Schlafzimmer

Erinnerung an meine Kindheit: „Pst, Papa schläft!“

Auf unserem Küchentisch lagen vier Tischunterlagen mit unseren Sternzeichen: Waage (Mama), Skorpion (meine Schwester), Stier (Papa) und Zwillinge (ich). Was sollte ich mit zwei jämmerlichen Figuren, die sich bei den Händen hielten und noch nicht mal Gesichter hatten? Nein, ich wollte immer die Unterlage mit Papas Stier. Papa hatte Kraft, Papa war groß, Papa war unbesiegbar, und genau das verkörperte für mich auch dieser Stier. Und dann war er auch noch in Türkis gehalten, eine meiner Lieblingsfarben. Beim gemeinsamen Essen traute ich mich natürlich nie, die Unterlage von meinem Vater mit meiner zu tauschen. Aber jedes Mal, wenn ich alleine aß, zum Beispiel Cornflakes am Samstagvormittag, krallte ich mir sofort diese Unterlage mit dem Stier. Im Grunde war es dann auch egal, was ich aß. Es war ein Festmahl, denn ich fühlte mich stark wie ein Stier.

 

Don’t touch the Teller

 

Bleiben wir zum Schluss noch einen Moment in der Küche. Unser Geschirr-Set hatte exakt einen Suppenteller, der viel größer war, als alle anderen. Und den bekam immer, logisch, Papa. Wer wie ein Stier arbeitet, braucht ja auch die entsprechende Energie, zumindest nach meiner damaligen Theorie. Und vermutlich deshalb habe ich mich, im Gegensatz zur Unterlage mit dem Stier, auch nie getraut, diesen Teller zu benutzen. Das durfte nur mein Vater.

Irgendwann kaufte meine Mutter für die Küche neue, „schöne“ Teller. Die anderen hatten ausgedient und landeten im Keller. Und irgendwann war es dann auch soweit, dass ich aus dem Haus meiner Eltern auszog. „Hey Mama, kann ich mir die alten Teller mitnehmen? Dann muss ich mir keine neuen kaufen!“ Ich durfte. Papas großer Suppenteller ist im Keller geblieben. Ich habe mich einfach nicht getraut.

 

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Bildquelle: Pexels unter CC0 Lizenz