Depressionen-Alltag-Normalität

Ich wünschte, ich könnte über meine Depression reden wie über eine Grippe

„Ich habe Depressionen.“ – Wie wäre deine Reaktion darauf?

Im Gegensatz zu vielen anderen Depressiven habe ich das Glück, nur ein paar Mal im Jahr von meiner Depression so aus der Bahn geworfen zu werden, dass ich für mehrere Tage oder Wochen ausfalle. Den Rest der Zeit arbeite, studiere, lebe ich wie ein gesunder Mensch. Was mit mir los ist, wenn ich auf einmal von der Bildfläche verschwinde, wissen nur meine engsten Freunde. Niemals käme ich auf die Idee, mit meiner Erkrankung so frei umzugehen, wie es Künstler wie Nico Semsrott oder Tobi Katze tun. Zu groß ist die begründete Angst vor dem Stigma, das dir anhaftet, sobald du den Satz, der nicht genannt werden darf, aussprichst: „Ich habe Depressionen.“

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Die meisten Personen zeigen auf diesen Satz drei mögliche Reaktionen. Erstens: Sie werden unsicher, nervös, wechseln das Thema, behandeln dich, wenn sie dich das nächste Mal sehen, wie ein rohes Ei. Zweitens: Sie zeigen sich skeptisch und schmeißen mit Floskeln wie „Schlechte Laune haben wir doch alle mal“ um sich. Oder drittens: Sie denken kurz nach, wollen vielleicht mehr darüber wissen und sagen am Ende: „Sag mir, ob ich dir irgendwie helfen kann.“

Zuhören, Verständnis zeigen, Hilfe anbieten

Eh klar, dass die dritte Reaktion die einzig richtige ist. Nur: Ich erlebe sie viel zu selten. Und da kommt die Grippe-Ausrede ins Spiel. Eine laufende Nase, nervigen Husten oder Gliederschmerzen hatten wir alle schon einmal. Deshalb sympathisieren Außenstehende auch mit Grippe-Patienten. Sie wissen ja, wie scheiße sich das anfühlt, und wissen außerdem, dass eine Grippe niemanden zum chronisch Kranken macht. Eine depressive Phase erleben dagegen „nur“ rund zehn Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens.

Das allgemeine Verständnis für psychische Erkrankungen ist in den letzten Jahren trotzdem deutlich angestiegen, und das ist eine fantastische Entwicklung. Der Status quo reicht aber noch nicht aus. Irgendwann will ich über meine Depressionen so reden können, als hätte ich gerade eine miese Grippe überstanden. Ohne Angst, von nun an als Psycho zu gelten. Ohne erklären zu müssen, warum ich dann so gut gelaunt sei und überhaupt nicht aussehe, wie man sich einen Depressiven so vorstellt. Ich wünsche mir, dass Depressionen bald nicht mehr behandelt werden, als wären sie etwas Mysteriöses, Unberechenbares, etwas, das den Patienten nach und nach zu einem lebensunwilligen Zombie werden lässt. Depressionen sind eine Krankheit, die man in den Griff kriegen kann, nichts anderes.