Hannah Rohs

Hannah, 24, ist Europäerin

Hannah sitzt auf der Couch eines Münchner Cafés und verabschiedet sich von ihren Gästen, mit denen sie gerade zwei Stunden ausführlich über Europa-Politik diskutiert hat. Die Gäste waren zum Teil enge Freunde, zum Teil völlig Fremde. Gastgeberin Hannah hat zu einem EU-HausParlament eingeladen. Hinter dem Konzept der HausParlamente steckt die Bürgerinitiative Pulse of Europe, die Idee dahinter ist simpel: Fremde Menschen sollen in kleinen Gruppen aus drei bis acht Leuten zusammenkommen und sich in Wohnzimmer-Ahmosphäre über EU-Politik austauschen, bei einem guten Essen, in einem Café oder in einer gemütlichen Bar. Die Themen sind von Pulse of Europe vorgegeben und betreffen wichtige Entscheidungen auf Europaebene. Dieses Mal auf der Agenda: Die Einführung einer potenziell europaweit-gültigen CO2-Steuer, der finanzielle personelle Ausbau von FRONTEX an den europäischen Außengrenzen und die Idee eines EU-Arbeitslosenfonds für Notzeiten. Alles Themen, die auf den ersten Blick wenig mit dem Alltag junger Menschen zu tun haben.

Wie das Treffen ablief? Hier entlang!

„Ich fühle mich europäisch“

Gastgeberin Hannah ist 24 Jahre alt und studiert Politikwissenschaften in Wien, aufgewachsen ist sie jedoch in München. Ihre Vorliebe für Politik schlägt sich auch in ihrer Freizeit nieder. Aktuell beschäftigt sie sich viel mit den Themen, die Europa derzeit bewegen – unter anderem natürlich mit der anstehenden EU-Wahl. „Je mehr ich mich mit Europa beschäftige, desto europäischer fühle ich mich.“ In wenigen Wochen, am 26. Mai, findet schon die nächste Europawahl statt. Umso erschreckender findet es Hannah, dass so viele junge Menschen nicht wirklich wissen, wie wichtig die kommende EU-Wahl ist. „Mir ist aufgefallen, dass super viele Leute, die eigentlich politisch interessiert sind, sich noch überhaupt nicht damit beschäftigt haben. Deshalb dachte ich mir, es wäre cool, wenn ich die Aufmerksamkeit vermehrt darauf lenken könnte. Bei Pulse of Europe habe ich dann von diesen Hausparlamenten gelesen und hatte sofort Lust, selbst eines zu organisieren!“

Geringer Organisationsaufwand

Gesagt, getan. Alles, was Hannah dafür tun musste, war es, sich auf der Website von Puls of Europe anzumelden. „Wenn das Hausparlament startet, bekommt man eine Mail mit Infos und einem Leitfaden. Dort steht ganz genau drin, wann du welche Dokumente an Pulse of Europe schicken sollst und wie viele Leute kommen können. Vorgesehen sind für jedes Hausparlament drei bis acht Leute. Du musst dich nur um den Ort und die Einladung der Leute kümmern.“ Ein geringer Organisationsaufwand, der die 24-Jährige alles in allem nicht einmal eine Stunde gekostet. Das HausParlament ist aber nicht das einzige Projekt, das die Politikstudentin anlässlich der EU-Wahl gestartet hat. Auf ihrem privaten Insta-Kanal lädt Hannah momentan viele Erklär-Stories hoch, um ihre Freunde und Follower über die Wahl zu informieren.  Unter anderem eine, in der sie die EU-Institutionen und ihre Funktionsweise erklärt und eine, in der sie die verschiedenen Parteien und deren Ziele vorstellt. „Ich will auch ganz gezielt Sachverhalte erklären, zum Beispiel wie die Briefwahl funktioniert und wie man sie beantragt.“

„Wir wollen gehört werden“

Die zweite Runde der HausParlamente unter der Überschrift „Ein Europa, das schützt“ ist seit Sonntag europaweit durch. Zu jeder Runde werden zusätzliche Fragebögen mitgesandt, auf denen die jeweiligen Themen kurz erläutert werden. Eine kleine Liste an Pro- und Contra-Argumenten zu jedem Thema soll die Diskussion anregen. Hannah hat ihre Gäste durch die Themen moderiert und während der Diskussion ein bisschen mitgeschrieben. „Ich habe versucht, das Stimmungsbild einzufangen. Als Gruppe haben wir gemeinsam die Ergebnisse unserer Diskussion eingetragen und ich werde diese dann später auf der Website von den Hausparlamenten hochladen, die fassen das mit anderen Hausparlamenten zusammen und geben es an die zuständigen Abgeordneten weiter.“ Die Zuständigen, das sind unter anderem Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD und Sven Giegold, Spitzenkandidat der Grünen. „Die Ansprechpartner im Parlament werden sich zu unseren Diskussionen äußern und müssen zu den Meinungen aus der Bevölkerung Stellung beziehen. Das finde ich richtig gut, wir wollen wahrgenommen und gehört werden.“

„Es muss mehr geredet werden“

Die Resonanz auf ihre Einladung war so mittelmäßig, aber letzten Endes hat Hannah fünf diskutierfreudige Kandidaten für ihr HausParlament gefunden – mit dem Ergebnis ist sie sehr zufrieden. „Für mich war es cool, festzustellen, dass sich jeder gut an der Diskussion beteiligt hat und sicher hat auch jeder was aus der Diskussion mitgenommen. Ich fand es außerdem interessant, sich tatsächlich mal genauer mit einzelnen Themen auseinanderzusetzen, mit denen man sich sonst niemals beschäftigen würde. Aber das ist wichtig, um den politischen Prozess zu verstehen. Klar macht es nicht so großen Spaß, über Steuerpolitik zu diskutieren und sich da einzulesen, trotzdem muss darüber geredet werden.“

Warum sollten wir Millenials uns für Europa interessieren?

Bei EU-Themen wie Steuerpolitik, Grenzschutz oder Arbeitslosenfonds haben die wenigsten Studenten und jungen Leute so wirklich einen Durchblick, was sicher daran liegt, dass uns solche Themen in unserem Alltag kaum tangieren. Warum also sollten wir uns als Millenials trotzdem für Europa-Politik interessieren? „Die meisten aktuellen Probleme sind meiner Meinung nach nicht mehr national lösbar. Überhaupt gehören nationale Lösungsansätze der Vergangenheit an – in unserer kapitalistischen und globalisierten Welt. Die diesjährige EU-Wahl wird nicht ohne Grund als die ‚EU-Schicksalswahl’ schlechthin bezeichnet, man muss sich nur mal den Rechtsruck in der Gesellschaft ansehen.“ In Zeiten, in denen der Rechtspopulismus wächst und Anti-EU-Haltungen zunehmen, sieht sie in den HausParlamenten eine Chance, um ein Zeichen gegen den verstärkten Nationalismus zu setzen.

„Wir sollten stolz sein“

Darum kann Hannah es auch nicht nachvollziehen, wenn junge Leute auf ihr Wahlrecht verzichten. „Es geht schließlich um unsere Zukunft, nicht um die der Menschen 60 plus, die gehen nämlich wählen, aber es kommt auf uns an.“ Die EU-Wahl ist in ihrer Form die einzige demokratische Wahl auf EU-Ebene, bei der die Wähler ein Mitbestimmungsrecht besitzen. Das EU-Parlament das einzige Parlament, das so supernational agiert. „Das ist so etwas Besonderes und wir sollten stolz sein, dass wir es geschafft haben so einen Zusammenhalt aufzubauen.“ Hannah’s versteckte Botschaft zwischen den Zeilen: „Schätzt das wert und geht wählen!“

„Mir fehlt ein europäischer Grundgedanke“

Am Ende steht für Hannah fest: Sie würde jederzeit wieder ein HausParlament auf die Beine stellen. Allerdings würde sie beim nächsten Mal darauf achten, dass die Gruppe ein bisschen durchgemischter ist. Damit eine Diskussion so richtig entflammt, braucht es möglichst verschiedene Einstellungen. „Wir waren nur Studenten mit einer ähnlichen, eher sozialbestimmten Meinung zu den Sachverhalten. Es wäre sicher nochmal interessanter, mit Menschen zu diskutieren, die extrem konservativ oder wirtschaftsliberal eingestellt sind.“ Was Hanna sich für die Zukunft von der EU wünscht, ist ein europäischer Grundgedanke. „Die EU hat als Wirtschaftsbund angefangen und ist letztlich nie weiter gekommen, es gibt Institutionen und gute Zusammenarbeiten wie das Schengenabkommen, aber wer sieht sich schon primär als Europäer? Das soll sich ändern, ich will zukünftig viel mehr EU!“

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Bildquelle: Hannah Rohs