Dennis Sonne draußen im Rollstuhl

„Man muss aufpassen, dass nicht immer nur alle Helden oder Opfer sind“

Dennis Sonne ist 38 Jahre jung, Finanzwirt, Rapper und Inklusionsaktivist. Er engagiert sich auch politisch auf Landesebene für mehr Inklusion und Barrierefreiheit. Denn er ist Experte in eigener Sache – Dennis ist querschnittsgelähmt. Im Interview erzählt er von sich, seinem Leben im Rollstuhl und wie er sich politisch auf Landesebene für mehr Inklusion einsetzt. 

ZEITjUNG: Warum sitzt du im Rollstuhl?

Ich hatte im Jahr 2004 einen Unfall. Ich bin von einer Flachdachterrasse runtergestürzt. Ein warmer Abend im August. Ich habe viel Sport gemacht. Leichtathletik, Basketball, Badminton und auch Skateboard fahren. (…) Wir haben uns an dem Abend ein Skateboard-Video angeschaut, was wir vorher zusammen gedreht haben. Nach dem Video sind alle auf die Flachdachterrasse gegangen. Ich gehe natürlich mit raus, denn jeder ist ja mitgegangen. Das war der Fehler. Das hätte ich nicht machen sollen. Ich wurde dann gerufen, wurde mit einer Taschenlampe geblendet und hab den Boden nicht gesehen. Ich bin gestolpert und in einen Schacht reingefallen. Dann war ich eine ganze Zeit lang bewusstlos und auch im künstlichen Koma. Nach 10 Tagen oder was, bin ich wieder aufgewacht. Und joa, dann gibt’s die Diagnose: Querschnittsgelähmt. Das erste was ich meine Eltern gefragt hab: „Kann ich jetzt nicht mehr Skateboard fahren?“ 

ZEITjUNG: Weil Skateboard fahren vor dem Unfall dein Leben bestimmt hat?

Skateboard fahren war echt mein Ding. Ich habe das jeden Tag gemacht. egal wo ich hingekommen bin, ich habe immer ein Skateboard dabeigehabt. Und dann auf einmal nicht mehr. (…) Und ich hatte auch den Traum, dass ich in die journalistische Richtung gehe und mein eigenes Skateboard Magazin rausbringe. (…) Von dem Traum konnte ich mich dann verabschieden. Obwohl ich mir heute eigentlich sicher bin, wenn ich das fokussiert hätte und ich hätte das gewollt, dann hätte ich das auch schaffen können. 

Ich habe früher aber tatsächlich gedacht: Jetzt kannst du nichts mehr machen. Jetzt bist du nicht mehr attraktiv für die Frauen. Jetzt kannst du kein Job mehr machen, den du machen willst. Jetzt kannst du keinen Sport mehr machen, den du machen willst. Das war mir tatsächlich alles zu der Zeit nicht bewusst, dass es doch möglich ist. (…) Alle Möglichkeiten stehen dir offen. Scheiß egal, ob du im Rollstuhl sitzt oder nicht.

ZEITjUNG: Deinen Oberkörper kannst du immer noch frei bewegen. Ab wo bist du denn gelähmt?

Ja genau, also bei mir ist es ab dem Bauchnabel abwärts und dann kommt es immer drauf an, welcher Wirbel von der Wirbelsäule im Rücken verletzt ist und wie der Spinalkanal betroffen ist. Desto höher der Wirbel, der betroffen ist, desto größer ist die Gefahr, dass du deine Arme nicht mehr bewegen kannst oder nicht mehr atmen kannst. Man unterscheidet auch einmal zwischen kompletter Lähmung und inkompletten Lähmung – sprich bei der inkompletten Lähmung gehen dann noch ein paar Nerven durch. Bei mir ist es komplett, also alles durch. Nicht so schlimm, da ich im Oberkörper immer noch fit bin und noch selbstständig bin. Und wäre ich nicht so selbstständig und unabhängig, wie ich bin, wäre ich wahrscheinlich auch nicht so positiv eingestellt, wie ich bin – muss ich ganz ehrlich sagen.

ZEITjUNG: Wodurch hat sich deine Einstellung von „Oh, da kann ich gar nichts mehr machen“ hin zu der positiven Einstellung, wie du sie jetzt hast, geändert?

Hmm, also das ging eigentlich wahnsinnig schnell. Ich hatte vom einen Tag auf den anderen Tag im Kopf: Schlimmer geht immer. Egal in welcher Situation du bist, immer geht’s noch schlimmer. Im Krankenhaus in der Reha Zeit hatte ich immer den Fernseher an. Zu der Zeit war in Russland ein Attentat von Tschetschenischen Rebellen auf eine Schule. Da sind viel Kinder und viele Lehrer gestorben. Alles unschuldige Menschen. Deswegen schlimmer geht immer. Seitdem sage ich: was maße ich mir an wegen meinem Leid rumzuklagen, was gar nicht so schlimm ist. Denn ich bin hier, versorge mich gut, ich habe einen coolen Kater, bin gesund. Ich habe zwar die Behinderung, aber ich bin ja nicht krank deswegen.

ZEITjUNG: Wie erlebst du Behinderung in deinem Alltag? Du hast auch den Vergleich zu einem Leben ohne Behinderung. Wie erlebst du das?

Ich erlebe jeden Tag Barrieren. Nicht nur physikalische Barrieren. Ich kann also immer noch nicht einfach Samstagsmorgens aufstehen und sagen: Ich setzte mich jetzt in den Zug und fahre nach Dortmund. Gar nicht möglich, denn ich muss vorher den Service anmelden und wenn ich diesen Service nicht angemeldet habe, dann sagt der Schaffner zu mir: „Ich kann Sie nicht mitnehmen, denn wenn jetzt was passiert, bin ich versicherungstechnisch am Arsch.“ Aber nicht nur da, sondern beispielsweise auch beim Kopfsteinpflaster. Wir sind das zweit älteste Land der Welt und werden immer älter und in 20 Jahren läuft halb Deutschland mit Rollator durch die Gegend und wir haben immer noch überall Kopfsteinpflaster.