Einsam als Kind – einsam als Erwachsener?

Einsamkeit in der Kindheit kann tiefe Spuren hinterlassen und das spätere Beziehungsverhalten erheblich beeinflussen. Ein Kind, das emotionale Vernachlässigung erfahren hat und oft einsam war, neigt dazu, auch im Erwachsenenalter unter einem Gefühl der Isolation zu leiden. Experten sind sich einig, dass frühe Bindungen, insbesondere zur Mutter, prägend für die seelische Gesundheit sind.

Laut einem Artikel in The Conversation ist besonders die emotionale Bindung, die in der Kindheit zu den Eltern aufgebaut wird, von großer Bedeutung. Vor allem Mütter, die häufig die Hauptverantwortung für die Fürsorge tragen, spielen dabei eine Schlüsselrolle. Fehlt es an emotionaler Zuwendung, kann sich ein Kind auch inmitten einer vermeintlich intakten Familie einsam fühlen.

Der britische Psychoanalytiker Donald Winnicott prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der „good-enough mother“, der eine „ausreichend gute Mutter“ beschreibt. Diese müsse nicht perfekt sein, sondern dem Kind durch beständige Fürsorge ein tiefes Gefühl der Sicherheit vermitteln. Kinder, die in ihrer frühen Kindheit diese Geborgenheit erleben, sind seltener von innerer Einsamkeit betroffen. Doch wenn die Mutter – etwa durch Depressionen oder andere emotionale Schwierigkeiten – nicht in der Lage ist, diese Rolle zu erfüllen, kann sich bei dem Kind ein dauerhaftes Gefühl der Einsamkeit manifestieren, das bis ins Erwachsenenalter reicht. Wichtig ist, dass diese Rolle nicht ausschließlich von der Mutter übernommen werden muss. Wer immer die Hauptverantwortung in der Fürsorge trägt, ob Vater oder andere Bezugspersonen, kann diese emotionale Stütze sein.

Gefahren fehlender emotionaler Bindung

Kinder, die keine enge Bindung aufbauen konnten, sind später oft anfälliger für ungesunde Beziehungsmuster. Viele von ihnen geraten wiederholt in Beziehungen, in denen sie emotional verletzt oder gar missbraucht werden. Laut The Conversation ist das Gefühl, keine Liebe verdient zu haben, bei diesen Menschen tief verwurzelt. Dies führt dazu, dass sie sich entweder isolieren oder misstrauisch gegenüber Menschen werden, die ihnen Zuneigung entgegenbringen wollen. Sie könnten zudem Schwierigkeiten haben, sich von schädlichen Beziehungen zu lösen, da sie die Fähigkeit, gesunde Grenzen zu setzen, oft nie gelernt haben.

Interessanterweise haben Studien gezeigt, dass schwere emotionale Vernachlässigung in der Kindheit sogar das Gehirn verändert. Neuronen, die für Optimismus und positive Emotionen verantwortlich sind, können in ihrer Entwicklung gehemmt werden. Diese neurologischen Veränderungen erklären, warum es manchen Menschen schwerfällt, Vertrauen in enge emotionale Bindungen zu entwickeln. Einsamkeit kann also nicht nur ein psychologisches, sondern auch ein biologisches Phänomen sein, das seine Wurzeln in der Kindheit hat.

Hinweise auf emotionale Vernachlässigung

Wenn du regelmäßig das Gefühl hast, keine Liebe verdient zu haben, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass du als Kind emotionale Vernachlässigung erfahren hast. Solche Menschen geraten häufig in toxische Beziehungen, in denen sie emotional ausgebeutet werden, weil sie sich schwer damit tun, klare Grenzen zu ziehen. Selbst in gesunden Beziehungen bleibt oft die unterschwellige Angst, verlassen zu werden, was zu Selbstsabotage führen kann. Diese tiefe Unsicherheit wirkt oft abschreckend auf andere, was letztlich zu einem Ende der Beziehung führt – genau das, was man eigentlich vermeiden wollte.

Hoffnungslosigkeit ist ebenfalls ein starkes Anzeichen emotionaler Vernachlässigung. Sie muss nicht immer direkt auf die Kindheit zurückzuführen sein, kann aber ein deutliches Zeichen dafür sein, dass es in der frühen Phase des Lebens an emotionaler Fürsorge gefehlt hat.

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Bild: Pexels; CC0-Lizenz