Hassobjekt: Die Wohlfühl-Gesellschaft
Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten ab sofort immer Montags in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: „Die Wohlfühlgesellschaft“.
Ein Hassobjekt von Lisa-Marie Betzl. Illustriert von Lotte Düx.
Während die Generation unserer Eltern noch BH- und furchtlos gegen Atomkraftwerke und schlechte Zustände an den Unis demostriert hat, haben wir heute in der Regel andere Baustellen. Die haben aber meistens eher wenig mit Umwelt oder dem Weltfrieden zu tun. Was uns am meisten bewegt, sind wir selbst. Wie können wir die absolute Erfüllung erreichen? Wie können wir uns selbst lieben? Wie können wir so glücklich wie möglich werden?
Liebe dich selbst!
Unsere Generation will ja bekanntlich alles haben: Die steile Karriere in genau dem Job, von dem wir schon immer geträumt haben. So richtig den Arsch aufreißen wollen wir uns aber irgendwie auch nicht mehr, schließlich wollen wir nebenbei auch noch genug Zeit haben, uns ausreichend intensiv mit uns selbst zu beschäftigen, um geistig und körperlich fit zu bleiben und unsere positiven Vibes in der Welt zu verbreiten. Um den Job zu bekommen, der uns unseren positiven Lifestyle finanziert, motivieren wir uns selbst mit Mantras, die an Naivität kaum mehr zu überbieten sind. „Du kannst alles schaffen, was du willst – das einzige, was zwischen dir und deinem Ziel steht, bist du selbst“? Bullshit!
Solche Auswüchse positiven Schwachsinns stammen höchstwahrscheinlich aus der Feder pubertärer Oberschicht-Teenies, deren Ziele letzten Endes doch durch Privatuni und Vitamin B erreicht werden. Das schlimmste daran – die meisten von uns sind von diesem Grundsatz auch noch völlig überzeugt. Würden wir uns öfter mal außerhalb unserer elitären Bildungsblase umhören, dieser Satz würde uns um die Ohren gehauen werden. Unsere Realität sieht dennoch anders aus. Für die meisten von uns bestehen diese „harten Hindernisse“, die wir auf unserem Weg zum Glück überwinden müssen, schlimmstenfalls aus zweimonatigen Praktika, durch die wir uns durchboxen wie Rocky Balboa zu seinen besten Zeiten. Haben wir es dann geschafft und sind in unserem Traumjob gelandet, wo wir zwischen jungen, hippen und coolen Leuten im Office sitzen, wird schnell klar, welche positiven Eigenschaften wir in zukünftigen Bewerbungsschreiben keinesfalls vergessen dürfen: Ausgeglichene, in sich ruhende Menschen braucht die Welt! Jeder will den Kollegen, der immer diese total positiven Vibes mit ins Büro bringt, der sich Montag bis Freitag den Arsch aufreißt, nebenbei auch noch die Zeit für Yoga, Pilates und 10-Wochen-Strandfigur-Programme findet und selbstverständlich täglich selbstgemachte Smoothies und Goji-Beeren-Müslis mit zur Arbeit bringt. Das alles natürlich begleitet von strahlendem Lächeln und glänzender Laune.
Neues Hobby: Me-Time
Wenn wir schon dabei sind, „positiv“, „ausgeglichen“ und „glücklich“ in unseren durchgestylten Lebenslauf einzufügen, können wir eigentlich auch gleich unser neues Lieblingshobby mitangeben: „Me-Time“. Vorbei sind die Zeiten voll hemmungsloser Besäufnisse, sinnloser Gammelabende mit Freunden oder überteuerter Clubbesuche. In unserer Freizeit kümmern wir uns seit neuestem am liebsten um das wertvollste Gut, das wir besitzen: Uns selbst. In uns ruhend schaffen wir uns ganz bewusst kleine Inseln in unseren stressigen Leben, in denen wir Körper und Seele Gutes tun und uns einfach mal nur auf uns selbst besinnen – das tun wir ja schließlich sonst nie! Sitzt der Durchschnittspessimist mit Chips und Wein vor der Glotze, wenn er mal seine Ruhe haben will, verbringt der positive Optimist seine Zeit mit Sellerie in der Therme, nachdem er schon beim Morgen-Yoga im Park war und mittags beim Veganer pürierten Kohl geschlemmt hat. Take care of yourself! Das dadurch ein etwaiges Sozialleben oder zumindest Beziehungen zu Sportmuffeln und Problemwälzern draufgehen, ist halb so schlimm, schließlich gibt es auch in Sachen Freundeskreis einen neuen Grundsatz.
„Surround Yourself With Postive People“
Immer öfter tauchen in meinem Instagram-Feed zwischen Kaffee, Kängurus und Kokosnüssen Hashtags auf wie #surroundyourselfwithpositivepeople, die mich brechen lassen wollen. Was soll das bedeuten – „Umgib dich mit positiven Menschen“? Soll ich meine Freunde ab jetzt nach ihrem Optimismus-Level aussortieren? Soll ich Leuten, die Probleme haben und auch noch die Dreistigkeit besitzen, diese auszusprechen, zukünftig die Freundschaft kündigen? „Nee, sorry, für Pessismismus hab ich überhaupt keinen Slot mehr frei in meiner Friede, Freude, Eierkuchen-Aura? Und wie würden Abende mit meinen neuen, superpositiven Bekannten dann aussehen? Worüber würden wir uns unterhalten, wenn wir alle positiven Aspekte unserer Leben runtergerattert, Smoothie-Rezepte und Yogastudio-Empfehlungen ausgetauscht und alle inspirierenden Begegnungen der letzten erzählt sind?
Klar, das ist nett. Aber wo verdammt nochmal sind eigentlich die Leute geblieben, an denen man sich auch mal reiben kann? Die nicht alles total supi und mega erfüllend finden, sondern einfach auch mal öfter was mega scheiße und zum Kotzen finden? Mit denen man über Arbeitskollegen lästern, die immerselben Beziehungsprobleme durchkauen, Zukunftsängste und vielleicht sogar mal das Weltgeschehen diskutieren kann? Klimawandel, Alltagsrassismus und der Untergang der Demokratie? Hinfort mit diesen schlechten Schwingungen!
Vielleicht waren die Zeiten von Sex, Drugs and Rock’n’Roll, freier Liebe und Uni-Besetzungen auch nicht immer moralisch einwandfrei. Wenigstens war – zumindest in meiner Vorstellung – damals aber noch Platz in den Köpfen für Probleme, die über Smoothies und Selbstverwirklichung hinausgingen.
Mehr von Lotte Düx findet ihr auf Tumblr und Instagram!
Lotte Düx ist eine junge Illustratorin und Designerin, die nach Stationen in Wiesbaden und Köln ihre Wahlheimat in München gefunden hat. Mit einer Vielfalt an Stilen illustriert sie pointiert und detailverliebt ebenso das Schöne und Skurrile, wie Missstände und das aktuelle Zeitgeschehen. Daneben findet sie noch Zeit für ZEITjUNG das wöchentliche Hassobjekt mit ganz viel Liebe zu illustrieren. Danke!