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Was die ‚Generation Y‘ aus der Goldenen Hochzeit ihrer Großeltern lernen kann

Vor ein paar Wochen feierten meine Großeltern ihre Goldene Hochzeit – 50 gemeinsam verbrachte Ehejahre. Lange im Voraus hatten sie die Feier dazu geplant und stolz Verwandte, Freunde und Bekannte eingeladen. An ihrem großen Tag erlebte ich meine lieben Großeltern ganz aufgeregt. Beide über 70 Jahre alt, wirkten wie Jugendliche, nervös und stolz zugleich, als sie als Eheleute vorne in der Kirche saßen, der Pastor von ihrer Liebe und dem gemeinsam verbrachten Leben sprach. Am Ende des Gottesdienstes gingen beide zusammen unter einem Blumenbogen her. Ein sehr rührender Moment.

Menschen heiraten heute zehn Jahre später als früher

Als sich meine Großeltern vor 50 Jahren das Ja-Wort gaben, waren sie nur wenige Jahre älter als ich. Kurze Zeit später haben sie eine Familie gegründet. Ich bin mit meinen 20 Jahren mitten im Studium und Lichtjahre von so einer Situation entfernt. Nicht nur, weil ich mir persönlich Ehe und Kinder nicht vorstellen kann, sondern auch, weil sich die gesellschaftlichen Umstände verschoben haben. In Deutschland heirateten im Jahr 2014 insgesamt 386.000 Paare. 1950 waren es noch 750.000 Paare. Das durchschnittliche Heiratsalter der Frauen in Deutschland lag im Jahr 2015 bei 31,2 Jahren und bei Männern sogar bei 33,8 Jahren. Die Menschen heute sind also etwa zehn Jahre später dran als meine Großeltern, wenn sie dann überhaupt heiraten.

Obwohl ich mich eher mit den Lebensumständen und dem Heiratsalter meiner Generation identifizieren kann, kamen mir am großen Tag meiner Großeltern die Tränen. Ich bin stolz darauf, dass sie so viele Jahre gemeinsam miteinander verbracht haben. Zwei Menschen sind für einander Familie geworden, haben gemeinsame Kinder großgezogen und nicht aufgehört, sich zu lieben. Klingt wie ein Märchen, ist aber wahr.

Ehe ist ein Bündnis für die Ewigkeit

Als ich sie in einer ruhigen Minute fragte, wie das möglich ist, sagten sie weise lächelnd zu mir: „Mit Kompromissen und viel Respekt für den Gegenüber. Es hat auch mit Kämpfen und nicht aufgeben wollen zu tun. Aber vor allem einer tiefen Grundüberzeugung, dass eine Ehe ein Bündnis für die Ewigkeit ist und nicht einfach weggeworfen wird.“

So weit, so gut. Ich kann nicht sagen, dass ich diese Überzeugung teile, aber ich kann sagen, dass ich meine Großeltern bewundere. Es zeigt mir, was möglich ist. Und Respekt und Kompromisse finde ich auch essentiell für funktionierende menschliche Beziehungen.

Wenn ich mich in meinem Leben oder dem meiner Freunde umschaue, ist die Bereitschaft für Kompromisse und ein umeinander kämpfen oft das, woran es uns mangelt. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft, in der elektronische Gegenstände oft nicht mehr repariert, sondern ersetzt werden – was will man auch mit einem zwei Jahre alten Smartphone. Diese Einstellung scheint sich auch auf die Menschen übertragen zu haben. Werden die Probleme zu groß, ziehen wir uns lieber zurück. Natürlich lässt sich das nicht verallgemeinern, aber die Tendenz gibt es.

Unverbindliche Halbzustände

Hinzukommt, und das wiegt für mich viel schwerer als alles andere, dass junge Menschen, gerade Studenten, ein sehr unbeständiges Leben führen. Haben sie die Schule verlassen, pendeln sie nicht selten zwischen Heimatort und Studienstadt. Für Auslandsaufenthalte und Praktika müssen sie wieder an andere Orte. Diese Unbeständigkeit sorgt für immer wieder andere Lebensumstände. Da kann es schon mal komplizierter werden, eine Beziehung am laufen zu halten. Nicht selten lassen sich junge Menschen dann auf eine Freundschaftplus oder einen Mingle-Zustand ein. Gerade diese Bereitschaft für unverbindliche Halbzustände unterscheidet uns von unseren Großeltern.

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich könne mich in dieser Beschreibung nicht wiederfinden. Auch ich habe das so erlebt und genug Freunde, die von ähnlichen Erfahrungen berichten. Und ich finde es auch völlig okay, dass wir noch nicht zwangsläufig in Partnerschaften sind oder nach ihnen Ausschau halten, die die gemeinsame Familienplanung als Ziel haben. Ich bemerke, dass in meiner Generation die Menschen das Bedürfnis haben, erstmal herauszufinden, wer sie als Individuum sind. Das kann Selbstfindung und berufliche Verwirklichung bedeuten oder aber der Wunsch im Ausland eine neue Kultur kennenzulernen. Das bedeutet aber nicht, dass ich feste Partnerschaften nicht befürworte. Im Gegenteil, auch die sind wichtig und haben ihre Berechtigung, aber auch die Zeit zu zweit sollte man genießen und festigen, bevor man eine Familie gründet. Ich finde es also durchaus gerechtfertigt und sinnvoll, sich Zeit zu lassen und seine Zwanziger als „Orientierungszeit“ zu sehen. In dieser Zeit kann und soll man sich Ausprobieren dürfen in jeglichen Bereichen – Beruf, Sexualität und Kulturaustausch. Natürlich ist ein Leben nie festgefahren oder steht still, aber wenn diese Zeit ausgiebig genutzt wird, um in sich zu horchen und auszuprobieren, was im Leben gefällt, weiß man danach viel besser was man will. Und es ist unwahrscheinlich, dass einen irgendwann der Moment einholt, in dem man denkt etwas verpasst zu haben.

Trotzdem haben meine Großeltern nicht unrecht, wenn sie sagen: „Jemanden zu lieben reicht also nicht, man muss es immer wieder wollen. Man möchte nicht aufhören zu lieben, weil in der Gemeinschaft das persönliche Glück liegt.“

„Wie eine verrostete Schraube“

Wenn ich in der Generation Y frage, wie sie die Goldene Hochzeit der Großeltern erlebt haben, dann höre ich beeindruckte Stimmen: „Für mich ist eine goldene Hochzeit der wirkliche Liebesbeweis, was andere oder ‚moderne‘ Dinge, die als Beweisfunktion dienen sollen – wie ein Liebesschloss – keineswegs ausdrücken zu vermögen.“

Oder: „Da die Zeit so etwas Gewaltiges und Unabänderbares ist, ist es unschätzbar kostbar, sie gemeinsam zu durchzustehen – wie man auch beim Ehegelübde sagt ‚durch gute und schlechte Zeiten‘. Sie ist wie eine verrostete Schraube, die wackelt und nicht mehr schön aussieht, aber immer noch zusammen mit der Mutter den Zaun zusammenhält. Weil sie zusammen stark sind und sich über die Zeit so geformt haben, dass sie perfekt zueinanderpassen.“

Wenn ich das höre, gibt es mir die Hoffnung, dass auch in unserer Generation Leute dabei sind, die diese Art von Beziehung schätzen. Vielleicht wird sie in Zukunft nicht mehr so oft in einer 50-jährigen Ehe ausgelebt, aber in der Art von Beziehungsmodell, das unserer Zeit entspricht und ebenso viel Liebe und Wertschätzung beinhaltet. Und wenn meine Großeltern mir sagen, dass sie sich für uns junge Leute auch eine Beziehung wünschen, die eine Konstante ist und uns Stärke gibt, dann kann ich das verstehen. Manchmal wünsche ich es mir auch.