„Musik ist Exorzismus.“
Von Carina Neumann
Darkside wollen düster sein. Sie wirken geheimnisvoll, schöpferisch und unnahbar. Als „Projekt“ stehen sie zusammen auf der Bühne, katapultieren uns in unentdeckte Sphären und lehren uns, dass ein paar Beats mehr sagen können als tausend Worte. Wir trafen Nicolas Jaar und Dave Harrington auf dem Sziget Festival und mussten uns danach erstmal am Kopf kratzen. Aber dazu später mehr.
Die Coolen kommen immer zuletzt, je später der Abend, desto schöner die Gäste, blablabla. Auf jeden Fall stehen wir schon eine halbe Stunde hier rum und es tut sich rein gar nichts. Eine wankende Rauschkugel kippt mir ihr Bier über die Füße und irgendwie erreicht mein Bett in Gedanken gerade schon den Status einer Südseeinsel, als mich – PENG – eine Art instrumentalischer Urknall ins A38-Zelt zurückholt.
PENG: Sie sind da – es gibt noch keine sichtbaren Beweise, aber man fühlt es einfach. An den geschlossenen Augen und dem energischen Kontakt, den die Füße zum Boden herstellen wie zwei Blitzableiter, durch die sphärische Takte ins Erdreich eindringen, nachdem sie durch jede Zelle des Körpers gewandert sind. Man hört es. Enorm laut und intensiv. Und nun sieht man es auch – auf der Bühne tun sich höllenartige farbige Nebelschwaden auf. Wie zwei Geister tauchen die Silhouetten von Nicolas Jaar und Dave Harrington darin auf. Ersterer hantiert besessen an seinem DJ-Pult, während zweiterer mit verruchten E-Gitarrenakkorden und seinem wilden Auftreten eine raue Brise Woodstock durchs Zelt bläst. Wir hören auf zu denken. Wir lassen uns tragen. Es ist nichts als pure Meditation.
Zwei Stunden vorher: Wir treffen Nicolas Jaar und Dave Harrington in ihrem Bandraum.
ZEITjUNG.de: Besten Gruß von den Crystal Fighters! Die haben wir gestern getroffen. Wir sollen euch fragen, ob ihr mal einen Track mit ihnen machen wollt?
Nicolas: Süß. Ich kenne die leider nicht. Ich muss mir mal ihre Musik anhören.
Wir erzählen den Jungs von dem Joke an der Tür der Crytsal Fighters: dass „Fighters“ durchgestrichen war und nur noch „Crystal?“ an ihrem Bandraum stand. Finden die beiden aber irgendwie nicht so lustig.
Nicolas: Ist Crystal eine große Sache hier auf dem Festival?
Wurden wir komischerweise schon öfter gefragt. Die meisten hier scheinen aber eher rotzebesoffen als anderweitig berauscht zu sein.
Nicolas: (aus dem Nichts) Wieso seid ihr hier? Ihr seid aus Budapest, oder?
Nice. Interviewst du jetzt uns?
Nicolas: Sorry. Aber ich muss das verstehen. Also ihr seid für den Spiegel da oder wie diese Zeitung heißt?
Nee.
Wir erklären Nicolas, dass wir aus Deutschland sind und für ZEITjUNG.de arbeiten. Dave Harrington lacht sich währenddessen kaputt. Wir sind uns nicht sicher, ob er jetzt uns oder Nicolas Jaars Ahnungslosigkeit auslacht – genauso wenig wie wir wissen, ob das jetzt einfach nur Unwissenheit oder pure Ignoranz ist.
Die Crystal Fighters lassen außerdem fragen, was ihr für eure besten Freunde oder kochen würdet?
Nicolas: Dave ist der Koch, ich räume nur auf. Aber ich kann euch erzählen, was er kochen würde: Er würde zum Markt gehen und ein paar Schweinefilets kaufen – er liebt Schwein. Das würde er dann mit feinen Kräutern marinieren und dazu ein paar Süßkartoffeln und einen ganz einfachen Salat machen. Dazu ein kühles Bier, das ist Dave.
Dave: Ja, gut getroffen! Nicolas würde ein elegantes Pastagericht mit Thunfisch und frischen Tomaten kochen. Dazu würde er sicher einen guten chilenischen Rotwein trinken.
Die Tür geht auf und die Managerin holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank. „Bringst du mir Zigeretten mit?“, ruft ihr Dave hinterher, doch die Tür ist schon zu. „Hey! Warte!“, rennt er aus dem Bandraum und lässt die Tür mit einem lauten Rums zufallen. Da waren’s nur noch drei.
Ihr zwei kennt euch ziemlich gut, oder? Die Beschreibung fürs Essen war auf jeden Fall detailliert.
Nicolas: Tja, wer weiß das schon?
In diesem Moment kommt Dave Harrington wieder zu Tür hereingestürmt: „Sorry. Aber ich hab unbedingt Kippen gebraucht.“
Euer neues Album „Psychic“ taugt sowohl für Tanzflächen und Festivals als auch für ruhige Abende Zuhause. Welche Kulisse würdet ihr euch für eure Musik wünschen?
Nicolas: Was? Sorry, ich war grad abgelenkt. Aber schaut euch das mal an – auf dem Stuhl hier steht „Terje“! Kennt ihr Todd Terje? Heißt „Terje“ etwa Stuhl? Ihr seid ja nicht aus Ungarn, oder? Wenn das auf Ungarisch Stuhl heißt, würde Todd Terje ja „Todd Stuhl“ heißen…
Nicolas glotzt den Stuhl an, Dave lacht sein schrilles Lachen und wir verstehen nur Terje…
Nicolas: Ihr müsst mal anfangen, meinen Humor zu verstehen.
Ja, offensichtlich. Wir waren schon gespannt, wie ihr so drauf seid, nachdem ihr so verrückte Sachen gemacht habt wie „Daftside“, euer Daftpunk Remix-Album.
Nicolas: Pass auf, der Knackpunkt dieses Interviews ist, ob Todd Terje auf Ungarisch „Todd Stuhl“ heißt!
Du hast schon eher einen schwarzen Humor, oder?
Nicolas: Mein momentaner Humor ist nicht schwarz – der ist einfach nur bescheuert.
Dito. Zurück zu unserer Frage… Wie stellt ihr euch die perfekte Szenerie für euer neues Album vor?
Nicolas: Musiker denken nicht so. Es ist schön, sich so etwas vorzustellen, aber Musiker machen so etwas eigentlich nicht. Wenn ich gerne über Musik reden würde, dann wäre ich Jornalist geworden. Wir sind Darkside, wir orientieren unsere Musik nicht an irgendwelchen Orten. Ganz nebenbei, dieses Festival hier ist eigentlich der beschissenste Ort überhaupt, um unsere Musik zu hören.
Na gut. „Ambient“ als Genre gibt es ja zumindest namentlich noch nicht sehr lange. Denkt ihr, ihr habt die Ambient-Welle, die zur Zeit aufkommt, mit beeinflusst?
Nicolas: Ich finde nicht, dass Darkside Ambient macht. Dave und ich machen alleine ziemlich viel Musik, die man in dieses Genre einordnen könnte, aber wir zusammen produzieren eigentlich kein Ambient.
Dave: Wenn wir live spielen kann man das schon manchmal Ambient nennen. Aber die Definition ist sehr verschwommen. Wenn es in Tracks keine Beats gibt, ist das für die Leute gleich Ambient. Dabei ist es ein sehr weiter Begriff, den man nicht so leicht fassen kann. Ich würde auf jeden Fall sagen, dass es Stellen in unseren Tracks gibt, die Ambient sind. Aber deshalb ist der ganze Track Ambient, geschweige denn unsere ganze Musik.
Wir verstehen Ambient eher als Musik, durch die man in eine andere, ganz eigene Welt taucht – Musik, die ein besonderes Ambiente schafft.
Nicolas: Das klingt wunderschön. Wenn man Ambient so sieht, würde ich liebend gern sagen, wir machen Ambient Musik. Wäre da nicht das Problem, dass die Leute es nicht mehr so nennen, sobald ein Beat darin vorkommt.
Dave: Und dann ist da noch der Begriff Ambient für ruhige Hintergrundmusik.
Vielleicht kann man eure Musik auch einfach besonders schwer in Worte fassen…
Nicolas: Das interessiert uns auch gar nicht. Es macht viel mehr Spaß, Musik zu machen als darüber zu reden. Musik produzieren ist das einzige das wir machen und drauf haben – und es in Frage zu stellen, ist so wie unsere ganze Existenz in Frage zu stellen.
Dave: Ja, das ist in etwa so als müsstest du dich selbst erklären, und das macht ja wohl niemandem so richtig Spaß.
Nicolas: Es gibt viele Gründe, wieso man Musik macht. Einige sind sehr traurig und düster, andere wunderschön. Aber das ist egal. Wir machen einfach Musik. Basta. Aber was wirklich interessant ist, ist die Tatsache, dass ehrliche Musik von jemandem kommt, der sich einfach durch sie ausdrückt und Emotionen rauslässt. Musik ist Exorzismus. Es ist wichtig, Emotionen rauszulassen – sonst bleibt das Monster in dir drinnen.
Dave: Ja. Wir wollen mit unserer Musik das Monster in uns befreien.
Nicolas, in einigen Videos von dir aus dem Boiler Room hantierst du mit zwei Computern und einem alten Radio rum. Wir erwarten nicht, dass wir diese Technik jemals verstehen, aber wieso das alte Radio?
Nicolas: Den einen Computer habe ich mit dem Radio verbunden, um das Geräusch einzufangen, das entsteht, wenn man einen Computer vom Radio absteckt. Dieses Knistern. Einige Djs haben das bereits in den 90ern gemacht. Ich wollte Elemente schaffen, indem ich als Aufbau die Statik des Radios einfangen und gleichzeitig einen Wechsel zwischen den Akkorden herstellen kann. Jeder hat gefragt, warum ich dieses Radio habe und keiner hat kapiert, was ich da eigentlich mache. Aber der zweite Computer war mit dem Radio verbunden und so konnte ich meine eigenen Akkorde in das Radio projizieren.
Wir wollen uns gerade an die letzte Frage machen, da kommt auch schon die Managerin herein und verkündet, dass das Buffet eröffnet ist. Leider nicht für uns. Nicolas und Dave beeilen sich. Drei Stunden später beendet Nicolas circa eine Stunde Konzert mit diesem Satz: „This is our last song. Thank you.“ Das erste und einzige, das Darkside während ihrer Show von sich gegeben haben. Und wie wir zwei Tage später erfahren: das letzte überhaupt – denn Darkside wird es so nicht mehr geben. Nicolas Jaar und Dave Harrington verschwinden genauso unbemerkt und geisterhaft, wie sie aufgetaucht sind. Das Publikum hat sicher so manches Monster freigelassen. Die Menschen verlassen die Meditationsstunde mit ausgeglichenen Mienen, wir mit tausend Fragen. Dabei ist es letztlich wohl ganz einfach: Darkside machen Musik. Und die lassen sie offenbar lieber für sich sprechen. Immerhin trifft sie den Ton. Und darauf kann man sich natürlich etwas einbilden. Muss man aber auch nicht.
Fotos: Antonia Meißner (https://www.behance.net/Niya01)