Digitale Einsamkeit

Du läufst alleine durch die fast leeren Straßen einer fremden Stadt in der Ferne. Du kennst hier niemanden, aber genießt dieses Gefühl. Du lässt dich treiben und überraschen, was an der nächsten Ecke auf dich wartet.

Du starrst auf den kleinen grünen Punkt neben einem ganz bestimmten Namen in deinem Facebook-Chat. Du schreibst keine Nachricht, gehst aber auch nicht offline. Du weißt nur, da sitzt irgendwo jemand und sieht gerade auch deinen Namen auf irgendeinem Bildschirm flimmern.

Bist du einsam? Diese Frage ist so eigentlich nicht richtig gestellt. Sie sollte eher lauten: In welchen Momenten bist du einsam? Oder: Wann bist du zuletzt einsam gewesen? Vielleicht auch: Wie fühlt sich deine Einsamkeit an? Im Gegensatz zum Alleinsein hat die Einsamkeit aber einen schlechten Ruf. Alleinsein ist die anerkannte Version der Einsamkeit, weil wir es uns erarbeiten können. Es gehört in unserem ach-so-stressigen Leben zum guten Ton, sich mal Zeit für sich zu nehmen, das innere Gleichgewicht zu finden, damit klarzukommen, ja, es gerade zu genießen, mal alleine zu sein. Aber so geht die Rechnung mit der Einsamkeit nicht auf. Sie kommt leise und ungebeten, meistens dann, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann.

 

Die Angst vor der Einsamkeit

 

Maximilian Dorner ist Autor, Regisseur, Dramaturg und Hörspielproduzent. Er hat Bücher zu den Themen Scham, dem Umgang mit Behinderung, Trost und Heilung veröffentlicht. In seinem im Mai erscheinenden Buch widmet er sich der Veränderung der Einsamkeit: „Ich glaube nicht, dass die Einsamkeit weniger wird, sondern dass sie sich verwandelt.“ Er unterscheidet dabei die analoge von der digitalen Einsamkeit: „Die analoge Einsamkeit ist die klassische Einsamkeit. Jemanden, von dem man denkt, dass er keine sozialen Kontakte hat, bezeichnen wir als einsam.“ Wir sind aber dauernd vernetzt, jederzeit erreichbar, und wenn sich nur ein Funke Einsamkeit anbahnt, sind schneller die Worte „Was machst du?“ oder „Bist du noch wach?“ ins hell leuchtende Display getippt, als man Namaste sagen kann. Das ist die digitale Einsamkeit: Wir halten Kontakt mit allen, sind deshalb niemals allein, aber trotzdem einsam: „Die Einsamkeit zieht sich in einen selbst zurück und die Menschen werden eher mit sich selbst einsam, als mit anderen. Sie sind dann nicht in ihrer Mitwelt einsam, weil sie dort keine Kontakte haben, sondern weil sie mit sich selbst nichts mehr anfangen können“, so Dorner.

 

Die alltägliche Einsamkeit

 

Die Frage „Bist du einsam?“ würden nur wenige mit „Ja“ beantworten. Wie auch? „Für den neuen übersozialen Einzelgänger bleibt weder Zeit noch Raum, um sich einsam zu fühlen“, schrieb die ZEIT neulich in einem umstrittenen Artikel über die erfolgreiche, aber einsame junge Frau, die nicht isoliert, sondern bestens integriert sei. Jeder Posten vom besten Freund über den immer erreichbaren Kollegen bis zum Whats-App-Dauerflirt sei fest besetzt und so entstünde eine neue Einsamkeit, die mit der klassischen nicht mehr viel am Hut habe. Dabei wird Einsamkeit jedoch oft mit dem Single-Dasein verwechselt und vergessen, dass sie nicht zwangsläufig verschwindet, wenn man in festen Händen ist: „Ich bin mir sicher, dass jeder Mensch das Gefühl kennt, einsam in einer Beziehung zu sein“, sagt Max Dorner. Diese gemeinsame Einsamkeit wird sogar noch weniger zur Sprache gebracht, als das Thema selbst. Denn wer mitten im hektischen Leben steht, viele Freunde hat und jemanden, zu dem er nachts unter die Bettdecke kriecht, kann doch nicht einsam sein, oder?

 

It’s ok that it’s not ok

 

„Es gibt im Leben aber ununterbrochen Momente, in denen die Einsamkeit da sein kann. Manchmal nur in Spuren, manchmal sehr, sehr stark. Es ist wichtig, sie anzuschauen und zu akzeptieren, dass sie ein Teil vom Leben ist, dass man sich ihr stellt und sie nicht aus dem Leben verbannt. Sie wird auch beherrschbarer, wenn man das weiß“, erzählt Max Dorner. Er selbst mache das ja auch oft nicht anders, sagt er, greift bei großen Veranstaltungen, bei denen man gerade niemanden zum Reden hat, auch mal zum Handy, nur um irgendwas zu tun. Aber er sei sich jetzt dessen bewusster. Es geht nicht darum, zu lernen, sich nicht mehr einsam zu fühlen, sondern die kleinen Einsamkeiten auch mal zuzulassen und auszuhalten. Zu wissen: Ich mache das jetzt, weil ich mich einsam fühle.

 

Einsamkeit als Lebensgefühl

 

Es ist ja nicht so, dass man eine Entscheidung träfe für oder gegen die Einsamkeit. Sie schleicht sich ab und zu einfach ein. Und da ist es der Einsamkeit auch ziemlich egal, ob du gerade Single bist oder in einer Beziehung, ob du eine Familie hast, die immer für dich da ist, oder die besten Freunde der Welt. Manchmal, da ist man einsam mit seinen Gedanken, einsam in sich drin. Wir kennen die analoge Einsamkeit, wie den Mann, der alleine auf der Parkbank sitzt und niemanden zum Reden hat, so nicht mehr, meint Max Dorner. Aber fühlen wir uns ab und zu nicht genauso einsam wie er? Vielleicht sind mit diesem Wissen die krampfigen Gefühle nicht so überrumpelnd, wenn sie das nächste mal wieder auftauchen. Vielleicht trauen wir uns dann mal, der Einsamkeit ins Gesicht zu schauen und zu sagen: „Ey Alte, ist schon ok, dass du da bist, aber mach’s dir nur nicht zu bequem.“ Oder wie es Max Dorner in viel schönere Worte gefasst hat: „Einsam sein heißt, sich bereit machen für den nächsten Auftritt.“

Maximilian Dorner hat auf der TEDxMünchen Konferenz eine Rede zum Thema Einsamkeit gehalten, auf der auch die Fotos zu diesem Artikel entstanden sind. Sein Buch „Einsam, na und? Von der Entdeckung eines Lebensgefühls“ ist im Mai 2015 erschienen.

Bildquelle: Christine Schneider