„Endlich wieder sicher schlafen“ – Leben im Frauenhaus

Sie soll sich nicht immer so oft mit ihren Freundinnen treffen, auch mal daheimbleiben. Sie hält es für seine Eifersucht und findet es vielleicht sogar ganz süß. Deshalb tut sie ihm den Gefallen und verbringt die meiste Zeit mit ihm, den Kontakt zu Familie und Freunden lässt sie schleifen. Dann wird er mehr und mehr gereizt. Er schreit, sie könne ihm nichts recht machen. Ständig nörgelt er an ihr herum, dann rutscht ihm die Hand aus. Sie ist schockiert. War es am Ende ihre Schuld, hat sie ihn zu sehr provoziert? In Zukunft wird sie sich mehr um ihn kümmern. 

 

Was im Theoretischen als Spirale der Gewalt bezeichnet wird, macht auch vor der Realität nicht Halt. Doch über Gewalt in Beziehungen wollen die Betroffenen oft aus Angst oder Scham nicht reden, die Flucht bleibt meist der einzige Ausweg. Ursula Heinze und Cressida Braune arbeiten im Frauenhaus und können schutzbedürftigen Frauen einen sicheren Ort bieten.

Die beiden erwarten mich in der dazugehörigen Beratungsstelle. Dort duftet es nach Kaffee und Kräutertee, auf dem großen Tisch liegen Plakate. „Gewalt folgt einem Muster“, „Kinder kriegen alles mit“ und „Wir wollen leben ohne Angst!“ lese ich darauf.

Dann betritt Sabrina* den Raum, ihr Lächeln ist sofort ansteckend. Dass dieser stolzen Frau etwas so Schlimmes passiert ist, kann ich mir nur schwer vorstellen. Doch mit ihrem Schicksal ist sie nicht allein. 

Jede dritte Frau wird in ihrem Leben einmal Opfer von Gewalt in Beziehungen, zeigt eine weltweite Studie der WHO. Darunter auch die damals 34-jährige Sabrina. Sie lebte erst seit Kurzem in Deutschland, war verheiratet und hatte zwei kleine Kinder. „Ich habe dann mit einer Freundin gesprochen und erkannt, dass ich etwas für mich und meine Kinder unternehmen muss. Deshalb habe ich das Frauenhaus angerufen“, erzählt sie heute. Was genau sie hierher geführt hat, möchte sie nicht sagen, als ich nachfrage, schüttelt sie vehement ihren Kopf.

Das Telefon des Frauenhauses ist rund um die Uhr besetzt, sieben Tage die Woche. Doch die Mitarbeiterin musste Sabrina mitteilen, dass kein Platz mehr frei sei. „Aber da stand ich schon mit meinem Gepäck und meinen Kindern auf der Straße“, Sabrinas Stimme zittert. „Dann wurde mir gesagt: Komm zu einem bestimmten Ort, ich hole dich und deine Kinder ab. Wir finden einen Platz für dich.“ Die folgenden acht Monate verbrachte sie mit ihren Kindern als eine von zwölf Frauen im Frauenhaus in Erlangen.

 

Anonymes Wohnen in Sicherheit

 

Die Adresse des Hauses ist streng geheim, Besuch dürfen die Bewohnerinnen zu ihrem eigenen Schutz nicht empfangen. Eine Missachtung der Regel wäre für alle gefährlich, Gewalttäter könnten versuchen zu den Frauen zu gelangen. Doch es ist alles andere als ein Gefängnis, so wie es von Außenstehenden oft bezeichnet wird: Die Frauen haben eigene Schlüssel und können kommen und gehen, wann sie möchten. Wer diese Anonymität bricht, müsse umziehen, erklärt Cressida. „Aber natürlich setzen wir niemanden von heute auf morgen auf die Straße.“

Sabrina beschreibt es als große Wohngemeinschaft, sie lacht dabei. Überhaupt lacht sie viel während wir uns unterhalten. Im Haus kommen die Frauen  aus unterschiedlichen Ländern, sprechen verschiedene Sprachen und haben eigene Traditionen. Wie in einer WG gibt es hier Putzpläne für Gemeinschaftszimmer, Wohnzimmer und die Spielräume der Kinder. Viel bedeutender findet Sabrina aber den respektvollen Umgang miteinander. Sie schätzt die Empathie der Mitarbeiterinnen. Das machte es ihr leichter, sich im Haus zurecht zu finden: „Der Anfang war schwer, besonders weil ich die Sprache nicht so gut konnte. Aber ich hatte und habe zu den Frauen ein sehr enges Verhältnis. Uschi ist wie meine Mama und eine Oma für meine Kinder.“

Mit „Uschi“ meint sie Ursula. Ihr ist der Kampf für Frauenrechte eine Herzensangelegenheit, für die sie sich intensiv engagiert. Sie war an dem Beschluss beteiligt, dass in Erlangen eine Frau ab ihrem ersten Tag in Deutschland sofort ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommen kann, wenn sie Opfer von Gewalt wird und somit im Frauenhaus wohnen darf. Und dass die Frauen dazu keine Beweise der Gewalttaten vorlegen müssen, die sie ohnehin nur schwer beschaffen können. Es genügt eine einfache Stellungnahme gegenüber einer Mitarbeiterin im Frauenhaus.

 

Kosmos aller Frauenprobleme

 

Dass Sabrina einen Platz bekommen hat, war nicht selbstverständlich. Sie lebte damals erst seit rund zwei Jahren in Deutschland, laut Gesetz muss eine Frau aber mindestens drei Jahre in Deutschland verheiratet sein, um eine eigene Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen.

„Das Haus ist ein kleiner Kosmos, in dem sich relevante gesellschaftliche Fragen spiegeln, die Frauen betreffen“, sagt Ursula. „Ziel ist es, das sichtbar zu machen und etwas zu verändern.“ Im Frauenhaus bekam Sabrina Schutz und die individuelle Unterstützung, die sie brauchte. „Nicht alle Frauen erstatten Anzeige. Es ist oft zu schmerzhaft, die Details der Misshandlung offenzulegen. Das kostet sie viel Energie und psychische Kraft“, erzählt Ursula. Viele seien traumatisiert, wollten einfach nur vergessen und in Ruhe leben.

„2017 wurden 147 Frauen durch ihren (Ex-)Partner oder Ehemann in Deutschland getötet. Die Trennung ist oft ein sehr gefährlicher Zeitpunkt für die Frau, die Gewaltspirale kann sich da sehr leicht hochschaukeln“, fügt Cressida hinzu. „Häufig wird nur körperliche Gewalt als Gewalt anerkannt. Wenn aber eine Frau sagt, sie habe Gewalt erlebt, muss jede Form der Gewalt anerkannt werden.“ Jede Frau ist Expertin ihrer Situation und hat ihre eigene Geschichte.

 

Gewalt ist mehr als körperliche Verletzungen

 

Sabrina konnte im Frauenhaus endlich wieder richtig gut schlafen. „Ich habe seit der Geburt meiner Kinder nicht so gut geschlafen wie hier. Ich habe mich ausgeruht und hatte genug Zeit, um meine Probleme zu ordnen und herauszufinden, was ich für mich und meine Kinder in Zukunft will“, sie wirkt erleichtert. Mit Ursulas Hilfe fand Sabrina eine eigene Wohnung, erhielt einen Studienplatz und bekam ein Stipendium. Sie stieg wieder in die Gesellschaft ein, denn obwohl sie schon seit zwei Jahren in Erlangen gewohnt hatte, wusste sie nicht, welche Möglichkeiten sie mit ihren Kindern hat. Der Austausch mit anderen half ihr. Dabei erfuhr sie auch, dass sie mit ihrem Schicksal nicht allein ist. „Ich habe geweint, als ich die Geschichte von anderen Frauen gehört habe. Da kommt einem das Eigene gar nicht mehr so schlimm vor.“

Oft müssen die Frauen in eine andere Stadt flüchten, weil es zu gefährlich wäre weiterhin in derselben Stadt zu wohnen wie der Mann. Im Frauenhaus dürfen sie so lange bleiben, wie sie Schutz brauchen, eine zeitliche Begrenzung gibt es nicht. „Viele wünschten sich aber, in eine eigene Wohnung umzuziehen. Eine ist sogar wieder zu ihrem Mann zurückgekehrt. Es gibt Frauen, die wieder gut mit ihren Familien leben wollen und können“, erzählt Sabrina. „Andere finden ihre eigenen Wege“, fügt sie entschlossen nach kurzem Überlegen hinzu.

 

Androhung von Gewalt ist strafbar

 

Es herrscht überall dieselbe Gewalt, unabhängig von sozialem Status, Herkunft oder Religion. Doch die Entschuldigungen dafür unterscheiden sich, sagt Ursula. In Deutschland behaupten viele: „Ich wollte das doch gar nicht“, „Sie hat mich provoziert“ oder „Die ist aus Versehen in mein Messer gerannt“. Anderswo kann es stattdessen heißen: „Das hat sie doch verdient!“.

Deutschland hat 2018 die sogenannte Istanbul-Konvention des Europarats unterzeichnet. Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zählen seitdem explizit als Menschenrechtsverletzungen. Die Konvention dreht sich aber nicht nur um körperliche Gewalt. Jetzt hat jede Handlung rechtliche Konsequenzen, die bei einer Frau zu psychischem, sexuellem oder wirtschaftlichem Schaden führt – oder führen kann. Unabhängig davon, ob der Täter denselben Wohnsitz wie das Opfer hat oder hatte. „Denn jetzt ist auch die Androhung der Nötigung eine Menschenrechtsverletzung, die bestraft werden muss“, betont Ursula. „Um Gewalt zu bekämpfen, gibt es nun auch strafrechtliche Handlungsmöglichkeiten“. Dieses Übereinkommen ist eine gute Argumentations- und Handlungsgrundlage, findet Cressida.

Sabrina ist heute eine stolze Frau, die frei leben kann. Vor ihrem Mann fürchtet sie sich nicht: „Es ist etwas Schönes passiert, sodass ich keine Angst mehr haben muss, ihm zu begegnen.“ Mehr möchte sie dazu nicht sagen. Sie lächelt leise in sich hinein, entspannt sich und hat einen friedlichen Ausdruck im Gesicht. Von außen ist ihr nicht anzusehen, dass sie schon Dinge erlebt hat, die ich wirklich niemanden wünschen würde. Es besteht kein Zweifel, dass viele Pärchen glücklich miteinander sind. Doch mir wird klar, wie leicht eine Liebesbeziehung zum Alptraum werden kann. Der Übergang von Eifersucht und Kontrolle hin zu Gewalt kann fließend sein.

Umso wichtiger, dass es Menschen wie Ursula und Cressida gibt.

 

*Name von der Redaktion geändert

 

Bist du in einer ähnlichen Situation und kannst nicht mit Familie oder Freunden darüber reden? Du kannst dich jederzeit kostenlos und anonym online an das Deutsche Hilfetelefon wenden oder unter 08000 116016 anrufen. Dort wirst du jeden Tag rund um die Uhr beraten und kannst dir Hilfe holen, wenn du nicht weiter weißt.

 

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Bildquelle: privat