Meltem Kaptan

Wie verklagt man einen Präsidenten? – Im Interview mit Meltem Kaptan

ZEITjUNG: Definitiv, Mamas sind überall gleich! Nun kennt man die Geschichte von Murat und seiner Familie bereits zu Teilen aus den Medien. Hierbei handelt es sich um alles andere als um leichten Stoff. Als du das Angebot für die Rolle erhalten hast, hast du gleich zugesagt oder warst du zunächst skeptisch?

Meltem: Also ich sag dir ganz ehrlich, ich wollte das Drehbuch nur ganz kurz anlesen, damit ich weiß, worum es geht, und ich konnte es nicht mehr weglegen. Ich habe es in einem durchgelesen und ich hatte sofort die Gewissheit: Du musst diese Rolle spielen! Und was mich wirklich begeistert hat war, dass die Geschichte so viele verschiedene Ebenen hat. Es geht um Interkulturalität, es geht um Rassismus, aber es geht vor allem um eine Freundschaft zwischen sehr unterschiedlichen Menschen. Und doch war meine wichtigste Frage: Was hat diese Frau für eine Stärke, dass sie das alles über Jahre hinweg so aushält? Den Prozess, die Warterei, die Frustration im Umgang mit den Behörden, den Kampf um ihren Sohn und auch dass wissen darum, dass sie ihren Alltag meistern muss, obwohl sie weiß, dass ihr Kind gerade in Guantanamo sitzt und vielleicht gefoltert wird. Ich durfte Rabiye im Laufe der Dreharbeiten treffen und spätestens da habe ich festgestellt, dass sie ein Mensch ist, der selbst nach all diesen Strapazen unglaublich liebevoll, herzlich und positiv geblieben ist. Ich glaube, dass man einen sehr starken Charakter haben muss, um das zu schaffen.

ZEITjUNG: Dass du sie getroffen hast, ist ja superspannend. Wie ist es, eine reale Person zu spielen, die man dann auch noch persönlich kennenlernt?

Meltem: Das ist nicht nur spannend, sondern auch sehr schwer. Weil du natürlich auf keinen Fall möchtest, dass sie den Film nicht annehmen kann oder enttäuscht ist. Deshalb ist der Druck nochmal so viel größer. Wir waren so erleichtert als sowohl Bernhard Docke als auch Rabiye Kurnaz den Film wirklich angenommen haben. Und Rabiye Kurnaz hat mir nach der Vorstellung gesagt, dass sie die ganze Zeit das Gefühl hatte, sie spielt den Film. Das war für mich von allen Komplimenten wirklich das schönste.

ZEITjUNG: Das ist wirklich richtig schön! Der Film ist besonders, weil man die Geschichte von der medialen Seite aus kennt. Viele von uns erinnern sich sicher noch an die Berichterstattung rund um Murat, an Dokumentationen oder Interviews in Talkshows. Die Sichtweise von Seiten der Mutter ist jedoch neu. Warum glaubst du, ist diese so wichtig?

Meltem: Die Idee ging natürlich von dem Regisseur Andreas Dresen aus. Als der sich vor fast 14 Jahren dem Thema gewidmet hat, ist ihm aufgefallen, dass alle Filme und Dokumentationen über Murat voller Gewalt sind. Das macht natürlich auch Sinn, schließlich war seine Zeit in Guantanamo von Gewalt geprägt. Doch dann hat er Murats Mutter kennengelernt und den Entschluss gefasst, die Geschichte aus ihrer Sicht zu erzählen. Ich finde das sehr spannend, weil man auf diese Art erkennt, was für Auswirkungen politische Entscheidungen auf persönliche Schicksale haben. Jeder Mensch, der so etwas erlebt, wird aus einem sozialen Gefüge gerissen und es leiden viel mehr Menschen als nur diese Einzelperson. Wenn man nun einen Film aus Murats Perspektive gemacht hätte, dann wären diese ganzen Schicksale, die seine Haft nach sich zogen, gar nicht so deutlich geworden.

ZEITjUNG: Ja das kann durchaus sein. Der Film kommt zu ungewöhnlichen Zeiten ins Kino. Glaubst du, dass er durch den derzeitigen Krieg nochmal anders wahrgenommen wird?

Meltem: Ich weiß nicht, wie du es siehst, aber für mich ist dieser Film unglaublich aktuell. Und zwar aus der Thematik heraus: Wann gehört ein Mensch zu einer Kultur, einem Land und wann nicht? Wann ist man ein Bürger eines Staates und hat den Anspruch auf Hilfe aus seinem Land? Murat ist in Deutschland aufgewachsen, er ist in Deutschland sozialisiert worden und doch wollte der deutsche Staat ihm für lange Zeit nicht helfen, weil er offiziell eben Türke war. Das sind Themen, die uns heute auch noch beschäftigen. Und deswegen ist der Film auch leider immer noch aktuell.

ZEITjUNG: Auf jeden Fall, gerade wenn man sich die Situation an den europäischen Außengrenzen anschaut. Da kann man leicht wütend werden.

Meltem: Richtig. Und alleine die Tatsache, dass man Wut empfindet, spricht schon dafür, dass das Thema weiterhin aktuell ist und dass wir auch gesellschaftlich noch viel mehr damit beschäftigen müssen. Egal ob es um Schicksale wie das von Murat geht oder um geflüchtete Menschen. Empathie ist da sehr wichtig.

ZEITjUNG: Meltem, vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit dem Film!

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Bildquelle: © Luna Zscharnt/ Pandora Film