheit. Dazu kommen auch soziale Faktoren, man verliert Freunde oder Partner und wird einsam. Dieser negative Druck führt auch zur Veränderung.

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Was raten Sie solchen Menschen?

Hier spielt es eine wichtige Rolle, in welchem Stadium sich jemand befindet. Ist jemand schon im Burn-Out, dann leidet derjenige unter Schlaflosigkeit, Zynismus oder Energielosigkeit. In solchen Fällen muss man medizinisch agieren, da geht es zunächst um eine psychische Stabilisierung, um wieder Energie zu gewinnen. Bei jemandem, der die Energie noch hat, kann man konkret vorgehen. Zunächst fokussiert man sich auf eine Bestandsaufnahme: Was macht jemandem Spaß, wie sieht es mit dem sozialen Umfeld aus? Was sind Dinge, Gedanken und Aktivitäten, die demjenigen Energie geben? Darauf konzentriert man sich im Coaching, man arbeitet Wege und Methoden heraus, um das Idealbild umzusetzen.

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Also hängt Burn-Out mit Unzufriedenheit zusammen?

Unzufriedenheit im Beruf ist etwas situatives, wenn man beispielsweise mit dem Chef aneinandergerät oder mal genervt ist. Körperlich ist man trotzdem fit. Sobald der Ärger oder eventuelle Kopfschmerzen allerdings anfangen, chronisch zu werden, sobald man sich nur noch über den Job ärgert und auch zuhause nicht mehr richtig entspannen kann, dann bewegt man sich auf einen Burn-Out zu. Hier hat man auch ein Ungleichgewicht im Hormonhaushalt, die Menschen sind permanent im Alarmzustand. Burn-Out hat nichts mit viel Arbeit zu tun, auch wenn es so klingt. Es ist ein ernstzunehmender ungesunder Zustand. Es gibt Menschen, die sind voller Energie und arbeiten den ganzen Tag. Die sind danach natürlich auch mal müde oder genervt, aber deren Normalzustand ist der, dass sie sich von der Arbeit erfüllt fühlen. Burn-Out bedeutet viel Zeit mit hohem Energieverlust zu verbringen.

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Kommen auch Menschen zu Ihnen, bei denen der Wandel nicht freiwillig war?

Natürlich, beispielsweise wenn jemand gekündigt wurde und dann vor der Frage steht, wie er weiter vorgehen soll. Häufig kommen auch junge Väter zu mir, die Hilfe brauchen, um ihr Berufsmodell an ihr neues Familienleben anzupassen.

Ich würde nie jemanden unterstützen, dessen Ziel leistungsgetrieben ist. Mein Hauptaspekt ist es, zu entscheiden, ob jemand nach der Veränderung seiner Spur glücklicher ist, ob er danach mehr Lebensqualität hat, als davor. Viele gehen leider den umgekehrten Weg und legen Karriere- oder Gehaltsvorstellungen vor ihr Lebensglück. Dabei ist es das Entscheidende, zu reflektieren, wie es einem gehen würde, wenn man das erreicht hat, wo man hinmöchte.

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Was sind denn Tipps, um sich mit den Veränderungen erstmal abzufinden?

Gut sind beispielsweise Visualisierungsübungen. Die Gedanken auf das zu richten, wo man hinmöchte, nicht auf die Sorgen. Man kann sich auch Vorbilder aus der Interessengruppe suchen, sich einfach möglichst viele Aspekte aus dem zukünftigen Leben ins Hier und Jetzt holen. So kann man den eventuellen Umständen besser begegnen.

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Halten Sie es für realistisch, dass jeder einen Beruf findet, der ihn mit Leidenschaft erfüllt?

Ja. Dafür muss man aber berücksichtigen, dass es immer eine unterschiedliche Auffassung von idealer Balance zwischen Arbeit und Freizeit gibt. Die Vorstellung vom idealen Beruf und von der perfekten Verteilung von Arbeit und Freizeit variiert stark. Nicht jeder, der wenig arbeitet, ist per se glücklicher.

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Diese Selbstverwirklichung ist ja heutzutage auch ein Ideal. Halten Sie es für gut, dass jeder danach strebt, sich in seinem Beruf selbst zu verwirklichen?

Ich befürworte dieses Modell. Die Idee, dass ein Beruf nur dazu da ist, um Geld zu verdienen, halte ich für veraltet. Man verbringt circa 8 Stunden am Tag mit seiner Arbeit, die sollte dann auch Spaß machen. Klar gibt es auch immer Anteile, die nicht schön sind, aber damit kann man sich dann anfreunden. Man sollte sich nicht damit begnügen, sein Leben lang zu arbeiten und zu hoffen, dass die eine Stunde Freizeit am Abend alles herausreißt.

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Gab es ein konkretes Beispiel, das Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Bei mir war mal ein 30-Jähriger Mann da. Wir haben eine Wunschanalyse gemacht und er sagte: Ich möchte ans Meer. Kurz darauf widerrief er diese Aussage und meinte, das würde nicht passen. Drei Monate später rief er mich an, er habe ein Jobangebot auf einer Nordseeinsel. Nochmal ein Jahr später haben wir gesprochen, mittlerweile lebt er auf dieser Insel und sagt selbst, er würde nicht mehr zurück wollen. Morgens die Dünen entlang zu laufen, die frische Luft, die Gelassenheit der Menschen. Das ganze Tempo und der Wirkungskreis tun ihm so gut. Wir denken alle oft viel zu inhaltlich, es müsse ein bestimmter Job sein und vergessen dabei, welche Rolle unser Lebensstil spielt. Die Art und Weise, wie wir arbeiten, ist mindestens genauso wichtig, wie das was wir konkret machen. Leider bekommt man das in der Schule selten als Kriterium für die Berufswahl mitgegeben.

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Aber ist es nicht auch manchmal so, dass Depressionen oder Burn-Out das Leben schwarz färbt? Woher weiß man, ob man durch die Lebensumstände unzufrieden ist, oder ob man einfach krank ist?

Ich glaube, dass die Lebensumstände immer auch das Resultat der jeweiligen Person sind. Die Art zu leben und mit Situationen umzugehen, zieht verschiedene Menschen und Situationen an. Vielleicht lebt man beispielsweise in einer großen Stadt, obwohl das Laute, Schnelle überhaupt nicht zu einem passt. Durch solche Dinge kann man enorm viel Energie verlieren, man ist davon überzeugt, so sei die Welt nunmal. Aber so ist sie nicht. Wenn Menschen anfangen, ihren Wünschen nachzugehen und das zu tun, was sie glücklich macht, blühen sie regelrecht auf. Dadurch bekommt man auch seine Energie zurück. Natürlich braucht man auch Energie, um etwas zu verändern. Aber genau an dieser Stelle setzen Therapeuten und Coaches an.

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Beitragsbild: Unsplash unter CC0 Lizenz