Tom Schilling in der Rolle des Kurt Banert

Tom Schilling: „Einen Maler zu spielen, war mein Happy End“

„Auch einen Tee?“, fragt mich Tom Schilling. „Nein, danke. Ich habe noch Kaffee,“ antworte ich und kann mir mein Lachen nicht mehr verkneifen. Zu witzig sieht es aus, wie er mit einem winzigen Wasserkocher in der Hand in einer kleinen Kochnische steht – im sonst großen und pompösen Konferenzsaal eines schicken Berliner Hotels. Kaffee, erzählt Schilling, hatte er heute schon genug. Denn ein anstrengender Tag voller Pressetermine liegt hinter ihm und morgen geht es damit weiter. Die Anstrengung sieht man ihm jedoch nicht an. Er ist gut gelaunt und, wie fast immer, elegant gekleidet: dunkler, dreiteiliger Anzug mit Nadelstreifen.

 

Liebe, Kunst und deutsche Geschichte

 

Der Grund für diesen Presserummel ist der neue Film „Werk ohne Autor“, bei dem Oskargewinner Florian Henckel von Donnersmarck („Das Leben der Anderen“) Regie führte. Schilling spielt darin den Künstler Kurt, der während des Zweiten Weltkrieg aufwächst, später in der DDR an der Kunstakademie studiert und schließlich in den Westen flieht, um dort endlich die Kunst zu machen, die er wirklich will. Neben drei Epochen deutscher Geschichte, wird auch die leidenschaftliche Liebesgeschichte des Künstlers zur Modestudentin Elisabeth erzählt – doch gegen diese Liebe hat Elisabeths Vater Einwände. Kinostart ist am 3. Oktober 2018.

 

Im Interview mit ZEITjUNG erzählt Schilling von den Dreharbeiten des neuen deutschen Oscar-Anwärters und verrät worauf es ihm ankommen würde, wenn er wirklich wieder Student wäre und in einer WG wohnen würde.

 

ZEITjUNG: Heute morgen ging bei mir alles schief: Flug verpasst, der Henkel meiner Handtasche ist gerissen und eben habe ich mir noch Kaffee über die Hose gekippt. Wie war denn dein Start in den Tag?
Tom Schilling: Mein Morgen lief auch nicht rund. Ich bin aufgewacht, weil mein Sohn mir direkt mit seinen kleinen Füßen ins Auge getreten hat. Das tat höllisch weh. Aber so etwas passiert eben. Einfach weitermachen!

Bist du eher ein Optimist oder Pessimist?
Leider bin ich Pessimist. Einen großen Teil meiner Kraft ziehe ich aus dem Negativen. Was aber nicht immer etwas Schlechtes ist: Ich erkenne schnell, wenn etwas nicht gut ist, benenne es und mache es danach besser.

Klingt als würdest du immer sehr strukturiert an Probleme herangehen.
Ja, ich bin sehr pragmatisch. Wenn etwas nicht stimmt, muss es stimmig gemacht werden. Dann entwickle ich eine große Kraft, gehe Aufgaben direkt an oder mache Probleme mit mir selbst aus.

Auch in deiner Rolle als Künstler Kurt in „Werk ohne Autor“, spielst du einen eher in sich gekehrten Charakter, einen Beobachter. Besonders als Kind ist Kurt durch und durch ein Träumer. Warst du als Kind ähnlich?
Bei meinen Eltern und Freunden gehen die Meinungen da stark auseinander: Auf der einen Seite heißt es, dass ich ein schüchternes, fast melancholisches Kind war. Andere sagen, dass ich ein großer Entertainer und Clown war, der viel Quatsch gemacht hat, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Dieses Spannungsfeld ist bis heute geblieben.

Lassen sich diese beiden Pole gut miteinander verbinden?
Bei mir klappt es gut, auch wenn ich es selbst manchmal merkwürdig finde, dass ich mich auf Bühnen traue, obwohl ich eigentlich sehr schüchtern bin. Aber Auftritte zu haben ist toll und es gibt nicht Schöneres als vor Publikum zu stehen. Der Unterschied zum Privaten ist vor allem, dass ich auf der Bühne oder vor der Kamera aus mir herauskommen muss und mich nicht zurückziehen kann. Und dann genieße ich die Aufmerksamkeit auch.

Du standest schon im Alter von 12 Jahren beim Berliner Ensemble auf der Bühne. Wie war das für dich?
Es war toll. Wir Kinder haben – völlig ohne Respekt vor diesem renommierten Haus – herumgetobt und alles auf den Kopf gestellt. Das hat Spaß gemacht. Was aber grauenhaft war, waren die Castings davor. Dort bin ich nie gerne hingegangen. Kurz vor einem Casting habe ich immer zuhause gesessen und auf die Uhr gestarrt – in der Hoffnung, die Zeit würde nicht so schnell vergehen.

Und heute?
Ich gehe immer noch total ungern zu Castings. Aber inzwischen habe ich mir eine Eigenständigkeit erarbeitet und ich kann mir die Filme, bei denen ich mitspiele, selbst auswählen. Und inzwischen spiele ich nur noch Filme, die mich weiterbringen und Spaß machen. Das macht es leichter, bedeutet aber nicht, dass ich immer den einfachsten Weg gehe, sondern ich suche Herausforderungen. Aber ich suche sie mir eben selbst.

Was war die Herausforderung bei „Werk ohne Autor“?
Der Film ist eine gigantische Produktion. Noch nie habe ich einen größeren Film gedreht. Und dadurch entsteht viel Druck, vor allem, da meine Rolle eine eher passive Figur ist. Diese mit Leben zu füllen, spannend und kraftvoll zu gestalten, war wohl die größte Herausforderung. Außerdem ist Florian Henckel von Donnersmark ein sehr präziser Regisseur, ein Perfektionist mit genauen Vorstellungen, wie der Film auszusehen hat.

Seinen Perfektionismus sieht man dem Film aber auch an.
Absolut und das schätze ich auch an ihm. Aber für Schauspieler ist diese Situation nicht einfach: Wenn es ein perfektes Ergebnis geben soll, entsteht viel Druck und Anspannung. Und diese sieht man bei den Schauspielern sofort in den Gesichtern, da sie verkrampft wirken – obwohl eigentlich alles mühelos, locker und einfach wirken soll.

Hast du einen Trick, um Anspannung loszuwerden?
Nein, aber das ist durchaus eine Überlegung wert. Vielleicht probiere ich mal autogenes Training oder so. Gegen die Anspannung hilft mir heute meine Gelassenheit, die ich im Laufe meines Berufslebens erst gelernt habe. Man kann nichts erzwingen. Wenn im Drehbuch steht „er weint“, aber es fühlt sich nicht richtig an, dann lasse ich es inzwischen auch.

 

In „Werk ohne Autor“ spielst du einen Studenten an der Kunstakademie. In „Oh Boy“ einen jungen Mann, der sein Studium auf Eis gelegt hat. Was reizt dich an der Rolle des Studenten?
Es gibt ein gewisses Alter, da ist die Rolle einfach ideal und man wird gerne dafür besetzt. Langsam ist diese Zeit aber auch vorbei. In „Werk ohne Autor“ fand ich vor allem die Entwicklung des Künstlers Kurt so spannend. Er ist erst Kind, dann Jugendlicher, dann Student und wächst währenddessen ständig an seinen Erfahrungen.

Wenn du jetzt in eine Studenten-WG ziehen müsstest. Was wäre die wichtigste Regel für ein gelungenes Zusammenleben?
Das wäre Ordentlichkeit. Jeder muss sein Zeug selbst wegräumen. Mein Ordungssinn würde die anderen Mitbewohner wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben, aber das ist mir wichtig.

Deine Rolle Kurt ist Maler. Auch du wolltest früher immer Maler werden. Wie war es für dich, deinen einstigen Traumberuf spielen zu dürfen?
Lange Zeit war ich nicht glücklich mit meinem Beruf, hatte immer das Gefühl, dass die Schauspielerei von außen an mich herangetragen wurde. Anders als das Malen, das ich immer von mir aus wollte. Aber jetzt denke ich, dass sich alles gefügt hat. Mein Wunsch Maler zu werden, ist in den Film eingeflossen. Es klingt total esoterisch, aber die Puzzleteile meines Lebens haben sich zu etwas Größerem zusammengefügt. Einen Maler zu spielen, war mein Happy End.

 

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Bildquelle: Titelbild © 2018 BUENA VISTA INTERNATIONAL / Pergamon Film / Wiedemann & Berg Film, Beitragsbild ZEITjUNG