Über das beklemmende Gefühl, sich in jemandem getäuscht zu haben

„Ich habe mich noch nie so richtig in jemandem getäuscht“, habe ich immer gesagt. Das stimmte auch – jedenfalls bisher.

Menschen, die ich wirklich nicht mag, mochte ich für gewöhnlich noch nie – seien es unliebsame Familienmitglieder, ehemalige Klassenkamerad*innen oder Kommiliton*innen. Mein erster Eindruck ist meistens richtig.

Natürlich gab es im Laufe meines Lebens auch Menschen, die ich anfangs mochte und auf die ich später nicht mehr besonders gut zu sprechen war. Selbstverständlich habe ich schon einmal ein Auge auf jemanden geworfen, der eigentlich ein Arsch war. Oder mich mit Freund*innen so zerstritten, dass wir kein Wort mehr miteinander gewechselt haben.

Trotzdem würde ich nicht behaupten, dass ich mich in diesen Menschen getäuscht habe. Von betreffendem Typ wusste ich im Grunde schon immer, dass er kein guter Mensch ist. Ich wollte es nur eine Weile lang nicht wahrhaben. Als ich es dann realisiert hatte, war es allerdings nicht besonders hart – schließlich wusste ich es ja eigentlich schon zuvor.

Über alle ehemaligen Freund*innen, mit denen ich mich zerstritten habe, hätte ich im Nachhinein trotzdem fast ausschließlich Gutes zu sagen. Immerhin gab es einen Grund dafür, dass wir eine ganze Weile lang befreundet waren. Obwohl manchmal alles mit einem großen Knall auseinandergegangen ist, würde ich über keine*n von ihnen behaupten, mich grundlegend getäuscht zu haben – höchstens in einzelnen Punkten.

Ausschleichen: Wenn sich die Zuneigung dem Ende zuneigt

Manchmal sind Abschiede aber nicht laut. Manchmal gelten Shakespeares Worte nicht:

„So wilde Freude nimmt ein wildes Ende, und stirbt im höchsten Sieg, wie Feu’r und Pulver im Kusse sich verzehrt.“

Von wegen. Manchmal fliegen nicht die Fetzen, manchmal wird kein letztes Feuer der Leidenschaft entfacht. Manchmal passiert es, dass man sich einfach auseinanderlebt. Man trifft sich nach einer Ewigkeit wieder und es ist einfach nicht mehr dasselbe wie früher. Manchmal weiß man warum, manchmal kann man es sich nicht erklären. Meistens empfinden beide ähnlich, führen ein abschließendes Gespräch oder lassen es bleiben – und distanzieren sich langsam voneinander, bis sie irgendwann nichts mehr miteinander zu tun haben.

Manchmal empfinden aber auch nicht beide gleich. Manchmal hat eine von beiden Personen nicht die leiseste Ahnung, was eigentlich passiert ist. Manchmal geht jemand nicht mit Gepolter, sondern schleichend. Manchmal tapst jemand samt all seinem Hab und Gut so geräuschlos die Treppe hinunter und den Dielenboden entlang, dass man es kaum hört. Wenn man aufsteht und nachschauen will, hat die Person die Tür hinter sich schon leise ins Schloss fallen lassen.