Generation Wer sind wir eigentlich Identität

Meine Fresse, sind wir wirklich ein Haufen Jammerlappen?

Okay, ein Mal noch. Wir versprechen bald haben wir’s. Ein einziges mal noch die Generationen-Kiste. Und das nicht ohne Anlass: Die ZEIT-Vermächtnis-Studie wirft uns nämlich vor, dass es unsere Generation faktisch gar nicht gebe. Was? Aber… aber… wir sind doch so “anders“. Und so sehr um Distinktion bemüht, oder?

Was ist, was soll und was wird? Die Studie stellt ihren Probanden Fragen über das Wir-Gefühl, Gerechtigkeit, Gesundheit, Karriere, Leben und Tod. Einer so intensiven (3104 persönliche Interviews) und langfristigen Studie (über zwei Jahre), wie der ZEIT Vermächtnisstudie, ist nur schwer zu widersprechen. Die ZEIT titelt: “Generation Gibtsnicht“. Was damit gemeint ist: Die Grenzen verschwimmen – es soll uns, die Generation Y, eigentlich gar nicht geben.

Ein Beispiel: 72 Prozent der Generation Y, also aller zwischen 1981 und 1995 geborenen, bejahten die Frage, ob Männer und Frauen sich Haushalt und Kindererziehung teilen sollten. Unsere Eltern und Großeltern waren nicht nur der gleichen Meinung, sondern sogar zu höheren Prozentsätzen, und zwar zu 77 und zu 75 Prozent.

 

Unsere persönliche Digitalisierung

Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur und Posterboy der ZEIT, stellt zu seiner Überraschung fest, dass trotz der digitalen Revolution, die Wert-Unterschiede zwischen den Generationen sehr gering sind.

Sind wir nichts weiter als eine Schnittstelle? Eine Übergangsphase zwischen unseren technikfremden Eltern und unseren kleinen Geschwistern, Nichten und Neffen, die sich ein Leben ohne Smartphone überhaupt nicht mehr vorstellen können.

Vielleicht, schließlich sind wie diejenigen, die ihre Eltern noch gefragt haben, ob sie eine halbe Stunde “computern“ dürfen. Diejenigen, die ihr erstes Handy eher zur Volljährigkeit als zur Einschulung bekommen haben. Und doch hat unsere persönliche Digitalisierung in einer höchst lernfähigen Phase stattgefunden – im Gegensatz zu unseren Eltern.

 

Lexika und Nostalgie

Meine Mutter hat Dinge noch im Lexikon nachgeschlagen. Gab es beim Mittagessen eine Meinungsverschiedenheit, stand meine Mutter mit einem lauten “Ich schlag’ das jetzt nach!“ auf und hat uns mit einem Blick ins senfgelbe Buch von der Unwissenheit erlöst. Ich und meine Geschwister fanden das immer unheimlich anstrengend und ein bisschen altmodisch. Jetzt denke ich mit einer Art Nostalgie daran zurück. Irgendwie schön, diese Mühe, die nur dafür aufgebracht wurde zu wissen, wie Bernstein entsteht oder wann Einstein starb.

Stichwort: Nostalgie – unsere Generation sehnt sich auf oft übertriebene Art und Weise nach ihrer eigenen Kindheit zurück. 90er Parties, 90er Trends und unzählige “Wir Kinder der 90er“-Listen bei Buzzfeed. Wir sehnen uns nach etwas zurück, das wir ja eigentlich nur in Ansätzen miterleben dürften: Einer pre-digitalisierten Welt.

 

“Meine Fresse…“

Erst kürzlich schrieb ein User, hier bei Zeitjung, folgende, nennen wir sie energiegeladene, Zeilen unter einen Artikel: “Meine Fresse diese Smartphonegeneration ist so verweichlicht und peinlich. Wie wäre es wenn ihr euer Leben einfach mal so lebt wie ihr wollt und auch nur für euch und nicht für andere? Ja ist schwer ich weiß aber ich verrate euch mal was: das Leben ist für NIEMANDEN leicht.“

Damit kritisiert er, zwar mit Hilfe von passiv-aggressiven Phrasen, dem Verzicht auf Kommata und Caps-Lock, doch beängstigend vieles, was wir einfach nicht auf die Reihe bekommen. Einfach mal so leben, wie ich will? Was will ich denn? Für mich uns nicht für andere? Wenn es doch so einfach wäre… Und zack, schon wieder habe ich damit angefangen zu jammern. Ist es das, was uns ausmacht? Sind wir alle Jammerlappen, Heulsusen und leiden unter aufgeblasenen Erste-Welt-Problemen? Vielleicht.

 

Unsere eigene Befindlichkeit

Und was, wenn der Verfasser des Kommentars vollkommen Recht hat? Was, wenn wir das Jammern salonfähig gemacht haben? Wir sind die erste Generation, die eine ganz neue Mediensparte erschaffen hat, die sich mit Befindlichkeitsthemen auseinandersetzt. Hatten unsere Großeltern mal Liebeskummer, konnten sie froh sein, Rat von ihren Freunde zu bekommen – wir hingegen werden überschüttet mit manchmal mehr, manchmal weniger hilfreichen Texten, die fußballfeldgroße Flächen zur Identifikation bieten. Das Internet hat einfach schon alles gesehen.

All das macht uns, aus wissenschaftlicher Sicht, leider noch nicht zu einer individuellen und starken Generation. Das heißt dann für uns nun entweder Jammern, weil wir das ja besonders gut können, oder dankbar sein, dass der Generationen-Kelch vielleicht doch an uns vorbei gehen könnte. Wir können ja mal versuchen einfach nur wir selbst zu sein, ohne die übergestülpten Stereotypen, die wir seit Jahren mit uns rum tragen.

Das bitter-schmeckende Ergebnis der Vermächtnisstudie: Innerhalb unserer Generation unterscheiden wir uns nicht mehr durch Alter, sondern durch soziale Klassen. Wer gebildet und weltoffen ist und gut verdient, kann – egal, zu welcher Generation er denn nun gehört – seine Träume und Wünsche verwirklichen.

 

Was daran traurig ist:

Diese Spaltung hat traurige Auswirkungen auf unsere eigene Generation: Wir sind in-uns zerrüttet und geschwächt. Diese sogenannten sozialen Klassen sehen heute zwar anders aus als früher, doch den Graben haben wir selbst noch tiefer geschaufelt. Viele von uns leben in Welt, die so gar nichts mehr miteinander zu tun haben.

Dieser dadurch entstehende Interessenskonflikt macht uns zu einer schwachen Lobby für unsere Meinungen. Viele von uns wollen einfach nicht dasselbe – verständlicherweise, denn wer vom Professorenvater die Zwei-Zimmer-Wohnung in der Innenstadt bezahlt bekommt, kümmert sich um andere Belange und Probleme als der, mit der alleinerziehenden Mutter in der Platte lebende, 22-Jährige.

Generationen haben sich aufgelöst: Beziehungen und Freundschaften sind schon längst generationsübergreifend möglich ohne, dass Lebensentwürfe aufeinander prallen. Mütter und Töchter bezeichnen sich als beste Freunde und Papa schickt “lustige“ Videos per WhatsApp. Und das ist auch gut so, denn das Problem ist doch eigentlich der Begriff der “Generation Y“, auf den sich Slogan-süchtige Medien schon vor Jahren gierig gestürzt haben. Genau, wie “Das ist so Hipster!“ und “No Diggity“ von Blackstreet, hat eine Über-Strapazierung stattgefunden und wir können es einfach nicht mehr hören. Das Ende des Generationen-Begriffs allein wird  unsere Probleme aber leider nicht lösen.

 

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Bildquelle: Little_Li unter CC by ND 2.0