Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #8

Eine Rolle spielen?

 

Vermutlich war es bei ihnen nicht anders. Dass sie analog zu mir eine Art Rolle annahmen, von der auch sie überzeugt waren. Zumindest, wenn wir miteinander zu tun hatten. Von meiner engsten Bezugsperson weiß ich es sogar. In einer stillen Minute eröffnete mir Jans Freundin Suse, er konnte nicht er selbst sein. Besser gesagt: Er wollte es nicht. Den Schmerz überspielen, den Abgeklärten geben, um an meinem Leid nicht zu zerbrechen –  das war für Jan zu Beginn der richtige Weg. Bis er implodierte. Die vielen Besuche im Krankenhaus in den ersten Tagen und Wochen nach der Diagnose ließen ihn begreifen, was da eigentlich passierte. „Er merkte, dass er das so nicht durchhalten wird“, erzählte Suse. Der Rauch war verzogen und die Trümmer zu sehen, als er entschied, alles an sich heranzulassen.

Während jeder der sechs Therapien verging keine Woche, in der wir uns nicht sahen. Kontakt hatten wir quasi jeden Tag. Viele der schwersten Momente durchschritten wir gemeinsam. Jan rasierte mir die Haare, weil es meine Mutter nicht übers Herz brachte. Auch für ihn war es eine Tortur, mir endgültig das Äußerliche eines Krebskranken zu verpassen. Gemacht hat er es trotzdem. Er zeigte mir die Richtung, als ich während der vierten Therapie mich und mein Leben abstieß. Den genauen Termin der Abschlussuntersuchung wusste nur meine Familie – und Jan samt Freundin Suse.

Mit anderen aus meinem innersten Zirkel schaffte ich es nicht, ein solches Verhältnis aufzubauen; stets ohne Rüstung, immer nackt und verletzlich. Das ist okay, ich bin ihnen deswegen nicht böse. Im Gegenteil: Erst der unterschiedliche Umgang schuf ein gemeinsames Bild. Es dauerte, bis ich das kapierte. Oft stand ich vor dem Gemälde, den Blick nur auf Facetten gerichtet; einzelne Farben, Striche, Schattierungen. Ich ordnete nach Wichtigkeit. Ich setzte mir selbst Scheuklappen auf und entzog mich so der gesamten Schönheit. Freundschaft aber ist kein Wettbewerb, sie sollte es nicht sein. So legendär Barney Stinson aus der Serie How I Met Your Mother auch ist: Ich will mich nicht einer Rangliste unterwerfen – wer ist denn nun der eine beste Freund? Das Glück benötigt Bandbreite. Nicht Marshall oder Barney, sondern Marshall und Barney. Den einen, mit dem ich in den dunklen Stunden über alles reden kann. Aber halt auch den anderen, der mir hilft, indem er gutes Desinteresse zeigt. Normalität zu leben, wo eigentlich keine sein kann. Viele, die mir nahe standen, wählten Barneys Rolle. Meist zu Beginn, die ersten Minuten unseres Treffens die Fragen, wie es denn ginge und laufe, aber dann zügig der Umschwung auf die unbeschwerte Beziehung, die wir vor davor hatten. Losgelöst von all den Problemen und Sorgen, die uns der Krebs aufdrückte. Ich machte mit. Vergessen ist Medizin. In fachgerecht verabreichten Dosen ein schönes Mittel.

 

Der schönste Beweis

 

Marc torkelte aus einem Club in Vancouver, als er die Nachricht meiner Diagnose las. 7.806,75 Kilometer entfernt, Auslandssemester, das schöne Leben. Zurück in Deutschland führte ihn einer seiner ersten Wege zu mir nach Hause, zusammen Formel 1 gucken, Großer Preis von Monaco. Ich war nervös. Das letzte Mal hatten wir uns Weihnachten 2015 gesehen. Eine betrunkene Umarmung in der Disko, nachdem wir über die Feiertage drei Tage hintereinander abgestürzt waren. Ich öffnete die Tür und wir begannen, wo wir aufgehört hatten: Unsere beiden Rechten schlugen zusammen, es klatschte durch den Flur, wir zogen uns zueinander und umarmten uns. Vielleicht ein wenig länger als sonst. Inniger ja, aber danach? Wir schwadronierten über mögliche Strategien, die Sebastian Vettel doch noch den Sieg bringen könnten. Ein paar Anekdoten aus seiner Zeit in Kanada, die ersten Tage bei der Familie nach seiner Rückkehr. Irgendwann fragte er mich, was denn so die Mädels machten? Er sagte es ohne sein typisch schelmisches Grinsen. Es war sein Ernst.

„Marc, guck‘ mich doch an! Das wird doch jetzt sowieso nichts.“
„Hätte ja sein können.“

Der Krebs war für ihn nicht da. Die ausgefallenen Haare vielleicht, das pausbäckige Gesicht. Aber nur für den ersten Moment. Danach war ich der Freund, den er immer hatte. Mit dem er das Leben genoss. Alles wie immer. Es lässt Spielraum, so zu agieren, als wäre nicht mal im Ansatz etwas passiert. Nach dem Treffen mit Marc und auch sonst; immer wieder zermarterte ich mir den Kopf: Interessiert sich mein Gegenüber nicht für mich? Will es nicht wissen, was ich durchlebe? All die Emotionen und Gedanken? Ich übersah, dass nicht nur ich gelegentlich einen Schutzmantel überzog. Auch sie. Vielleicht taten sie es sogar mit derselben Intention wie ich. Dass sie nicht nur sich, sondern auch mich schützen wollten. Dass die Krankheit mich eben nicht bestimmt, 24/7. Wenn dem wirklich so war: Wir wären gleich gewesen, ohne darüber geredet haben zu müssen. Kann es einen schöneren Freundschaftsbeweis geben?

 

Hier findest du alle „Fürs Erste Krebs“-Episoden von Sebastian Schramm.

Die Diagnose Krebs ist immer schlimm. Aber gerade jungen Menschen wird oft der Boden unter den Füßen weggerrissen, wenn ihnen die Krankheit in ihre Lebensplanung hineinpfuscht. Deshalb gibt es seit 2014 die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Ihr Ziel ist es, die Therapiemöglichkeiten und die Versorgungssituation zu verbessern und Erkrankten mit Gesprächen und Austausch zur Seite zu stehen. Die Facebook-Seite der Stiftung findet ihr hier.

 

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Bildquelle: Josefine Rosse