„Giant Little Ones“: Coming of Age-Heimkino für Herz und Hirn

Ein Beitrag von Maximilian Fischer

Fast zwei Jahre nach der Premiere in Kanada erscheint Keith Behrman’s aufwühlendes Jugendporträt „Giant Little Ones“ auch endlich in Deutschland. Die Geschichte von zwei Jugendlichen, deren Freundschaft auf eine harte Probe gestellt wird, ist perfekter Stoff für einen heimischen Filmabend in Coronazeiten – auch, weil das Werk Mut macht.

Es ist nur ein Moment, eine Szene im Film, die die Freundschaft von Franky (Josh Wiggins) und Ballas (Darren Mann) aus den Fugen geraten lässt. An seinem 17. Geburtstag möchte Josh eigentlich mit seiner Freundin Priscilla zum ersten Mal Sex haben. Nach einer wilden Feier landet das Geburtstagskind aber nicht mit seiner Freundin, sondern mit seinem besten Freund Ballas im Bett. Es kommt zum Oralsex. Ballas, der selbst in einer Beziehung mit Jess ist, versucht den „Vorfall“ auf den Alkohol zu schieben, während der eigentlich beliebte Franky in der Schule ins Abseits gerät.

Was „Giant Little Ones“ so besonders macht

Keith Berhman’s zweiter Langspielfilm nach mehr als sechzehn Jahren ist eine Coming of Age-Story, die nicht auf Labels setzt, sie völlig ausblendet und die Zuschauer auffordert genauer hinzuschauen. In der Schule wird Franky zwar schnell zur „Schwuchtel“ abgestempelt und von den Mitgliedern seines Schwimmteams verprügelt, im Innenleben der Figur spielen sich aber viel komplexere Vorgänge des Erwachsenwerdens ab. Sexualität oder sexuelle Orientierung spielen dabei nur eine kleine Rolle, im Verlauf des Films kommt Franky auch wieder mit einem Mädchen (Taylor Hickson) zusammen. Ballas hingegen versucht, sein Image des potenten Heteros zwanghaft aufrechtzuerhalten. Auch auf Kosten der jahrelangen Freundschaft mit Franky. Der Prozess der Identitätsfindung spielt sich jedoch unabhängig vom Geschlecht der Personen ab – fast ein Novum im Genre.

Frei von Vorurteilen

Coming of Age-Geschichten mit schwulem Hauptdarsteller gab es in den letzten Jahren einige – wie zum Beispiel die sehr gelungene Buchverfilmung „Love, Simon“. Im Vordergund stand aber immer das Labeln der Figuren als schwul und nicht-schwul und der Umgang mit dem Coming Out. In Giant Little Ones ist bis zum Ende nicht klar, was Franky jetzt ist. Und es ist auch egal. Franky’s Vater (Kyle MacLachlan), der seit einigen Jahren in einer homosexuellen Beziehung lebt, bringt in einer bewegenden Szene den Kern der Geschichte hervor: „Ich würde sagen, du schaust einfach, zu wem du dich hingezogen fühlst und kümmerst dich nicht so sehr darum, wie man es nennt.“ Die Zeit wird es zeigen, wissen muss man es jetzt noch nicht. Der Film schlägt damit in eine ähnliche Kerbe wie „Call Me By Your Name“ und macht das Konzept „Liebe“ unabhängig von bestimmten Figurenkonstellationen erfahrbar.

Worauf es wirklich ankommt

Eine große Leistung, die Behrman mit lockerleichter Hand, Humor und einem großartigen Soundtrack auf die Leinwand zaubert. Überhaupt verströmt der Film einen Grundoptimismus, der fast schon meditative Züge annimmt und so der Unsicherheit der Protagonisten auch positive Aspekte abgewinnt. Wenn man bedenkt, dass das Drehbuch entstand, nachdem Behrman die Geschichte von mehreren schwulen kanadischen Jugendlichen hörte, die sich aufgrund von Mobbing das Leben nahmen, ist das bemerkenswert. Eine Geschichte über Teenager, die sich das Leben nehmen, war für den Regisseur aber keine Option. Am Ende ist „Giant Little Ones“ in Zeiten von Klopapierdiebstahl und Desinfektionsmittelraub ein Marker dafür, mit was wir uns in unserer freien Zeit mal wirklich beschäftigen sollten – mit uns selbst und den Menschen, die uns wichtig sind.

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Bildquelle: Director Keith Behrman of GIANT LITTLE ONES, photo by Shane Mahood, courtesy of Mongrel Media