Das Impostor-Phänomen.

10 Fragen, 10 Antworten: Sind Selbstzweifel gesund?

Na, heute auch schon an der eigenen Kompetenz gezweifelt? Die meisten Menschen werden gelegentlich von Selbstzweifeln geplagt: Was kann ich eigentlich und warum ist KollegIn XYZ nur so viel besser als ich in diesem oder jenem?

Menschen, die von dem sogannten Impostor-Syndrom oder auf deutsch Hochstapler-Syndrom betroffen sind, erleben übermäßig viele Selbstzweifel und haben das Gefühl, ein Hochstapler zu sein und eines Tages dabei aufzufliegen – meist völlig zu Unrecht.

In den vergangenen Jahren äußerten sich viele Prominente dazu. Emma Watson, Michelle Obama, Sheryl Sandberg – sie alle berichteten vom Gefühl, ihren beruflichen Erfolg gar nicht verdient zu haben und ihn daher kleinreden zu müssen. Erfolg löst bei Betroffenen keine Zufriedenheit oder Triumph aus, sondern Selbstzweifel und die Furcht als vermeintlicher Hochstapler entlarvt zu werden. Durch die prominenten Beispiele bekam das Impostor-Syndrom oder -Phänomen ein größeres öffentliches Interesse. Je nach Quelle wird die Zahl der Betroffenen auf 50 bis 70 Prozent der Bevölkerung geschätzt.

ZEITjUNG hat mit Nadja Petranovskaja über Selbstzweifel und das Impostor-Syndrom gesprochen. Sie ist Diplom-Psychologin, Unternehmerin, Autorin und Speakerin und hat sich auf die Bereiche Mensch, Arbeit und Motivation spezialisiert.

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Woran kann ich denn erkennen, ob ich am Impostor-Phänomen leide?

Nadja Petranovskaja: Grundsätzlich würde ich sagen, auf keinen Fall googeln. Denn wer googelt, findet die Symptome bei sich. Ich würde eher anders herum vorgehen: Wenn man eine Phase hat, in der man plötzlich nicht mehr auf seine Kräfte vertraut, sollte ich mich damit auseinander setzen, woran das liegt. Es kann das Impostor-Syndrom sein, muss es aber nicht. Ich würde niemals vom Impostor-Syndrom ausgehen – à la Diagnose da, Schachtel zu, fertig. Das wäre zu simpel für dieses komplexe Phänomen.

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Merken andere mein Impostor-Syndrom – zum Beispiel Arbeitskollegen oder Kommilitonen?

Betroffene können es sehr gut verbergen und überspielen. Gerade in der Arbeitswelt müssen wir sehr oft Emotionen verstecken. Das ist nicht unbedingt gesund, aber wir müssen das nun mal ab und zu tun. Deshalb würde ich behaupten, Kollegen werden nicht automatisch merken, dass es einem nicht so gut geht, außer man öffnet sich.

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Das Impostor-Phänomen wird nicht als psychische Erkrankung anerkannt, sondern ist ein Wahrnehmungsphänomen. Wo finde ich Hilfe?

Wer sich Sorgen macht, wie es ihm geht, sollte immer einen Spezialisten aufsuchen, der in die Tiefe gucken kann. Denn auf Basis von ein paar Aussagen oder einer Internetrecherche kann keine Diagnose getroffen werden. Und wenn es um das eigene Wohlbefinden geht, darf nichts auf die lange Bank geschoben werden.

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Wer ist denn konkret von dem Syndrom betroffen?

Es kann theoretisch jeden, völlig aus dem heiteren Himmel überkommen und muss nicht selbstverschuldet sein. Jeden, der Selbstzweifel in sich trägt – psychologisch betrachtet, heißt das persönlichkeitsabhängig und nicht umfeldabhängig – kann es treffen. Der soziale Vergleich hat dabei eine ganz zentrale Rolle: Wir sind soziale Wesen, messen uns mit anderen und dieser Vergleich kann Selbstzweifel auslösen. Aber, und das klingt verrückt, ich würde auch sagen, dass das Impostor-Syndrom in gewisser Weise auch eine gesunde Phase im Leben ist. Es gibt uns die Möglichkeit, uns in Stille und in Ruhe mit uns selbst auseinanderzusetzen.

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Durch Instagram und Co. können wir uns einfacher und schneller vergleichen. Hat das Impostor-Syndrom deshalb zugenommen?

Ich persönlich würde nicht sagen, dass es zugenommen hat. Aber es ist einfacher geworden, darüber zu sprechen, sich gegenseitig zu finden und darüber auszutauschen. Deshalb wirkt es oft so, als sei es häufiger geworden. Bei dem Thema Social Media muss man immer dazu sagen, dass kein Impostor-Syndrom der Welt durch mehr Likes und Anerkennung von außen geheilt werden kann. Heilung muss von innen kommen. Ich muss in mir das ‚Ja‘ finden, dass ich gut genug bin.

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Was löst das Syndrom aus und welche Warnzeichen gibt es?

Von Warnzeichen würde ich nicht sprechen, denn für das Impostor-Syndrom muss es keinen Grund geben. Es kann völlig aus dem Nichts kommen. Wir wissen nicht, warum es manchmal Wochen verzögert auftritt. Es gab vielleicht ein Erlebnis, das nach Wochen erst hoch kommt. Aber selbst eine Verzögerung können wir nicht wissenschaftlich belegen, denn das, was in uns passiert, können wir nicht richtig zu Sprache bringen. Wir können das selten erklären, sondern es geht viel um das Fühlen. Und deshalb ist die sogenannte Selbstannahme so wichtig – egal, was mit mir los ist, ich nehme das erst mal an und gebe dem Gefühl etwas Raum. Wenn man denkt, man hat das Impostor-Syndrom gibt es keine Pille dagegen, sondern es braucht Raum und Zeit sich damit auseinanderzusetzen.

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Wieso haben Betroffene so oft das Gefühl, gerade bei ihrer Arbeit zu versagen?

Die Arbeit ist ein Feld, wo unsere Leistung sichtbar ist. Menschen, die Sport treiben, werden das sicher auch in diesem Bereich kennen. Und allein, dass wir bei der Arbeit regelmäßig Leistung vorweisen müssen, kann manchmal schon der Auslöser sein. Wer Selbstzweifel hat, wird keine guten Ergebnisse abliefern und dann noch mehr an sich zweifeln – eine Spirale der Selbstzweifel, bei der man das Gefühl bekommt gar nichts mehr zu können.

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Gibt es das Impostor-Syndrom auch im Privaten?

Jeder, der schon mal von einer Person verlassen wurde, weiß, dass „Aufstehen, Krone richten, weitergehen“ nicht einfach ist. Die Seele macht dann eine Achterbahnfahrt durch und überlegt sich ‚Was habe ich falsch gemacht? Bin ich gut genug? Bin ich überhaupt noch beziehungsfähig‘. Auch privat können wir an einen Punkt gelangen, an dem wir sagen: ‚Bin ich gut genug?‘ Für eine Freundschaft, Partnerschaft, Mutterschaft – für was auch immer. All das können Stellen sein, an denen wir über unsere Selbstzweifel stolpern.

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Sind Selbstzweifel nicht bis zu einem gewissen Grad sogar wünschenswert und ab wann sind sie es dann nicht mehr?

Es ist paradox, aber wenn es wirklich das Impostor-Syndrom ist, nichts anderes, dann ist das eine wichtige Station im Leben. Es ist die Station, an der wir wachsen können – ob alleine oder mit Hilfe von einem Coach oder einem Psychologen, Freund oder der Familie. Wenn wir wieder aus der Situation finden, sorgt das dafür, dass wir uns stärker und größer fühlen. Und wenn es wieder kommt, sind wir darauf vorbereitet. Man erwirbt die Kompetenz solche Situationen zu meistern.

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Also ist Selbstreflexion der Ausweg?

Genau, eine ganz starke Selbstreflexion. Keine Selbstkasteiung. Wir müssen uns in diesen Situationen wirklich ganz ehrlich selbst fragen ‚Kann ich das meistern?‘ und sobald wir da gar kein ‚Ja‘, nicht mal ein ganz weit entferntes ‚Ja‘ bemerken, dann wird Hilfe gebraucht. Immer wenn wir große Zweifel daran haben, dass wir etwas nicht hinkriegen, dann sollten wir uns Hilfe holen. Durch Selbstreflexion lernen wir, dass auch ein Impostor-Syndrom Teil unseres Ichs ist und uns hilft, das Leben zu meistern.

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Beitragsbild: Via Unsplash mit CC0 Lizenz.