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Hassobjekt: Fanmeilen-Mäuschen und Public-Viewing Parasiten

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten immer Montags in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: „Fanmeilen-Mäuschen“.

Ein Hassobjekt von Melanie Rojahn. 

Seit vergangenem Freitag rollt er wieder: Der Ball. In diesem Jahr hört das offizielle WM-Leder auf den klangvollen Namen „Telstar“. Und ein „Fernsehstar“ ist er auf jeden Fall.

Aber wie viele Mannschaften treten in diesem Turnier eigentlich gegeneinander an? Und in welchem Spielmodus? Funktioniert die Abseitsregel auf internationalem Boden genauso wie in der Bundesliga? Was soll der Rasierschaum in der Tasche des Schiedsrichters? Abhilfe bei all diesen übermächtigen Fragezeichen liefert selbstverständlich das Internet, die Fachpresse oder der gesunde Menschenverstand.

 

Die fleischgewordene Fachkompetenz in High Heels

 

Wem das alles zu langweilig ist, kann diese Fragen auch durch die geballte Fußballkompetenz in Person des Public Viewing-Mäuschens klären lassen. Das Public Viewing-Mäuschen gehört zur Gattung der Pseudo-Fans, die alle zwei bis vier Jahre auf den Euphoriezug von König Fußball aufspringen und medienwirksames Füllmaterial für Berichterstattung über die Lebenslust der Deutschen liefern. Warum dieses Exemplar nur alle zwei bis vier Jahre in freier Wildbahn zu sichten ist? Das Public Viewing-Mäuschen ist ein Herdentier und kann nur in Anwesenheit von mindestens 80 Millionen weiteren euphorisierten Fußballinteressierten existieren.

Wie nur wenige seiner Artgenossen, kennzeichnet dieses (vorwiegend) weibliche Geschöpf zumeist ein sehr üppiges Gewand in Schwarz-Rot-Gold. Praktischerweise verleiht der farblich abgestimmte Nagellack ungeahnte Fachkenntnisse, die das Public Viewing-Mäuschen gerne mit den umstehenden Rudelmitgliedern teilt. Kompetenzausbrüche wie „Mats Hummels ist der süßeste Typ EVER!!!“, „Das Auswärtstrikot steht dem Boateng einfach so gut!!!“ oder „Die verkaufen hier gar keine Weinschorle an der Bar!“ bereichern doch wirklich jedes Fußballspiel.  

 

Abgekühlte Vaterlandsliebe

 

Ja, es ist ein buntes Treiben, welches die großen internationalen Sportveranstaltungen in unseren Straßen und vor unseren Bildschirmen auslösen. Ein Hoch auf den Patriotismus! Es sei uns Deutschen gegönnt. Schließlich wissen wir doch erst seit Jürgen Klinsmann und der WM 2006, wie schön unser Land im Sommer ist. 

Die Vaterlandsliebe kühlt bei Betrachtung und vor allem beim Anhören des Public Viewing-Mäuschens aber ziemlich schnell ab. Ganz eindeutig artikuliert sich dieses Wesen aus Anpassungs- und Tarnungsgründen. „Schlaaaaand“ bekommt jeder noch hin, bei komplex komponierten Symphonien wie „Allee Allee (Eine Straße, viele Bäume)“ trennt sich die Spreu vom Weizen und die Gelegenheits-Fußballgucker entlarven sich selbst. Hier ist also Obacht geboten. Lieber nickend am Bier nippen und hoffen, dass sich aus diesem Chor keine Wiedergabe auf Dauerschleife entwickelt. Denn auch, wenn die Texte nicht unbedingt vor Komplexität strotzen, so ist die Vielfalt an Worten doch recht schwierig für das niedliche, auf Spielerwaden fokussierte Hirn des Public Viewing-Mäuschens.  

 

„Der Schiri hat gegen uns gepfiffen!“

 

Die Intention des plötzlich einsetzenden Fußballinteresses ist eindeutig die Anbiederung an alkoholbeeinflusste Männchen. Naives Nachfragen nach der Blitztabelle oder dem Ausgang des letzten Zusammentreffens zwischen Mannschaft X und Y sind seit jeher eine beliebte Jagd-Methode des Public Viewing-Mäuschens.

Neben den Medien profitiert aber auch die Wirtschaft ganz wesentlich von diesen Fußballfans auf Zeit. Nach dem Motto „Viel hilft viel“ kombiniert diese Spezies sämtliche Fanartikel, die der Einzelhandel auf den Markt schmeißt. Denn nur so wird man von den alteingesessenen Strategen und Hobby-Bundesjogis akzeptiert.

Und für alle Nachwuchs Public Viewing-Mäuschen hier noch die wichtigsten Phrasen, die euch auf jeder Fanmeile anerkennende Blicke garantieren (oder auch nicht):