Dennis Sonne draußen im Rollstuhl

„Man muss aufpassen, dass nicht immer nur alle Helden oder Opfer sind“

ZEITjUNG: Ich habe aber gesehen, dass du ein Auto draußen stehen hast. Kannst du damit selbst fahren?

Ja ich habe einen Führerschein. Ich habe vor meinem Unfall schon angefangen den Führerschein zu machen und hab ihn dann 2005 beendet. Und seitdem habe ich auch ein Auto. Das ist ein Automatikwagen, ganz normal. Es geht alles mit Handgas. Sprich ich drück das Gas nach unten mit der Hand, dann gebe ich Gas und wenn ich nach vorne drücke, dann bremse ich. Ich bin auf jeden Fall super flexibel. Ich kann zwar keine ÖPNV nutzen, was zwar schade ist, weil dann würde ich vielleicht auch weniger die Umwelt verpesten, aber das wird ja hoffentlich auch alles gemacht. Und das ist dann auch so ein Thema, was ich dann auf Landesebene fokussieren werden. Das letzte Mal, dass gesagt wurde, dass der ganze ÖPNV barrierefrei gemacht werden sollte, war der 1.1.22 und das haben Sie jetzt verschoben auf den 1.1.26. War abzusehen, dass das nicht passiert, weil sich keiner drum gekümmert hat. Aber solange da niemand sitzt, der das vehement einfordert, wird da nichts passieren. Das muss einfach gefördert werden. 

ZEITjUNG: Trotz all der Barrieren reist du auch gerne. Wo warst du schon überall und was waren die eindrucksvollsten Orte für dich?

Mein Lieblingsland ist auf jeden Fall Dänemark – der Norden von Dänemark. Dort habe ich viel Zeit in meiner Kindheit verbracht. 2015, nach einer langjährigen Beziehung habe ich dann gesagt: Ich mach jetzt folgendes, werde meine Sachen packen und den nächsten Flieger nach Jamaika nehmen. Das war wirklich eine richtig klasse Reise, die mir auch wirklich viel gegeben hat. Ich habe die schönen Seiten von Jamaika gesehen, sprich die Natur, aber auch die Unschönen, wie die unerträgliche Armut. (…) Tokyo ist in Sachen Barrierefreiheit super zum Reisen. Aber das liegt auch daran, dass es das Älteste Volk auf der ganzen Welt ist. Perfekt an die Bevölkerung angepasst. Deutschland kann sich das abschauen. Wir sind Loser in Sachen Barrierefreiheit. Vor allem dafür, dass wir in Deutschland in einem erstklassigen wirtschaftlichen Land leben.

ZEITjUNG: Hast du da irgendwelche Tipps oder Gedankenanregungen für Menschen ohne Behinderungen um Barrieren abzubauen?

Kommunikation. Geht einfach auf die Menschen mit Behinderungen zu. Fragt sie einfach: was ist dir passiert? Warum sitzt du im Rollstuhl? Oder auch so Sachen wie „Kann ich dir helfen?“ Die Kommunikation ist total wichtig. Sprecht die Leute an. Was ich auch schon tausendmal erlebt habe: Mutter oder Vater sind mit Kind unterwegs. Das Kind sagt „Da ist ja ein Rollstuhlfahrer“ und ist interessiert. Und die Eltern? Die bringen das Kind zum Schweigen oder ziehen das Kind weg, weil sie vielleicht denken „Oh man, wie peinlich“. Nein, was ein Quatsch, lass das Kind doch fragen. Wenn mich ein Kind fragt „was hast du?“, dann sag ich auch was ich habe. Natürlich nicht so ausführlich und was es alles mit sich bringt, aber einfach in ein paar Worten. Dann habe ich es dem Kind erklärt, das Kind ist zufrieden und ich habe direkt kindgerecht Barrieren abgebaut. Dann lernt, das Kind direkt, dass es keine Berührungsängste haben muss. Einfacher geht es ja eigentlich nicht

ZEITjUNG: Wofür setzt du dich als Inklusionsaktivist genau ein?

Ich setzte mich dafür ein, dass die Regeln vom Inklusionsgesetz (UN-Behindertenrechtskonvention) 2009 durchgesetzt werden – sollte eigentlich seitdem schon umgesetzt werden, aber ist nicht. Warum bleibt das aus? Weil Menschen mit Behinderungen einfach zu sehr im Hintergrund sind und nicht im Vordergrund stehen. Beispielsweise Behindertenwerkstätte oder Förderschulen. Dort werden Menschen aus der Gesellschaft rausgenommen und werden irgendwo platziert, wo sie alle zusammen sind. Das ist keine Inklusion. Inklusion ist, wenn alle zusammen sind. Alle arbeiten zusammen, alle sind zusammen in der Schule oder der Universität. Alle sind zusammen – Dafür setzte ich mich ein.

ZEITjUNG: Wie setzt du das in deinen Workshops um?

Das sind Motivations- und Musikworkshops. Ich habe ein mobiles Tonstudio, das bringe ich dann mit in die Einrichtung – also das kann eine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen sein, kann im stinknormalen Kindergarten sein oder auch einfach in der Ikea-Filiale – von jung bis alt. Ich spreche am Anfang über Hip-Hop und diese Lebenskultur aber auch über Inklusion und Barrierefreiheit. Und am Ende kann jeder einen eigenen Rap-Song produzieren. Die Beats selbst aussuchen und Texte selbst schreiben. Dann mische ich das zuhause fertig und als Ergebnis hat man den eigenen Song. Das macht Spaß, motiviert und schenkt den Teilnehmer*innen Selbstbewusstsein.

ZEITjUNG: Hast du schon immer Musik gemacht? Oder kam das erst nach dem Unfall?

Ich habe vorher auch schon Musik gemacht. Ich habe Bassgitarre gespielt in Bands, Punk-Rock Bands, deswegen war Musik schon immer mein Ding. Und ich habe dann einfach danach weiter Bass gespielt und bin weiter mit Bands aufgetreten. Aber trotzdem oder unter anderem habe ich dann auch angefangen Texte zu schreiben und dann bin ich so auch rüber zum Rap gekommen. (..) Das ist wie eine Therapie. Ich habe dann 2012 und 2014 unter dem Rappernamen Sittinbull auch zwei Alben veröffentlicht und Musikvideos gedreht. 

ZEITjUNG: Dadurch ermutigt man sich gegenseitig. Jemand hört das und traut sich dann auch

JA, das ist super wichtig. Wobei man da aber immer aufpassen muss. Denn man wird immer als dieser Held dargestellt. Ich bin auf jeden Fall, seitdem ich den Unfall hatte immer der Held, egal was. Der, der immer gut drauf ist und blablabla. Also weil ich auch fast immer gut drauf bin, aber das ist ja nicht so eine Eigenschaft von vorne rein, die alles ausmacht. Ich bin am Ende ja auch nur ein ganz normaler Typ, der geht arbeiten und verdient sein Brot. Fertig. Aber klar, wenn man dann den ein oder anderen hat, der sich dabei selbst was annimmt, dann cool. Man muss aufpassen, dass nicht immer nur alle Helden oder Opfer sindIch lebe aber nur einfach das was ich mache. Ich lebe Inklusion. Kommuniziere es offen. Und das macht mich aus.

ZEITjUNG: Wie willst du das als Abgeordneter umsetzen? Welche Themen sind dir bei der Wahl wichtig sind??

Auf jeden Fall Inklusion und Barrierefreiheit. Das hängt zwar zusammen aber kann man schon nochmal unterscheiden. Inklusion sind Barrieren im Kopf. Das beste Beispiel dafür sind Behindertenwerkstätte oder Förderschulen. Das ist eine komplette Ausgrenzung des Menschen mit Behinderungen. Ganz viele Menschen brauchen die Unterstützung und können gar nicht woanders arbeiten als in der Werkstatt, aber da sind auch ganz viele Menschen, die in der Lage wären kleine Tätigkeiten in anderen Unternehmen auszuüben. Menschen in Behindertenwerkstätten erhalten auch nur 1,35 € Stundenlohn und das ist nicht gerecht! Das hat was mit Wertschätzung zu tun. Jede*r will anständig bezahlt werden. Aber das ist wie gesagt nur ein Punkt von Inklusion. Inklusion bedeutet nicht alle Menschen in ein Raster zu stecken und aus der Gesellschaft rauszuhalten, sondern genau das Gegenteil. 

Barrierefreiheit bezieht sich dagegen auf räumliche Gestaltung, Mobilität. Es gibt DIN-Normen für barrierefreie Mobilität. Die vorgegebene Steigung einer Rampe oder für eine barrierefreie Toilette. Außerdem sind mir noch die Themen Bildung, Digitalisierung und Beteiligung wichtig. Bildung für Alle ist für alle ein Gewinn. Nur unter 1% der Kinder auf Förderschulen machen Abitur. Es sind mehr, wenn sie nicht auf Förderschulen gehen. Digitalisierung macht Menschen mit Behinderungen so viel möglich. Anträge stellen und Auskunft erhalten ist für viele eine Herausforderung und durch den technischen Fortschritt wird das erleichtert. Außerdem müssen die Menschen mit ins Boot geholt werden. 

Hat das Interview dein Interesse geweckt? Mehr zu Dennis politischen Engagement und seiner Person:  

dennis-sonne.de

sittin-bull.de

@sonne_dennis

Weitere Informationen zu Inklusion und Barrierefreiheit in den Medien:

leidmedien.de

sozialhelden.de

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Bildquelle: Dennis Sonne, CC0-Lizenz