Drunk Texting: Sind betrunkene Worte wirklich nüchterne Gedanken?

Nach dem einen oder anderen Getränk zu viel kann das ganz leicht einmal passieren: Eine unangenehme Nachricht an den*die Ex-Freund*in oder das Liebesgeständnis an den aktuellen Crush. Aber wieso gibt es dieses Phänomen des „Drunk Texting“ überhaupt und bedeutet das wirklich, dass Betrunkene immer die Wahrheit sagen?

Wenn man am nächsten Tag Nachrichten à la „Wobs eid iht?!“ an seine Freund*innen liest, die man stundenlang nicht gefunden hat, obwohl alle im gleichen Club waren, glaubt man vielleicht nicht daran, dass betrunkene Worte nüchterne Gedanken sind. Aber ein bisschen etwas muss wohl hinter diesem Sprichwort stecken, schließlich traut man sich nur selten im nüchternen Zustand, seine tiefsten Gefühle zu gestehen. Ob man das am nächsten Morgen bereut oder nicht, ist da noch einmal eine andere Sache.

Macht Alkohol mutig?

Ganz stimmt das zwar nicht, aber letztendlich führt es auf das Gleiche hinaus. Alkohol senkt deine Hemmschwelle, da er die Kontrollfähigkeit im präfrontalen Cortex reduziert. Dieser Bereich im Gehirn ist für Entscheidungen und soziales Verhalten zuständig. Wir denken weniger über unsere Grenzen und die Konsequenzen unserer Handlungen nach. George Koob, ein amerikanischer Forscher am National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism, behauptet zusätzlich, dass wir in diesem Zustand kein Reflexionsvermögen mehr haben. Wir sprechen aus, was uns gerade in den Kopf kommt, egal ob es ein gut gehütetes Geheimnis war oder nicht. Das bedeutet aber auch, dass alles, was gedacht wird, ausgesprochen wird, selbst wenn es ein völlig sinnloser Kommentar ist, der für niemand anderen verständlich ist. Es wird einfach nicht darüber nachgedacht, ob man es wirklich aussprechen sollte.

Wenn man jedoch schon im nüchternen Zustand plant, welche Nachricht man verschicken wird, sobald die Hemmschwelle überschritten ist, ist das natürlich etwas anderes. Hier wartet man lediglich darauf, den Alkohol als Ausrede nutzen zu können, um die Wahrheit zu sagen.

Bedeutet das also, dass Betrunkene immer die Wahrheit sagen?

Ja und nein. Zu sagen, dass man unter Alkoholeinfluss immer nur die Wahrheit erzählt, stimmt nicht. Die Wahrscheinlichkeit, eine ehrliche Meinung zu hören, ist jedoch trotzdem größer. Man muss aber bedenken, dass impulsive Antworten nicht unbedingt die Wahrheit widerspiegeln. Es ist etwas komplexer, da das, was man eigentlich über eine Situation oder eine Person denkt, nicht immer das ist, was einem als erstes in den Sinn kommt. Wenn man im betrunkenen Zustand dem*der Chef*in am liebsten eine gemeine Nachricht schreiben möchte, weil man samstags arbeiten muss, erinnert sich das nüchterne Ich vielleicht daran, dass man vor ein paar Wochen früher gehen durfte, weil man Konzerttickets hatte. Unüberlegte Äußerungen sind also nicht immer die ganze Wahrheit.

Drunk Texting

Am nächsten Morgen aufzuwachen und festzustellen, dass man seinem*seiner Ex-Partner*in erzählt hat, dass man ihn*sie immer noch liebt, obwohl man sich möglicherweise eigentlich nicht so fühlt, ist kein angenehmer Start in den Tag. Im besten Fall wird das Ganze vielleicht einfach ignoriert und man kann versuchen, es schnellstmöglich zu vergessen. Andernfalls bietet es die Möglichkeit, eine klärende Konversation zu führen, da offensichtlich noch Gesprächsbedarf besteht. Letztendlich ist es am einfachsten, sich vor Augen zu halten, dass fast jeder schon einmal etwas Unangenehmes im betrunkenen Zustand geschrieben hat und dass es daher nicht so schlimm ist, wie es am nächsten Tag vielleicht erscheint.

Und falls du mal einen Drunk Text (in diesem Falle mit einer positiven Nachricht) erhalten solltest, sieh es doch mal so: Diese Person kann kaum gerade denken, aber denkt trotzdem an dich und daran, wie sehr sie dir ihre Gefühle mitteilen will. Das ist doch dann eigentlich ganz süß.

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Bildquelle: ELEVATE via Pexels, CC0-Lizenz