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Von Stolz und Schuldzuweisungen: Warum Streit so wichtig ist

Noch ist es eiskalt, nur langsam verschluckt die Sonne den Sternenhimmel. Vor uns liegt Wüste, hinter uns ein anstrengender Tag in einer Abfolge an skurrilen Tagen. Wir lehnen uns aneinander. Ich bin heilfroh, dass ich sie habe. Streiten kann man nur mit besonderen Menschen.

Sie sagte etwas, das mich zwischen den Zeilen verletzte. Ich sagte, dass sie ihre schlechte Laune an mir auslässt und verletzte sie genauso. Kurz und schmerzhaft. Wörter haben so viel Macht über uns, proklarieren sie doch Wahrheit. Doch manchmal liegen die Nerven blank, man steckt in einem emotionalen Chaos oder hat einfach zu lang nichts mehr gegessen. Kommt vor. Doch schnell fällt dann ein Wort, ein Satz, die zu viel Wahrheit beinhalten, als dass der andere sie ignorieren könnte. Und doch waren sie nicht so, nicht verletzend, gemeint. Doch was dann?

Kollateralschaden innerhalb von Sekunden

Denn bei aller Schönheit, aller selbstoptimierbarer Rationalität, all dem Glitzer in unserem Alltag, wir sind eben nicht immer die lieblichsten Versionen unserer Selbst. Deswegen ist es umso wichtiger, einen guten Umgang mit Wut, Aggression und Verletzungen zu finden. Aber oft haben wir nichts um diesen Affekt entgegenzusetzen, für den Moment des Explodierens. Zehn Sekunden reichen, um mit Beleidigungen um sich zu feuern – Kollateralschaden. Zehn Minuten braucht man mindestens, um sich zu beruhigen. Vergeben dauert oft noch länger.

Wer sich schließlich mit dem Thema Wut beschäftigt, bekommt schnell den Eindruck, dass Wut einen für eine Selbsthilfegruppe qualifiziert. Entweder ist sie eine gefährliche Überreaktion, eine traumatische Erfahrung, die ungefiltert dupliziert wird – oder mangelnde Kontrolle. Doch ich bezweifle stark, dass passiv-aggressives Verhalten und ungeklärte Streitigkeiten weniger negativ für das Umfeld sind. Und Herunterschlucken potenziert manchmal das Explosionsrisiko. Vielleicht wäre es eine gute Idee, in unterschiedlichen Sprachen zu streiten. Aber diese Option hat nicht jeder und manchmal versteht man trotz fehlender Sprachkenntnisse genau, was der andere sagt. Dabei sollte das Problem nicht die Wut sein. Immerhin gehört sie als Emotion und Affekthandlung zum Mensch-Sein dazu. Das Dilemma liegt eher an dem Postum, an dem was wir aus einem Streit machen.

Würdest du das im Streit Gesagte zurücknehmen?

Natürlich, wir sollten vorsichtig mit unseren lautgewordenen Gedanken umgehen. Doch böse Wörter fallen unweigerlich, manchmal sogar unbemerkt. Mit Sicherheit hat jeder von uns jemanden verletzt. Wer würde nicht das verletzende Momentum im Gesagten zurück nehmen, wenn er könnte. Doch trotzdem zerbrechen Freundschaften immer wieder an unnötigen Streitigkeiten.

Vielleicht liegt das dann an den Schuldzuweisungen und Beleidigungen, die gefallen sind? Vielleicht auch an Stolz und falschem Selbstwert? Verlieren wir wirklich, wenn wir nachgeben und verzeihen? Wenn wir zeigen, Menschen sind uns wichtiger als Dinge? Vielleicht hängt das mit einer um sich greifenden Wegwerfmentalität zusammen, dass Freundschaften genauso ersetzbar sind wie verwaschene T-Shirts. Vielleicht halten wir auch die Wut der anderen Personen nicht mehr aus. Vielleicht bleibt ziemlich viel Wut zurück, kalt wie Asche, aber immer noch zwischen zwei Personen.

Es gibt wohl viele Gründe, einen Streit nicht wieder zu klären. Aber all dies sind Gründe, die mehr mit uns selbst und verletzten Gefühlen zu tun haben, als mit dem Anderen. In solchen Fällen ist es heilsam, ein böses Wort nur als kontextgebundene Gefühlsäußerung dastehen zu lassen und nicht als immer gültige Wahrheit.

Ehrlichkeit tut weh

Mitten in der Wüste waren es keine dummen Beleidigungen, sondern Worte, die wegen ihrer Ehrlichkeit getroffen haben. Ja, gewaltig und unverhofft. Sie wie mich. Nach den Worten ist sie aufgestanden und natürlich ist der Gedanke, sie wäre nicht mehr wieder gekommen, im Nachhinein ziemlich melodramatisch. Aber es hätte trotzdem so sein können, so wie mit vielen anderen Freundschaften. Denn es ist eine schwierige Geschichte, kritisch zu sich selbst zu sein und das eigene Ego mit seiner Umwelt abzugleichen und daran zu wachsen. Manch einer bricht dann mit allem.

Doch ist das nicht ein entscheidender Zweck von Freundschaften, miteinander und aneinander zu wachsen, um irgendwann doch die beste Version seiner selbst zu sein? Doch das braucht manchmal Zeit und jede Sekunde Wut darüber, dass der andere einen entlarvt hat, lohnt sich, wenn es ein Weiter gibt.

Und dieses Weiter ist voll mit dem Wissen, dass, dass man streiten kann ohne den anderen zu verlieren. Voller lehrreicher Momente, die man gemeinsam bereut, voller Fehler und Facetten. Es ist so viel wohltuender und charakterlich größer, zu verzeihen als ewig beleidigt zu sein. Und es ist in dieser schnellen Welt so wertvoll, zu wissen, dass Freundschaften wichtiger sind als Dinge oder Missverständnisse.

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Bildquelle: Saksam Gangwar via unsplash CC0 Lizenz