depression-maenner

Depressionen: Von falschen Wahrheiten und Mauern im Kopf

Es ist nie zu spät für Hilfe – Und selten zu früh

Wenn es darum geht, Hilfe anzunehmen, legen sich vor allem Männer selbst Steine in den Weg: Der männliche Homo sapiens kommt in dieser Situation wesentlich später (wenn überhaupt) zu der Einsicht, dass er Hilfe braucht. Ein Wort fällt in diesem Zusammenhang besonders oft: Schwäche. Stolz ist schön und gut und ich würde von mir selbst behaupten, dass ich auch keine geringe Dosis davon abbekommen habe. Trotzdem weigere ich mich, dass dieser Stolz meinem Leben die Qualität nimmt und mehr noch:
„Unbehandelt kann die Erkrankung die Lebenserwartung um bis zu zehn Jahre reduzieren“ , erklärt Prof. Dr. Ulrich Hegerl in einem SZ-Artikel.
Seit über 30 Jahren behandelt der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Leipzig Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ich möchte nicht du denen gehören, die ein Jahrzehnt ihres Lebens opfern, nur weil sie keine Hilfe annehmen wollen. Sich von einem gebrochenen Arm zu erholen, dauert mehrere Monate. Depressionen verschlingen zum Teil Jahre unseres Lebens und davon haben wir nicht unbegrenzt viele.

Niemand hat eine Depression je gesehen

Ich bin kein besonders gläubiger Mensch und glaube mehr an das, was ich auch sehen kann. Depressionen lassen sich mit dieser Sichtweise nur schwer erfassen: Man kann sie weder sehen noch messen. Es gibt viele schlaue Bücher, wie man sie behandeln kann, aber niemand hat eine Depression je gesehen.
„Wenn Du einen Gehirntumor hast und denkst, dass ein Kopfstand jeden Morgen dagegen hilft, dann fühlst du dich vielleicht besser, aber du hast nach wie vor einen Gehirntumor. Man kann ihn nach wie vor sehen und messen. Wenn Du aber unter Depressionen leidest und denkst, ein Kopfstand jeden Morgen wirkt, dann hat es das: Depression ist eine Gefühlskrankheit und wenn du dich besser fühlst, dann bist Du per Definition nicht mehr krank“, so Solomon.

Wer keinen Kopfstand kann, könnte es alternativ mal mit einem Gespräch versuchen. Depressionen sind wie Schimmelpilze. Sie wachsen im Dunkeln, fressen sich durch die Psyche und wenn man sie bewusst wahrnimmt, ist der Schaden schon weit fortgeschritten. Solange man sie totschweigt, werden sie zu unüberwindbaren Mauern. Wir sehen jeden Tag das Leben auf der anderen Seite der Mauer und sind doch davon getrennt. Glückliche Menschen begegnen uns auf der Straße und wir fragen uns: Wie schaffen die das, so zu sein? Viele Depressive denken, mit ihren Gedanken allein zu sein und dass es absolut niemanden geben kann, der sie versteht.

Wer sagt, die Lage sei hoffnungslos?

Auch ich habe das lange Zeit gedacht, aber nach und nach gelernt, dass es Menschen gibt, die mich verstehen. Ein verlorenes Familienmitglied, eine Außenseiterrolle zu meiner Schulzeit und ein angespanntes Verhältnis zu meinem Stiefvater? Jetzt wo ich es aufgeschrieben habe, klingt es nach dem Drehbuch für einen typischen High School Film. Wir trösten uns oft mit dem Gefühl, dass jeder von uns eine einzigartige Schneeflocke ist und keine der anderen gleicht. Vielleicht ist es in diesem Fall sinnvoll zu erkennen, wie ähnlich wir uns manchmal sind. Jeder versteckt in sich dunkle Gedanken, die vielleicht verpuffen würden, würde man sie nur einmal laut aussprechen. Es mag hoffnungslose Fälle tatsächlich geben, aber wer hat das Recht zu sagen, die Lage sei hoffnungslos?

Ich bin im Nachhinein dankbar, den schweren Weg gewählt zu haben. Den Weg, auf dem ich meine Zweifel abgeschüttelt, alte Leidenschaften wiederentdeckt und zu mir selbst gefunden habe. Paradoxerweise bin ich manchmal sogar dankbar für diese Zeit: Sie hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin.