Mark Benecke

„Der Fall Collini“: Wie wird ein unauffälliger Mann zum Mörder?

Warum begeht ein unauffälliger und nach außen hin völlig normal wirkender 70-jähriger Mann einen schrecklichen Mord? Was ist sein Motiv? Genau diese Frage stellt sich der unerfahrene aber hochmotivierte Rechtsanwalt Caspar Leinen (Elyas M’Barek) im Thriller „Der Fall Collini“, der am 18. April in die deutschen Kinos kommt. Der Anwalts-Neuling gerät mehr oder weniger unfreiwillig an den Fall und stellt erst zu spät fest, dass er das Opfer aus seiner Kindheit kannte. Der bekannte Großindustrielle Hans Meyer (Manfred Zapatka) war eine Art Vaterersatz für den jungen Caspar, dessen Enkelin Johanna (Alexandra Maria Lara) seine große Jugendliebe. Nun wird Meyer in seiner Berliner Hotelsuite auf grausame Weise ermordet und Caspar muss dessen Mörder Fabrizio Collini, der als italienischer Gastarbeiter ein unauffälliges Leben in Deutschland führte, verteidigen. Gefangen in dieser emotionalen Zwickmühle versucht er alles, um hinter das Motiv des Möders Collini zu kommen. Gegen alle Widerstände taucht er immer weiter in den Fall ein und stößt auf eine Entdeckung, die einen der größten Justizskandale der deutschen Geschichte ans Licht bringt. Die Rolle des ernsten Anwalts zeigt eine neue Facette von Schauspieler Elyas M’Barek, den man sonst eher als den unterhaltsamen Lehrer aus Fack ju Göhte kennt. Aber selbst mit dem Lehrerimage im Hinterkopf schafft es M’Barek, den Zuschauer durch seine schauspielerischen Fähigkeiten mitzureißen, sodass man schnell in die Story eintaucht.

Die große Frage nach dem Mordmotiv

Fernab vom Film: Die Motiv-Frage beschäftigt auch den Kriminalbiologen und Spezialisten für forensische Entomologie Dr. Mark Benecke bei seiner Arbeit. Viele kennen den Kriminal-Experten wohl aus seinen faszinierenden Youtube-Videos über die Suche nach einem Mörder mittels seiner biologischen Spuren. Im Gespräch mit ZEITjUNG verrät er, wie und ob man anhand einer Obduktion ein Mordmotiv bestimmen kann. Und er beantwortet die Frage, wie ein unbescholtener Mann – wie Fabrizio aus dem Film „Der Fall Collini“ – zum eiskalten Mörder werden kann:

 

ZEITjUNG: Im Film wird ein scheinbar durchschnittlicher, harmloser Mann, der sich noch nie etwas zu Schulden hat kommen lassen, zum brutalen Mörder. Wie wird so ein Mensch zum Mörder?

Mark Benecke: Dafür gibt es hundert Gründe: Gier, Hass, Neid, Wut. Bei Gewaltstraftätern staut sich oft Shit aus einem unschönen Lebens-Beginn an, Dinge wie Gewalt, unzuverlässige Beziehungen, sexueller Missbrauch. Selten gibt es auch rein planende Menschen, die es einfach mal ausprobieren wollen oder „eigentlich nur das Geld“ wollten – das hat vielleicht was mit Macht oder Sex oder beidem zu tun. Ich habe aber auch schon erlebt, dass das Geld letztlich auch wieder nur der Wunsch nach Anerkennung war, die dem Menschen vorher so sehr gefehlt hat. Und dann gibt es natürlich noch psychisch Kranke oder Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung, die aus rasender Eifersucht oder komplett in eine Wahn-Welt abgedriftet handeln. Früher hätte man es eher psychoanalytisch gedeutet, nach Familienmustern und dem Einfluss der Eltern gesucht, heute misst man auch das Gehirn und schaut, welche Teile verändert sind. Ich mag vielschichtige Erklärungen, denn letztlich ist jeder Fall und jeder Mensch eine eigene Geschichte.

 

Wir können nicht in das Gehirn eines Mörders hineinsehen. Fabrizio Collini gibt im Film keine Angaben zu seinem Motiv, er spricht überhaupt nicht. Pflichtverteidiger Leinen besucht deshalb die Obduktion des Opfers, um mehr über den Tathergang zu erfahren. Kann eine Obduktion dabei behilflich sein, ein Mordmotiv zu bestimmen?

Auf jeden Fall. Ein sogenannter Overkill, etwa viele Stiche mit dem Messer, lässt beispielsweise eine Beziehungs-Tat wahrscheinlicher erscheinen. Da kochten die Gefühle besonders stark. Gewalt von hinten ist für’s Gericht interessant: Es könnte sich um Heimtücke handeln, was eine höhere Strafe bewirkt. Man kann durch eine Obduktion auch etwas ausschließen, etwa scheinbare Wunden, die aber erst nach dem Tod durch Tiere entstanden sind und somit nichts mit der Tat an sich zu tun haben.

 

Was ist der Unterschied zwischen Mord und Totschlag?

Bei Mord müssen bestimmte Merkmale vorliegen, das sind beispielsweise sexuelle Vorstellungen, die schon genannte Heimtücke, Grausamkeit oder – das ist selten, gibt es aber auch – „Mordlust“. Ist so im Gesetz festgelegt. Bei Totschlag fallen solche Merkmale weg, etwa, wenn ich mich „mörderisch“ aufrege und aus dem Affekt handle. Dabei plane ich meine Tat nicht, sondern entscheide mich ganz plötzlich für Gewalt.

 

Im Film spielen Traumata eine entscheidende Rolle. Kann man sich von psychischer und physischer Gewalt jemals ganz „erholen“?

Meiner bisherigen Erfahrung nach kann man Traumata am ehesten annehmen und ins Leben einbauen, wenn man sie wie eine Narbe versteht, die langsam verheilt, aber sichtbar bleibt und bei Wetterumschwüngen trotzdem noch weh tut. Irgendwas bleibt immer, seien es Schlafstörungen, trübe Gedanken, Reizbarkeit oder Abwesenheit. Viele Menschen verarbeiten ihre traumatischen Erlebnisse auch künstlerisch, indem sie sich förmlich die Seele aus dem Hals schreien oder Gedichte schreiben. Viele bringen sich auch um, leider. Traumata spielen bei Gewalttaten häufig eine Rolle — Gewaltstraftäter haben fast immer selbst Gewalt erlebt. Je liebevoller und sicherer behütet ein Mensch aufwächst, desto mehr sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie Gewalt ausübt. Fehlt einem Menschen Zuneigung und das Gefühl einer sicheren Bindung an andere, steigt das Risiko erheblich.

 

Der Fall Collini

 

Was fasziniert Menschen an gewalthaltigen Filmen oder Serien und True Crime?

Das frage ich mich auch oft. Erst einmal ist jeder Fall ein schönes Rätsel, bei dem es um viel geht, um einen Mord. Allein deswegen ist schon mal die nötige Aufmerksamkeit gegeben. Mit so krassen Dingen kann man sich auch gut von den eigenen Problemen ablenken: Mord und schwere Verbrechen sind oft schlimmer als das, was einem selbst passiert ist. Mir gefällt am besten die Rätsel-Sache, denn das ist menschenfreundlich und hält den Kopf frisch. Ich nutze die menschliche Rätselfreude auch bei Vorträgen, um einfach Aufmerksamkeit herzustellen und nebenbei die Regeln der naturwissenschaftlichen Kriminalistik einzustreuen: Nicht denken, alles prüfen, Blindproben verwenden und jedes Detail hinterfragen.

 

Ihr Job hat teilweise viel mit Verbrechen und Gewalt zu tun. Wie schaffen Sie es, Mord und andere Verbrechen nicht zu sehr an sich ranzulassen?

Ich lasse alles an mich ran. Der Trick ist, sich eben nicht vorzugaukeln, dass Oma und Opa keinen Sex hatten (sonst wäre ich nicht hier), dass gute Menschen nur Gutes tun oder die Bösen einfach schlecht sind. Die Welt ist, wie sie ist, mit Liebe, Freude, Mord, Neid, Dummheit, Unvernunft, Güte und allem, was dazwischen, daneben, darüber und darunter liegt.

 

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Bildquelle: Claus Puetz / Constantin Film