Die leise Trennung: Ghosting
Freundin M. ist verwirrt. Diese Sache mit diesem Typen lief doch eigentlich ganz gut… oder? Klar, das war noch keine große Liebe, aber das Beziehungsgebiet wurde doch langsam, aber sicher, angesteuert. Ich nicke zustimmend, während die sitzen gelassene M. sich weiter den Kopf zerbricht. Ihr Herz ist zwar noch ganz, aber wieso er sich nach einigen Verabredungen, Nachrichten und mehr als freundschaftlichen Berührungen nicht mehr meldet, kann sie sich nicht erklären.
Die unbequeme Wahrheit: Freundin M. war Opfer von Ghosting. Eine englische Wortschöpfung, die das, was ihr passiert ist, auf den Punkt bringt. Frei definiert bedeutet Ghosting so viel wie ohne erfindlichen Grund aus dem Leben einer Person, die einem mehr oder weniger nahe stand, zu verschwinden. Zu einem Geist werden. Sich auflösen. Ganz ohne Schlussmach-SMS oder dramatische Trennungsszene. Einfach stillschweigend das Ganze beenden und jegliche Kontaktaufnahmen der sitzen gelassenen Person ignorieren. Die kalorienreduzierte Version des Schlussmachens also.
Salonfähiges Ghosting
Eine ganz schön fiese Nummer, aber der Mensch hat es nun mal gerne unkompliziert. Und was ist einfacher als die Tür hinter sich zu zuschmeißen? Keine Tränen, keine Vorwürfe, nicht mal die Portion „Awkwardness“, die nach einer unangenehmen Trennung zwischen einem liegt. Ghosting ist salonfähig geworden und wir alle kennen es. Ob wir es selber getan haben oder Opfer des Ghostings waren – das unsichtbare Schlussmachen ist uns allen nicht so ganz unbekannt.
Nora Crotty von der amerikanischen ELLE hat in einem Online-Poll herausgefunden, dass nur 36 Prozent der befragten Männer und 23 Prozent der Damen noch nie in Kontakt mit Ghosting gekommen sind. Der Rest war bereits in der Opferrolle, selbst der Übeltäter oder in beiden Rollen. Ghosting ist also in der Mitte der Gesellschaft angekommen und die Hemmschwelle jemanden zu „ghosten“, ist extrem niedrig.
Ghosting Vorfälle sind auch bei den Schönen und eigentlich Unverwundbaren zu finden. Pärchen, wie Charlize Theron und Sean Penn, vor kurzem noch „madly in love“, haben den Kontakt zueinander verloren. Die angebliche Übeltäterin: Charlize, die offenbar einfach keine Lust hatte sich den ganzen Stress anzutun. Wer weiß, vielleicht macht Sean Penn im Privaten gerne mal eine Szene. Sie griff also zur einfachsten Lösung und beendete die Beziehung mit der Allzweckwaffe „Ghosting“. Das berichten zumindest amerikanische Medien.
So einfach wie nie
Die unbequeme Wahrheit, der wir schon wieder nicht aus dem Weg gehen können, ist: Zum einen sind wir alle anfällig für Ghosting – wer frei von Schuld ist, zähle alle seine missglückten Dates und die darauf folgenden ignorierten Nachrichten auf – zum anderen, ist es schon wieder die verdammte Technologie, die uns das „Unmoralischsein“ so verdammt leicht macht. Konfrontationen aus dem Weg zu gehen, ging noch nie so locker-flockig über die Bühne wie in Zeiten von Onlinekommunikation.
Nachrichten auf dem Handy nicht zu öffnen ist viel zu verlockend, als dass wir uns den ganzen Stress mit einem klärenden Gespräch antun würden. Ignoranz siegt und über unangenehme Dinge von Angesicht zu Angesicht zu reden wird immer mehr umgangen. Stattdessen lassen wir die Sache hinter uns, Gras drüber wachsen und vergessen, ganz unschuldig, einer Person auf die letzte Nachricht zu antworten. Das nächste Date ist im Zweifelsfall eben auch nur einen Wisch nach rechts und ein paar Zeilen sinnentleerter Kommunikation entfernt. Chancen über Chancen sorgen dafür, dass der Verlust einer Person nicht mehr ins Gewicht schlägt.
Sean Penn – der Übeltäter?
Wenn wir mal ehrlich sind und die andere Ghosting-Perspektive, nämlich die des Schlussmachers, nicht unter den Tisch kehren, müssen wir zugeben: Ghosting hat auch seine guten Seiten. Sonst wäre die geheime Ghosting-Fangemeinde ja nicht so groß. Ein klarer Schlussstrich kann so sehr verletzten – Ghosting dagegen lässt einige Fragen offen und eventuell sogar einige Herzen ungebrochen. Die Moralapostel kreischen an dieser Stelle wahrscheinlich schockiert auf, aber der oder die Sitzengelassene kann sich schließlich immer noch einreden, die verblasste Liebschaft habe das Handy verloren oder musste überstürzt das Land verlassen. Man weiß ja nie.
Was hingegen sicher ist: Manchmal hat es eine Person einfach nicht verdient, eine anständige Schlussmachszene zu bekommen – manchmal ist Ghosting legitim. Das amerikanische Onlinemagazin Jezebel schreibt sogar über den prominenten Ghostingvorfall, dass Sean Penn (Sean Penn!!!) das Ghosting wahrscheinlich verdient habe. Sie finden: „Generally a person worthy of ghosting has really done something really, truly terrible.“ Wir enthalten uns einer Bewertung der Beziehungskompetenzen Sean Penns und merken an, dass Ghosting selbstverständlich nicht die feine englische Art ist. Also, falls möglich, die erloschene Flamme sanft auspusten und die Beziehung mit Anstand (und einem Gespräch) beenden.
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Bildquelle: unsplash.com/Vilada Vigerova