grübelnder Mann in Denkerpose

Eine Welt ohne Öl – wie sähe die aus?

Öl gilt neben Kohle als wichtigster fossiler Energieträger. Und die gute Nachricht ist, dass in vielen Bereichen bereits absolut tragfähige Alternativen vorhanden sind, etwa in Form der Biokraftstoffe, die mittlerweile auch in bisher stark Öl-fokussierten Branchen, dem Antrieb in der Land- und Forstwirtschaft, immer weiter zulegen können. Unser Problem ist jedoch, und das vergessen viele, dass Öl längst nicht nur Rohstoff für Benzin und Co. ist. Aus diesem Grund möchte der folgende Artikel einmal eine Welt zeigen, in der Öl praktisch nicht mehr gefördert wird.

1. Der Zeitrahmen

9,2 Millionen Barrel wurden 2015 an einem durchschnittlichen Tag gepumpt und damit wieder ein neuer Rekord gegenüber den Vorjahren erzielt. Allerdings sorgen diese Zahlen dafür, dass die Realität ein wenig verwischt. Soll heißen, die immer weiter gesteigerten Fördermengen lassen sich nur durch erheblichen Mehraufwand gegenüber früheren Jahrzehnten aufrechterhalten.

Und weil es, eben mit genügend Aufwand, noch sehr lange möglich sein wird, gewisse Ölmengen zu fördern, geht der folgende Artikel von einem näheren Punkt aus. Dieser dürfte selbst Schätzungen der Öl-Branche zufolge in 40 bis 50 Jahren erreicht sein. Dann also, wenn Öl zwar noch gefördert werden kann aber viel zu teuer sein wird, um es, wie heute noch zu 90%, zu verbrennen.

2. An den Börsen

Eine solche Welt würde mit Sicherheit durch massive Verwerfungen an den Börsen der Welt eingeläutet werden. Denn der börsliche Handel mit dem „schwarzen Gold“ ist einer der wichtigsten Triebmotoren dieser Institutionen. Das liegt einerseits daran, dass Öl sich vortrefflich als Objekt im Handel mit Futures oder Spotgeschäften eignet. Andererseits daran, dass an den Öl-Börsen, etwa Londons ICE und NYMEX in New York, viel mehr Öl ge- und verkauft wird, als tatsächlich gefördert wird – schließlich geht es ja bei diesen Geschäften um Wetten auf die Zukunft.

Die Tatsache, dass nur noch ein Bruchteil der heutigen Ölmenge vorhanden wäre, würde zunächst für ein weltweites Börsenbeben sorgen – von dem sich die Weltwirtschaft aber auch erholen würde.

3. Die Technik

Maschine Öl Raffinerie

Nehmen wir an, statt der genannten 9,2 Millionen Barrel würden täglich nur noch 92.000 gefördert. Das wäre zwar immer noch viel, hätte aber auf den weltweiten zivilen Mobilitätssektor massive Auswirkungen. Zunächst dadurch, dass Kraftstoffe sich innerhalb weniger Jahre massiv verteuern würden – wir sprechen hier von >50 Euro pro Liter. Gleichsam wäre es jedoch ein Technik-Problem, denn die bestehenden Motoren kommen häufig nicht mit hundertprozentigem Biokraftstoff zurecht – zumindest nicht außerhalb von Ländern wie Brasilien, wo Ethanol-Sprit schon seit vielen Jahren Standard ist.

Für uns im Westen würde es bedeuten, dass viele Autos stehenblieben. Und dass die Regierungen anfangen, Öl und Kraftstoffe für strategische Zwecke zu horten. In den Frühtagen einer Öl-armen Welt wären auf den Straßen also neben behördlichen, militärischen und Rettungsdienstfahrzeugen nur E-Autos unterwegs. Und in den Autowerkstätten und Teilezulieferern würden die Auftragsbücher platzen, weil zahllose Kunden ihren Verbrenner auf Biokraftstoffe umrüsten lassen wollten.

4. Hunger

Natürlich würden „kritische“ Gebiete wie Landwirtschaft ebenfalls Kraftstoff bekommen, doch mit einer massiv reduzierten Ölmenge hätten wir auch an anderer Stelle (zunächst) ein Problem. Denn die Welt-Landwirtschaft hängt buchstäblich am Kunstdünger-Tropf, weil sich über sieben Milliarden Menschen nicht mit regulären Acker-Techniken ernähren lassen:

• Stickstoffdünger wird unter anderem mit Hilfe von Methan im Haber-Bosch-Verfahren hergestellt und ist aus der modernen Landwirtschaft nicht mehr wegzudenken
• Erdöl selbst besteht prinzipiell aus nichts anderem als diversen Kohlenwasserstoffen unterschiedlicher Kettenlänge. Durch sogenanntes Cracken kann das Öl chemisch aufgespalten werden und so ebenfalls zur Dünger-Herstellung dienen.

Zunächst hätte die Welternährung also ein Problem, weil die meisten landwirtschaftlich genutzten Böden ausgelaugt sind und ohne Dünger kaum noch etwas hergeben. Allerdings würden regelrechte Hunger-Szenarien kaum eintreten, weil eben weiterhin Restmengen gefördert werden, außerdem bereits alternative Dünge-Ansätze in den Startlöchern stehen und in Form von Algen eine praktisch unbegrenzte pflanzliche Nahrungsquelle zur Verfügung steht, die düngerfrei hervorragend gedeiht.

Allerdings wäre die Verteilung zweifelsohne ein Problem, weil auch viel notwendige Nahrung (im Gegensatz zur „Zitrone aus Kalifornien“) oftmals tausende Meilen vom Konsumenten entfernt produziert wird und zudem Lagerhaltung in der Lebensmittelindustrie praktisch abgeschafft wurde. Es muss also gelingen, bis zu diesem Zeitpunkt zumindest den Nahrungsmittel-Transportsektor auf Elektro oder Biokraftstoffe umzustellen. Andernfalls müssten Bundeswehr-LKW die Supermärkte mit Kohl und anderen lokalen, saisonalen Gemüsesorten beliefern.

5. Konsum

Öl Raffinerie Industrie

In einer solchen Zeit würde sich auch unser generelles Konsumverhalten ändern. Kurzgesagt würde etwas umso teurer werden, je weiter sein Transportweg ist. Darunter würde der gesamte Internethandel mit seinen weltweiten Transportnetzen massiv leiden. Interessanterweise dürfte es jedoch gleichsam dem klassischen Tante-Emma-Laden massiven Aufwind verschaffen – obwohl durch die stark gestiegenen Preise des täglichen Bedarfs der materielle Kaufaspekt deutlich abnehmen wird.

Für die heutige Transportseefahrt würde es jedoch eine gigantische Krise heraufbeschwören: Alternative Antriebe stecken noch in den Startlöchern, Öl ist nach wie vor Haupt-Antriebsenergieträger. Das würde für viele Reeder, trotz teurerer Preise, wahrscheinlich das Aus bedeuten.

6. Freizeit/Urlaub

Flüge quer durch Europa für 100 Euro? Ein Transatlantikflug für 500? Diese Zeiten sind dann – vorerst – vorbei. Ganz generell werden wir, wie bereits im vorherigen Punkt erwähnt, weniger Geld für Nicht-Lebensnotwendiges zur Verfügung haben. Urlaub fällt da als erstes aus dem Rad, allen voran natürlich besonders exotische Destinationen. Der Himmel über einer Öl-armen Welt wird, wenn überhaupt, nur von Militärmaschinen beherrscht, die wichtige Notfallgüter transportieren.

Aber das hätte auch sein sehr Gutes: Als nach dem elften September für drei Tage die Zivilluftfahrt über den USA ruhen musste, hatte das wegen den massiv reduzierten Kondensstreifen einen stark ausgleichenden Temperatureffekt, der im Post-Öl-Zeitalter global zu spüren wäre – und das schlagartig.

Freuen würde das wohl auch die regionalen Touristengebiete, die man ohne teure Reisen erreichen kann. Gleichsam wären Flugreisen auch nicht tot – nur die per Jet betriebenen. Denn Verbrennungs- oder E-Motoren können natürlich auch langsamere Flieger antreiben. Und das könnte wiederum den Luftschiffen eine völlig neue Ära bescheren. Etwa in Form eines mit Dünnschicht-Solarzellen bedeckten, elektrisch angetriebenen und Helium-befüllten High-Tech Zeppelins als einzige kerosinfreie Alternative zum Lufttransport vieler Menschen und/oder großer Lasten.

7. Kunststoff

Vorbei wäre auch die Wegwerfkultur unserer Plastikgesellschaft. Denn beinahe jeder Kunststoff besteht aus Erdöl. Allerdings würde das nicht bedeuten, dass Kunststoff aus unserem Leben verschwände – denn zu seinen Vorteilen gehört eben, dass er praktisch unbegrenzt wieder recycelt werden kann.

Bloß käme eben kaum noch neuer nach – was bei den aktuell bereits Milliarden Tonnen, die sich auf der Welt befinden, sicherlich kaum ein Problem wäre, wenn sich erst mal umfangreichere Recycling-Ketten etabliert haben. Und Meeres-Plastikmüllsammler wie das Schiff „Seekuh“ wären dann nicht nur Umweltretter, sondern ein äußerst lukratives Business, das bei den 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen Plastik, die laut WWF alljährlich in den Ozeanen landen, eine ganz neue Versorgungskette etablieren würde.

Ja, vielleicht würden wir dann sogar vom „guten Kunststoffgeschirr“ sprechen, das dann zu besonderen Feiertagen mit der gleichen Ehrfurcht hervorgeholt wird, wie heute Porzellan mit Goldrand.

Fazit

Rohre Öl Raffinerie

Eine Welt ohne Öl wäre fraglos eine massiv andere als die Heutige. Aber: Erdöl wird nicht von heute auf morgen verschwinden, sondern über einen vergleichsweise langen Zeitraum, welcher der Menschheit Gelegenheit geben wird, sich anzupassen. Apokalyptische Szenarien werden kaum eintreten. Allerdings werden wir lernen müssen, mit einem reduzierten Angebot zurechtzukommen. Die Öl-arme Welt wird vermutlich wieder kleinstaatlicher sein und es wird viele schmerzhafte Geburtswehen geben. Doch sie ist eben unvermeidlich. Und so kann man nur die Folgen reduzieren, indem man bereits jetzt weitestgehend umrüstet – mit etwas Glück kann der Mensch dann der Natur diktieren, wann er aus dem Öl aussteigt und nicht umgekehrt.

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