Schüchterne Berufseinsteiger: Seid mal stolzer auf Euch!
Mit den neuen Erstsemester-Studis kam auch meine Erkenntnis: Meine Unizeit ist gezählt! Mein Abipullover ist mittlerweile nicht mehr zwei Monate, sondern zwei Jahre alt. Ich frage niemanden mehr, wie denn das mit der Anwesenheitspflicht geregelt ist. Ich habe den Großteil meines Studiums hinter mir und werde die Uni in absehbarer Zeit verlassen. Danach kommt vielleicht ein Jahr im Ausland und das Masterstudium. Spätestens dann geht aber der richtige Ernst des Lebens los: das Berufsleben. Hiervor wurden wir eindringlich gewarnt – noch mehr sogar als damals vor dem Wechsel vom Kindergarten in die Schule. Und doch kommt es mir ähnlich vor. Man fühlt sich einigermaßen sicher in einer gewohnten Umgebung und hat den Luxus, alles auszuprobieren, das einen interessiert. Danach wartet Ungewisses. Etwas, das wir noch nicht erlebt haben. Was aber müssen wir wirklich wissen, um gut in den Beruf zu starten?
Die Unsicherheit zeigt sich schon in der Gehaltsverhandlung
Das Problem des schwierigen Berufseinstiegs beginnt schon lange vor dem Abschlusszeugnis. Im Studium hangeln wir uns von einem unbezahlten Praktikum zum nächsten – um dann festzustellen, dass das alles schnell zu viel werden kann. Später sind wir wahrscheinlich weniger wohlhabend als unsere Eltern und arbeiten länger für eine kleinere Rente. Das alles wissen wir. Außerdem nagt an den meisten auch die ewige Fragerei der anderen: „Was kann man damit denn später machen?“. Betont selbstironisch geben wir dann zu, dass wir keinen Plan haben. Alle lachen über den Witz des taxifahrenden Geisteswissenschaftlers und die Zukunftsangst geht trotzdem weiter. Diese Unsicherheit ist aber genau die Basis für die spätere Ausbeutung im Beruf.
„Die Berufseinsteiger machen sich da oft selber klein. Sie sind gar nicht stolz auf ihre bisherigen Erfolge. Ein Abschluss reicht nicht mehr, es muss immer mehr sein“, sagt dazu Berufseinsteigercoach Nadine Dürdoth. Das beginne im Vorstellungsgespräch und wirke sich dann natürlich auch auf die Gehaltsverhandlung aus.
Der Nachhall der Generation Praktikum?
Was darauf folgt, höre ich immer mehr von Freunden und Bekannten: unbezahlte Überstunden, ein Stundenlohn, der unter dem von früheren Aushilfsjobs liegt und entweder zu viel oder zu wenig Verantwortung. Sind Berufsanfänger daran selber schuld? Während des Studiums wird uns klar gemacht, dass der Abschluss kein Garant für irgendetwas ist. Wir sollten Berufserfahrung sammeln, uns ehrenamtlich engagieren, nebenbei Sprachen lernen und Zusatzqualifikationen erlangen. Am besten auch noch Kinder kriegen, damit wir dem späteren Arbeitgeber damit nicht auch noch auf die Nerven gehen. Das ewige Label der Generation Praktikum tut ihr Übriges und schon stehen wir da im ersten Job: jung, qualifiziert, unterbezahlt. Wir wollen mit dem Abschluss die Zeit der unbezahlten Praktika hinter uns lassen – um jeden Preis. Dafür nehmen wir schlechte Arbeitsverhältnisse hin. Die treibende Kraft dahinter ist Angst und Unsicherheit. Kein Wunder nach all dem, was wir gesagt bekommen Wir haben so viel Angst vor der Arbeitslosigkeit, dass wir alles akzeptieren. Genau deswegen sollten wir mutiger werden! Denn ewiges Herumjammern ( und dann doch wieder hinnehmen) ändert nichts am System!
Um sich nicht unter Wert zu verkaufen, schlägt Dürdoth vor, sich selbst zu vor Augen zu führen, was man schon alles erreicht hat. Das solle man in einer Erfolgsliste verschriftlichen. Zum Vorstellungsgespräch „sollte man Notizen mitbringen und sie vor sich liegen haben.“ Das sei völlig legitim und so vergesse man in der Aufregung nichts. Driftet man so nicht schnell vom berechtigten Stolz in die Selbstdarstellung ab? Um dem zu entgehen, ist es laut Dürdoth am besten, konkrete Beispiele von seinen Erfahrungen und Erfolgen anzubringen, anstatt sich pauschal Eigenschaften zuzuschreiben.
Wie viel dürfen Berufseinsteiger verlangen?
Meist am Ende des Gesprächs kommt dann aber noch die eine Frage nach der Gehaltsvorstellung. Die macht am meisten Kopfzerbrechen. Schließlich gehört das eigene Gehalt zu einem der letzten Tabus unserer Gesellschaft. Berufsanfänger wissen also gar nicht, wie viel sie so verlangen können und wollen vor allem nicht anmaßend wirken. Dürdoth rät, vorher im Internet oder über Bekannte zu recherchieren, welches Gehalt man erwarten kann. „Ein weiterer wichtiger Punkt ist, sich eine untere Grenze zu setzten, sich überlegen, was brauche ich zum Leben.“ Darüber sollte dann der eigene Vorschlag liegen.
Selbstbewusstes Auftreten ist laut Dürdoth auch Typsache, gerade jungen Frauen falle das häufig schwer. Deswegen sei es wichtig, so ein Gespräch vorher zu üben. „Man kommt sich da schon komisch vor.“ Wer aber vorher einmal durchgespielt hat, wie es ist, von seinen Erfahrungen zu berichten, damit nicht nur Erfolge sondern auch Selbstreflektion zu zeigen und dann auch noch das eigene Gehalt auszuhandeln, empfindet das Gespräch dann gar nicht mehr als so komisch.
Wer das Gespräch und die Verhandlung geübt und hinter sich gebracht hat, bekommt im besten Fall eine Zusage und einen Arbeitsvertrag zugeschickt. Jetzt heißt es erstmal freuen, aber auch: genau prüfen. Sollte einem beispielsweise die Überstundenregelung nicht gefallen, kann man natürlich nachfragen und sich alles erklären lassen. Wichtig ist auch, den Vertrag nicht sofort zu unterschreiben – und von jemandem prüfen lassen, der sich mit Arbeitsrecht auskennt. Mal nachzufragen, ob man unbezahlte Überstunden stattdessen abfeiern kann, ist also absolut berechtigt.
Der meiste Druck kommt von uns selbst
Nachfragen geht auch, wenn man später im Job ist und sich ungerecht behandelt fühlt. Bevor man da den Boss fragt, sollte man aber erstmal sich selbst fragen. Laut Dürdoth gehen nämlich der Druck und der Perfektionismus häufig von der Person selbst aus und noch nicht mal vom Arbeitsumfeld oder den Vorgesetzten. „Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass jemand ausgenutzt wird, dass der Arbeitgeber immer mehr fordert. Ich würde da das Gespräch mit dem Vorgesetzten suchen, sich da herantasten, gucken wie der reagiert, auch hier wieder Deine Erfolge anbringen.“ Sollte das kein Ergebnis bringen, könne man auch bei der Personalabteilung oder beim Betriebsrat um ein Gespräch bitten. In jedem Fall von unbezahlten Überstunden und wesentlich mehr nicht vereinbarten Aufgaben gilt: „Man darf es definitiv ansprechen.“
Um später nicht ausgebeutet zu werden, müssen wir also zuerst mal unsere eigene Einstellung zum Berufseinstieg und zu uns selbst verändern. Führt euch eure Erfolge vor Augen und zeigt sie anderen auch. Nicht nur eurem potenziellen Boss, sondern auch eurem Umfeld. Wenn du stolz auf dich bist und das auch zeigst, wirst du auch den Arbeitsplatz bekommen, den du verdienst.
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Titelbild: Pexels unter CC 0 Lizenz