Idomeni Räumung

Flüchtlingschronik: Wie es zur Evakuierung von Idomeni kam

Wochenlang ließen sie sich nicht vertreiben, harrten hartnäckig aus, wehrten sich gegen die bevorstehende Evakuierung – doch nun ist der Kampf vorbei. Vorläufig zumindest. Denn in Idomeni haben die griechischen Behörden mit der Räumung des berüchtigten Flüchtlingslagers begonnen. Circa 8500 Menschen haben nun die längste Zeit unter menschenunwürdigsten Bedingungen direkt am Grenzzaun zur mazedonischen Grenze gelebt. Bislang verläuft die Zwangsevakuierung ruhig und nach Plan, demnach werden zunächst die westlichen Teile des Lagers entleert und anschließend die Bahngleise geräumt, auf denen Migranten aus Protest schliefen. Als Letztes wird das Hauptcamp evakuiert.

Das griechische Staatsfernsehen zeigte heute Morgen erste Bilder von Flüchtlingen, die mit ihren wenigen Habseligkeiten in Busse steigen, um gegen ihren Willen in umliegende Military Camps gebracht zu werden. Es ist ein Schritt, den die Regierung schon seit langem plant und nun – vor allem aufgrund verstärkter Gewalteskalationen im Camp und zunehmendem medialen Druck – tatsächlich wagt.

Der Entwurf einer Flüchtlingschronik

 

Weshalb musste es so weit kommen? Und warum weigerten sich die Flüchtlinge bislang so strikt gegen ihre Verlegung in organisierte Auffanglager rund um die Stadt Thessaloniki? Was wird mit ihnen passieren und was bedeutet das für sie?

Um all diese berechtigten Fragen ausreichend klären zu können, werden wir nun ein paar Monate zurückspulen und zur Veranschaulichung ein kleines Gedankenspiel entwerfen: Wir begleiten einen fiktiven Charakter mit dem schönen Namen Alim auf seiner Flucht nach Idomeni und während der Zeit, die er auf dem Camp verbrachte. Er ist keiner der Flüchtlinge und gleichzeitig alle.

 

1. Endlich ankommen – und vor versperrten Grenzen stehen

 

Es war Februar 2016, als Alim aus seinem Heimatland Syrien flieht, um dem endlosen Krieg und dem unausweichlichen Hunger zu entkommen. Seine Frau und die gemeinsame zweijährige Tochter muss er schweren Herzens Zuhause lassen – sie haben beschlossen, dass er sich zunächst alleine nach Deutschland aufmacht, die Lage sondiert und seine Familie so bald wie möglich nachholt.

Zunächst passiert er ohne größere Probleme die türkische Grenze, um dann auf einer wochenlangen, beschwerlichen Reise das Ägäische Meer zu überqueren. Gemeinsam mit etlichen anderen Flüchtlingen bangt er auf dem instabilen Schlauchboot um sein Leben – bis er zwar völlig erschöpft, aber gesund griechisches Land erreicht. Hier erwartet ihn jedoch die wohl größte Enttäuschung: Mit der geschlossenen, mazedonischen Grenze bleibt die Balkanroute und damit der sichere Weg nach Deutschland versperrt.

 

2. Deshalb müssen die Flüchtlinge das Camp verlassen

 

Doch Deutschland ist sein einziger Lichtblick, der einzige Ort, an dem er sich ein sorgloses Leben für sich und seine Familie vorstellen kann. Und deshalb denkt er nicht daran, sich mit seinem Schicksal abzufinden: Er harrt monatelang aus, klammert sich verbissen an das letzte Fünkchen Zuversicht, den er hat. Gemeinsam mit tausenden anderen Flüchtlingen gerät er in den Teufelskreis der Hoffnungslosigkeit, dem die Leute in Idomeni immer mehr mit aggressiv ausgelebter Gewalt zu entfliehen versuchen.

Den Höhepunkt erreichen jene Gewalteskalationen am zehnten April, als hunderte Flüchtlinge versuchen, die Grenze zu überwinden. Der Ansturm wird mit Tränengas und Gummigeschossen abgewehrt und endet mit etlichen Verletzten. Da verfestigt die griechische Regierung den Plan, dem außer Kontrolle geratenen Zustand Einhalt zu gebieten – und das Camp so bald wie möglich zu räumen. Der Volunteer Sebastian erzählte uns bereits vor einigen Wochen im Interview, dass Asylsuchende dazu getrieben wurden, „freiwillig“ in die umliegenden Military Camps ziehen: Die Polizisten erschwerten den Refugees beispielsweise das Leben, in dem sie ehrenamtliche Helfern wie Sebastian zunehmend von ihrer Arbeit abhielten.

 

3. Die Zwangsräumung zerstört jegliche Hoffnung

 

Doch all das das nützt wenig: Genau wie alle anderen ist Alim weit davon entfernt, sein dürftig aufgeschlagenes Zelt am Grenzzaun zu verlassen. Zwar sollen die Flüchtlinge in den Auffanglagern besser untergebracht sein und auch Gesundheits- und Asyleinrichtungen schneller erreichen können – doch sie sind misstrauisch, weil ehrenamtlichen Helfern der Zutritt nicht gewährt wird. Außerdem will Alim eine mögliche Grenzöffnung auf keinen Fall verpassen; ist sie doch sein einziger Weg in ein besseres Leben. Mit der Zwangsräumung ist Alim davon nun so weit entfernt wie noch nie. Denn mit diesem Schritt verdeutlicht die Regierung, dass die Schutzsuchenden sich lieber mit einer Situation anfreunden sollten, die sich so bald nicht ändern wird.

 

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Bildquelle: privat