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Electroboy: Süchtig nach Erfolg

Die Lebensgeschichte von Florian Burkhardt hat alle Zutaten, um ein hollywoodreifes Filmspektakel daraus zu erschaffen. Emotionen, Dramatik, Witz und eine Prise Wahnsinn. Aber kein Spielfilm der Welt könnte Florian so zeigen, wie er wirklich ist: Ein Mann mit einer Biografie, die man nicht glauben kann. Und dahinter ein Mensch, so offen und aufrichtig, dass man sie nicht glauben will.
Der Regisseur Marcel Gisler hat aus seiner Geschichte die Dokumentation „electroboy“ gemacht. Ein intimes Porträt, mit tiefen Einblicken in die familiären Abgründe. ZEITjUNG hat Florian Burkhardt alias „electroboy“ und den Regisseur Marcel Gisler getroffen.

Florian Burkhardt wird 1974 in Basel geboren. Und schon bei der Geburt lastet eine schwere Bürde auf ihm. Er soll die Lücke schließen, die sein verstorbener Bruder hinterlassen hat. Dieser starb bei einem Autounfall, den der Vater verursacht. Florian erzählt: „Meine Mutter hat nie über den Tod meines Bruders gesprochen. Sie hat nur gesagt, er musste gehen, dass du kommen konntest.“ Das Trauma und die Schuldfrage bleiben wie ein Schleier über der Familie hängen. Florian wächst streng kontrolliert und überbehütet auf, sammelt bis zum Alter von 21 Jahren kaum Erfahrungen. Alles wurde getan, damit diesem Kind nichts zustoßen kann. Auf Drängen seiner Eltern, landet Florian in einem katholischen Jugendinternat. Nebenbei begeistert er sich aber für einen neuen, aufregenden Sport: Snowboarden. Und ab diesem Zeitpunkt beginnt sein rasanter Aufstieg. Als mehrfach gesponserter Snowboardfahrer wird er als „neuer Wilder“ gefeiert und gründet das erste Snowboard-Magazin.

 

„Jetzt werde ich ein Star!“

 

Die Enge der Schweiz wird für Florian mit der Zeit aber unerträglich und es zieht ihn in die weite Welt. Und das nächste ist Ziel ist, wie könnte es auch anders sein, Hollywood. Ein Ort, an dem alles möglich werden kann. Selbstsicher verkündet er: „Jetzt werde ich ein Star!“, und das gelingt ihm auch. Er unterscheibt einen Vertrag bei dem renommierten Schauspielagenten Gregory D. Mayo und die Türen des Showbusiness stehen ihm offen. Was für zahllose Menschen, der große Raum wäre, langweilt Florian schnell. Nach vier Monaten in der schillernden Hollywoodwelt heißt es für ‚electroboy‘ auf zu neuen Ufern! Im Interview erzählt er: „Ich hätte das große Geld machen können, aber das war mir egal! Wichtig für mich war das Ausprobieren und Kreieren!“ Quasi wieder nebenbei öffnet sich eine andere Türe, das Modeln. Er zieht nach Mailand und erhält über eine Agentur Aufträge. Labels wie Prada oder Gucci buchen Florian. Er lebt ein weiteres Mal den großen Traum! Er resümiert: „Mir macht die Herausforderung Spaß. Aber beim Modeln kam ich an einen Punkt, da wusste ich, dass ich alle wichtigen Menschen kennengelernt habe und es ab jetzt nur noch eine Routinearbeit wäre. Und schon war der Antrieb weg.“

 

Homosexualität und Religion

 

Florian stand zu diesem Zeitpunkt offen zu seiner Homosexualität und tut dies auch heute noch. Er sagt: „Ich komme aus einer anderen Zeit. Als ich Anfang 20 war, war schwul sein ein Tabuthema. Niemand war schwul. Inzwischen wohne ich in Berlin und da ist alles ganz offen. Heute weiß man wenigstens, dass es viele Gleichgesinnte gibt. Man fühlt sich nicht mehr krank.“ Seine Homosexualität steht im Konflikt mit den religiösen Ansichten des Vaters, wurde aber in der Familie totgeschwiegen. Eine große Belastung für den jungen Mann. Heute kann er offen sagen: „Ich bin überzeugter Atheist, da bin ich radikal. Wenn jemand nur für sich religiös ist, dann ist das völlig legitim, aber wenn man entscheidungsunfähige Kinder mit hineinzieht, finde ich das wirklich grenzwertig.“ Die vom Trauma des Autounfalls gezeichnete Familie fand nicht näher zueinander, sondern entfernte sich immer weiter. Konflikte wurden nie ausgesprochen, nie geklärt, es gab kaum Kontakt. Der Dokumentarfilm geht im zweiten Abschnitt bewusst der Frage nach dem Warum nach und findet die Antwort in der zerrütten Familiensituation.

 

Der tiefe Fall

 

Die psychische Belastung war irgendwann nicht mehr zu ertragen und es folgte der gesundheitliche Zusammenbruch von Florian. Monatelang konnte er seine Wohnung nicht mehr verlassen, hatte Panikattacken und Angstzustände. „Es kam so plötzlich. Davor war ich das Gegenteil, einfach immer unterwegs. Und diese Fallhöhe ist ja auch das Faszinierende an meiner Geschichte.“ Im Jahr 2001 lässt er sich selbst in die psychiatrische Klinik einweisen. Aber Florian kämpft unbeirrt gegen seine Erkrankung an. Er versucht, so gut es eben geht, in ein ’normales‘ Leben zurückzukommen, obwohl die Angst omnipräsent bleibt. Anlässlich seines 30. Geburtstags plant er eine kleine, öffentliche Feier. Er nennt sie „electroboy“. Electro, wegen elektronischer Musik und boy, wegen seiner Homosexualität. Aus dieser Feier entwickelte sich eine erfolgreiche Partyreihe. Alles was Florian anfasst, scheint automatisch zu Gold zu werden. Im Gespräch frage ich: „Ist das ein Fluch oder ein Segen?“ Er antwortet: „Segen! Aber oft denken die Leute das war ein strategisches Vorgehen, um berühmt zu werden. War es aber nie. Ich war einfach fasziniert von Dingen und bin dann immer so reingeraten.“

 

Electroboy auf der Suche nach sich selbst

 

Wir halten fest: Florian hat bis zum Alter von 21 quasi nichts erlebt. Dann zog er in die Welt und war Profisportler, Schauspieler in Amerika, ein internationales Topmodel, Internetpionier und Begründer einer erfolgreichen Elektropartyreihe. Er war zeitweise so schwer krank, dass er dauerhaft in einer Klinik leben musste. Ein Selfmademan auch der Suche nach der eigenen Identität.
Die Dokumentation „electroboy“ missbraucht das facettenreiche Leben von Florian aber nicht als Aufhänger für eine reißerische Geschichte, sondern möchte auch die Abgründe zeigen. Der Regisseur Marcel Gisler: „Ich habe davor nur Spielfilme gedreht und bin mit einer gewissen Naivität an die Dokumentation herangetreten. Aber ein Dokumentarfilm ist auch immer ein gewisses Maß an Inszenierung, man pflanzt den Menschen ja in das Bewusstsein ein, dass eine Aufnahme ein besonderer Moment ist.“
„Electroboy“ war im Rahmen des DOK.fest München sehen. Dort wurde er mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.