Die Gen Z wünscht sich mehr Langsamkeit

Entschleunigung bei Gen Z: Brauchen wir wieder mehr Langsamkeit?

Comfort Books, Comfort People, Safe Space: Begriffe, die unsere Generation prägen. Wir begeben uns auf die Suche nach Spuren der neuen Entschleunigung bei Gen Z.

Wenn ich durch Instagram oder TikTok scrolle, dann werden mir viele Videos vorgeschlagen, in denen Menschen sich eine Wohlfühl-Atmosphäre schaffen. Vor allem junge Frauen zünden Kerzen an, backen sich Zimtschnecken, tragen gemütliche Pyjamas. „Deine Videos sind einfach Comfort“, schreibt eine Userin in die Kommentare. Zu dem Hashtag #comfort gibt es auf Instagram 7,8 Millionen Beiträge, zu #comfortfood 10,7 Millionen, zu #safespace 925.000. Und ich muss ehrlich sagen, auch ich bleibe immer wieder bei diesen Beiträgen hängen. Die Videos geben mir ein ähnliches Gefühl wie ein Schluck Kinderpunsch: Es fühlt sich nach Wärme und Zuhause an.

Die Währung unserer Gesellschaft heißt Geschwindigkeit

Ich habe ein paar der Mädchen angeschrieben, die solche Videos kommentiert haben. Ich wollte wissen, was ihnen daran gefällt, was sie berührt und wieso es das tut. „Kurz gesagt ist das einfach ein Safe Place auf Instagram“, antwortet mir eine. „Ich bekomme ein beruhigendes Gefühl“, schreibt sie. Mit dem Wunsch nach Ruhe und Langsamkeit sind die Mädchen auf Social Media nicht alleine. Denn unsere Welt ist schnelllebiger denn je. Sie will mehr, auch, wenn sie alles hat – und selbst, wenn sie das bekommt, hat sie nicht genug. Die Währung unserer Gesellschaft: Geschwindigkeit. Der Preis: Erschöpfung. Das zeigen unter anderem die Zahlen des diesjährigen Jahresberichts vom DGB-Index Gute Arbeit. Mehr als die Hälfte der befragten Beschäftigten gibt an, unter hohem Zeitdruck zu arbeiten.

Deswegen haben sich in den letzten Jahren viele Trends entwickelt, die nach Entschleunigung schreien. So möchten laut der Studie „Landlust neu vermessen“ vom Berlin-Institut für Bevölkerungsentwicklung viele Menschen wieder zurück aufs Land ziehen. Trends wie Tiny Houses oder das „Adult Colouring“ werden außerdem immer beliebter.

Ruhe ist das oberste Gebot

Vielleicht sind die Comfort Videos in den sozialen Medien also tatsächlich der Wunsch nach Entschleunigung, den sich die Generation Z traut zu äußern. Das ist nur meine Behauptung, dazu fehlen mir natürlich empirische Daten. Die Merkmale der Gen Z scheinen meine Überlegungen aber zu stützen. „Die Einsteiger von morgen (…) machen es sich gemütlich in ihrer kleinen Welt und geben sich schnell zufrieden“, schreibt das Jobmagazin karriereführer. Die Gen Z steht außerdem für den Wunsch nach Sicherheit.

Aber was ist es konkret, was der Generation Z Sicherheit verspricht? Niemand kann mir das wohl so gut verraten wie sie selbst. „Auf Instagram sind es Storys von einer heilen Welt“, erzählt mir meine Schwester. Sie ist 18. „Mein Comfort Book ist Wolkenschloss von Kerstin Gier und wenn ich nicht schlafen kann, höre ich immer Connie oder die drei !!!.“ Welten also, die nicht schwer zu verstehen sind; eine alternative Realität, in der man eigentlich nicht anders kann als sich wohlzufühlen. „Und Comfort People sind für mich Menschen, die Ruhe ausstrahlen“, sagt meine Schwester. „Ich brauche das manchmal, um mich zu verstecken, mich klein zu fühlen und zu verstehen, dass die Welt sich weiterdreht und alles normal ist.“ Der Wunsch nach Ruhe scheint alle Menschen, mit denen ich gesprochen habe, zu einen. Hört sich für mich ganz schön nach Überforderung von der Welt an.

Auf Konzerten klingt es jetzt nach Harmonie

Aber vielleicht ist es die Gen Z, die etwas verändern kann. „Es wird wieder eindeutig zwischen Arbeitszeit und Privatleben getrennt“, sagt Christian Scholz in einem Interview gegenüber karriereführer. Der BWL-Professor hat die Generation Z und ihren Einfluss auf die Berufswelt analysiert. „Um 17 Uhr beginnt die Freizeit, dann wird der Hebel umgelegt“, erklärt er. Scholz betont außerdem, dass die Gen Z sehr harmoniebedürftig sei. Auch das passt mit den Comfort Videos auf Instagram & Co. irgendwie gut zusammen.

Der Wunsch nach Harmonie spiegelt sich jedoch nicht nur in den sozialen Medien wider. Gegenseitiges Verständnis und Empathie scheinen auch in anderen Bereichen eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Erst vor wenigen Wochen war ich auf einem Konzert von Provinz. Vor ihrem Auftritt wurde eine Audio abgespielt, in der sie betonten, dass die Konzerthalle ein Ort sein soll, an dem sich alle wohlfühlen. Die Fans sollen aufeinander achten. Das habe ich bisher bei keinem anderen Konzert mitbekommen. Und Provinz? Die sind Teil der Gen Z.

Zeit für Hoffnung?

Corey Seemiller und Meghan Grace stellten in ihrem Buch „Generation Z: A Century in the Making“ ebenfalls genau diese Harmoniebedürftigkeit fest. Ein Mitglied der Gen Z erzählte ihnen: „I think being kind to one another, looking on the bright side, and being an honest genuine person can make the world a better place.“ Das hört sich angesichts der Grausamkeiten auf unserer Welt ja eigentlich ganz hoffnungsvoll an. Offen bleibt, wie repräsentativ das alles wirklich ist, ob auf der Welt überhaupt noch Platz für Hoffnung ist oder ob es nicht vielleicht einfach zu spät ist.

Für mich jedenfalls spielt Langsamkeit eine große Rolle. Ich brauche Me Time, ich brauche Harmonie und ich brauche Comfort Serien. Lorelei und Rory aus Gilmore Girls werden immer meine erste Anlaufstelle sein, wenn es mir nicht gut geht. Sie sind wie ein Pflaster für die Seele, wie eine Pause-Taste für das Gedankenkarussell. Und damit bin ich wohl ein Fallbeispiel meiner Generation.

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Bildquelle: Andrea Piacquadio von Pexels; CC0-Lizenz