„Multikulti tötet“: Das absurde Weltbild der ‚Identitären‘
Brennende Flüchtlingsheime, fast zu Tode geprügelte Politiker, Volksverhetzung im Netz: In Deutschland hat die Zahl rechtsextremer Übergriffe im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent zugenommen. Und auch in Österreich wird der Rechtsextremismus immer mehr zu einer ernstzunehmenden Bewegung. Davon zeugt zumindest der jüngste faschistische Akt in unserem Nachbarland: Am Donnerstagabend stürmten 30 bis 40 Rechtsextreme die Aufführung des Flüchtlingsstücks „Die Schutzbefohlenen“ im Audimax der Universität Wien. Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak standen auf der Bühne, als ihr kostenloses Schauspiel jäh unterbrochen wurde: Die Eindringlinge spritzten mit Kunstblut um sich und warfen den circa 700 Zuschauern Flugblätter mit der Aufschrift „Multikulti tötet“ zu. „Die Schutzbefohlenen“ gespielt von Schutzbefohlenen – die integrative Idee hinter der kostenlosen Aufführung sollte innerhalb von sieben Minuten zerstört werden.
Die Identitären sind eingefleischte Verfechter des „Ethnopluralismus“
Österreichischen Politikern zufolge geht die Aktion auf die rechte Jugendbewegung der „Identitäre“ zurück. „Die Identitäre Bewegung Deutschlands“ ist eine Organisation, so gefährlich wie hinrissig: Bekennende Anhänger geben vor, nicht rassistisch zu sein, jagen Muslime jedoch ganz gezielt. Und auch die Audimax-Aktion wird auf Twitter aktuell „richtiggestellt“: Es sollte dabei nicht mit den Flüchtlingen, sondern mit dem heuchlerischen Publikum abgerechnet werden. Doch der klare Wunsch nach „Ethnopluralismus“ spricht für sich: Alle Völker sollen friedlich leben, das schon. Aber vor allem: nebeinander. Öffentlich distanzieren sich die Identitären von Neonazis, vertreten aber exakt das gleiche rassistisch-nationalistische Weltbild. Ein ausgeklügeltes System, mit dem man hofft, leichtgläubig-konservative Jugendliche auf seine Seite zu ziehen. Und es scheint zu funktionieren: Die Identitären gewinnen stetig an Zuwachs, sind längst auch in Österreich gut vernetzt.
„Multikulti tötet.“: Zwei Wörter, aus denen der blanke Hass spricht. Woher kommt er nur, dieser allumfassende Hass? Er scheint das Denkvermögen aller Beteiligten zu vernichten. Doch was noch viel wichtiger ist: Wie kann es sein, dass sich vor diesem Hintergrund eine ganze Nation über das unbedeutende und vor allem angekündigte Schmähgedicht eines kleinen deutschen Satirikers aufregt? Während andere sich mit ihrem Fremdenhass gezielt an sie richten, mordlustig, blind vor Hass? Warum wird einer Winzigkeit so viel Bedeutung beigemessen, während eine andere bald richtigen Schaden anrichten könnte? Da ist sie mal wieder, unsere verkehrte Welt. Wir alle sollten uns nicht von kleinen Unwichtigkeiten ablenken lassen, die am Ende vielleicht den Blick auf das große Ganze verzerren.
Einschüchterung bleibt ein Fremdwort
Am Donnerstagabend bewiesen vor allem die Flüchtlinge echte Stärke und machten genau das Gegenteil dessen, was sich die rechtsextremen Jugendlichen wohl erhofft hatten: „Wir haben uns nebenan in der Garderobe eingesperrt und gewartet. Als alles vorbei war, haben wir dann gemeinsam beschlossen: ‚We are strong, let’s go!‘ Dann sind wir alle wieder auf die Bühne gegangen, um fertig zu spielen“, erzählte eine der Darstellerinnen dem Magazin Mokant. Tatsächlich konnte das Schauspiel – unter Polizeischutz – weitergehen. Die Uni Wien und das österreichische Kultusministerium sind auch weiterhin fest entschlossen, jeder Form von rechter Gewalt gemeinsam entgegenzutreten. Anzeichen von Einschüchterung gibt es nicht – und wird es hoffentlich nie geben.
Folge ZEITjUNG.de auf Facebook, Twitter und Instagram!
Bildquelle: José Martín unter CC0 1.0