Eltern Kinder

Wenn wir groß sind: Werden wir so wie unsere Eltern?

Oft passiert es an einem Geburtstagsabend. An dem begossen wird, dass wieder ein Jahr rum ist. Genau da, inmitten einer von Gin Tonic und Bier durchtränkten Runde bringt einer diesen Erzählanfang: „Vor zehn Jahren – boah krass, vor ZEHN Jahren!“ Egal, was da vor zehn Jahren gewesen ist – ob es der erste Pickel, der erste Kater oder der Moment war, an dem man herausfand, dass das Wort Gras mehrere Bedeutungen hat –, es ist verdammt lange her. Damals, vor zehn, zwölf, fünfzehn Jahren, da hatte man die Zahl 18 vor Augen. Trat diese magische Schwelle doch immer einher mit den Vorstellungen: Führerschein, Feiern ohne Ende und der Freiheit, alles besser zu machen als unsere Eltern.

 

Die löchrigen Hosen

 

Es gibt Sätze, die wir in unserer Kindheit so oft gehört haben, dass wir sie nie vergessen werden. Elterliche Ratschläge in Bezug auf Ernährung, Zukunft und sämtliche Probleme brennen sich ein, begleiten uns durchs Leben – ob wir es wollen oder nicht. Unsere Eltern sind vom ersten Tag an unsere Vorbilder. Sie sagen uns, was sich gehört und was nicht. Dank ihnen weiß man, dass löchrige Jeans auf Familienfeiern, Festen und in der Kirche nichts zu suchen haben – was, bitte schön, sollte sonst der Rest vom Kaff denken? Verteidigungen wie „Aber das gehört so!“ und „Mir doch scheiß egal, ob die glauben, dass ich die aus dem Altkleidersack gezogen hab“ stoßen auf taube Ohren. Und wir nehmen uns vor: Unsere Kinder, die dürfen mal alles anziehen, was sie wollen!

Und dann wird man älter. Ein weiteres Hassobjekt aus der Kleiderkiste, das Unterhemd, bekommt plötzlich Sinn. Wenn einem der Wind durch den dünnen Billigpullover von H&M fährt und sich um die halberfrorenen Nieren unschöner Schutzspeck bildet – dann auf einmal ist das Unterhemd (heute nicht mehr in Form von baumwollener, weißer, gerippter Hässlichkeit, sondern einfach ein schlichtes Top) nicht mehr die textilgewordene Spießigkeit, sondern die Präventivmaßnahme, um diese Speckröllchen nicht weiter wachsen zu lassen, die so freiheitsliebend über den Hosenbund hervorquellen.

 

Der Joghurtbecher in der Waschmaschine

 

Eine besonders grausame Zeit im Leben von uns Menschen findet von zwölf bis 18 statt, wenn sich die Gesichtshaut dazu entschließt, fortan nicht mehr glatt und rosig sein zu wollen, sondern lieber einen Ackerbau aus gelben und roten Pickeln betreibt. Die Pubertät – wir mussten alle durch und mit uns auch unsere Eltern. Es ist der Abnabelungsprozess, der in diesen Jahren in Form von Nachäffen, Streit und Grenzüberschreitungen ersichtlich ist. Trotz dieser Abende voller lästiger, gemeinsamer Abendessen und dem vorwurfsvollen Schweigen während den Autofahrten auf dem Weg nach Hause von einer verbotenen Hausparty hat man es irgendwann geschafft: Die schwierige Phase ist vorbei und bevor wir es merken, sind wir wieder zu rational denkenden, umgänglichen Menschen geworden.

Bei der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen sind es laut dem Statistischen Bundesamt bei den Mädchen fast 60 Prozent und bei den Jungs über 70 Prozent, die nach wie vor zu Hause wohnen. Dann aber, spätestens nach dem Studium oder der Ausbildung, kriegen die meisten von uns es hin, ihr Kinderzimmer hinter sich zu lassen. Dieser Prozess ist eben etwas, was zum Erwachsen werden dazu gehört, erklärt Pädagogin Heidemarie Arnhold: „So wie ein Kind alleine zu essen lernt und keine Windeln mehr braucht, verlässt es später eben auch das Elternhaus.“

Unser neues Reich richten wir ein mit IKEA-Möbeln und dem Rest der Goldstücke, die wir aus unserem ersten Lebensabschnitt noch mitnehmen wollen. Und wir machen alles besser, als es in den vier Wänden war, in denen wir so lange gehaust haben. Aber manche Gewohnheiten unserer Eltern haben wir schon längst übernommen, kleine Bedienungsanleitungen für den Alltag, für den Haushalt, die uns so gar nicht groß auffallen. Erst, wenn Besuch da ist und dieser erstaunt fragt, wieso man denn den Joghurtbecher in die Spülmaschine stellt, anstatt ihn gleich in den Müll zu schmeißen, fangen wir an, unser Verhalten zu reflektieren. Und der Verdacht kommt auf: Scheiße, ich mach’ ja doch alles so wie meine Eltern.

 

Das Karohemd des Vaters

 

Einige Monate, Jahre vergehen. Wir stellen unsere eigenen Regeln auf und behalten manche bei, die uns unsere Vorbilder mit auf den Weg in die Selbstständigkeit gegeben haben. Doch wir merken, dass auch unsere Wohnung langsam mehr sein sollte als bloß abgepauste Zimmer aus dem Möbelhauskatalog. Hungrig nach Individualität und etwas, das unser „Ich“ repräsentiert, durchstreifen wir Antiquitätengeschäfte und Flohmärkte. Und wir finden: alte Wecker, Bauernmöbel und die Bilder von einem Pariser Straßenkünstler, Schmuckkästchen und in Holzrahmen gefasste Spiegel, abgewetzte Teppiche und Schallplatten, die zu hunderten in Kisten ungehört darauf warten, sich von einer feinen Nadel die gespeicherten Töne entlocken zu lassen. Die Fundstücke stapeln sich daheim in den Regalen, suchen sich den besten Platz an der Wand und fügen sich nahtlos in unsere Musiksammlung ein.

Und dann, durch den Besuch der Eltern oder das Betrachten von alten, vergilbten Fotografien, die schief im Familienalbum kleben, fällt auf: Das hatten die auch schon. Das, was wir uns mühsam auf den Trödelmärkten zusammen gestöbert haben, sind Stücke aus der Vergangenheit unserer Erzieher. Aber wir nehmen die Dinge anders her, sagen wir uns. Den Stil, die Kleidung, alles. Man kombiniert das Karohemd, das auch schon der Mann, dem man zum Verwechseln ähnlich sieht, vor Jahrzehnten angehabt hatte, mit Nikes. Oder den Rock, den auch schon die Mutter hätte anhaben können, mit knallbunten Vans. Die Art, darin zu gehen aber, sich zu bewegen und auf eine bestimmte Art und Weise beim Flanieren den Kopf leicht geneigt zu halten – das hat man sich doch wohl wieder jahrelang abgeschaut.

 

Nur eine Nuance

 

Daheim schmeckt’s doch oft am besten. Die Dampfnudeln der Mama sind die Besten der Welt. Auch die Oma kann’s nicht besser machen. Das Rezept, Wort für Wort, Grad für Grad, Gramm für Gramm exakt übernommen liefert nachgekocht nicht dasselbe Ergebnis wie in der Küche der Mutter. Dafür schaut die Küche danach nicht so aus als hätte ein dreijähriges Kind mit Töpfen, Schüsseln und Teigklümpchen versucht, sämtliche Arbeitsoberflächen neu zu gestalten. Wenigstens den Hang zum Chaos, den das weibliche Vorbild regelmäßig in der gekachelten Küche zelebriert, hat man nicht übernommen.

Katja Schnitzler, Süddeutsche Zeitung-Kolumnistin, ist nicht stolz darauf, folgenden Satz an ihre 14-jährige Tochter gerichtet zu haben: „Sssso gehst du mir jedenfalls NICHT aus dem Haussss!“ Getan hat sie es aber. Beim Anblick ihres knapp bekleideten Sprösslings war es die Reaktion, die sie bereits in ihrer Jugend von ihrer Mutter bekommen hatte. Nun also ein spätes Verständnis für die damals völlig unverständliche – weil verstaubte – Reaktion der Mutter. Gelöst hat Schnitzler den Lolita-Faible ihrer Tochter jedoch anders. Sie hat kein Verbot ausgesprochen, sondern ihrem Kind selbst die Entscheidung überlassen, was es tragen will und was nicht. Auf einer Geburtstagsfeier dann aber – mit dem klischeehaften Onkel und dem Bierbank-Minirock-Sitz-Problem – hat sich diese Strategie ausbezahlt. Mit Selbsterkenntnis statt mit Verboten etwas zu ändern, hat Schnitzler ihrer Mutter voraus.

Es gibt sie also, die feinen Unterschiede zu den Eltern. „Alles wird sich ändern, wenn wir groß sind“, schallte es mal Echt-mäßig durch die Kopfhörer hindurch in unsere Gehörgänge. Vielleicht wird sich aber nicht alles ändern. Vielleicht machen wir auch nicht alles besser. Aber anders. Zumindest um ein, zwei Nuancen.

 

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Bildquelle: Guian Bolisay unter CC BY-SA 2.0