Jan Böhmermann Satire Neo Magazin Royale

Freiheit für Böhmermann: Ein Plädoyer für die Kunst

Von Daniel Lukas

Den vorläufigen Höhepunkt erreichte die sich mittlerweile auf dem besten Weg zur Staatsaffaire befindliche Mediensatire mit der Veröffentlichung eines gefälschten Böhmermann-Interviews durch den Bild-Herausgeber Kai Diekmann – eine Aktion von so großem Irrwitz, dass man als geneigner Fan des Moderators fast hoffen möchte, er ziehe auch hier im Hintergrund die Fäden, ganz im Stil seines Grimme-Preis-gekrönten „Varoufakes“. Leider ist die Lage inzwischen zu ernst. Jan Böhmermann steht derzeit unter Polizeischutz – ein hoher Preis für seinen künstlerischen Mut.

Satire ist heute längst nicht nur mehr oder minder humorvoll-pointierte Kritik, vorgetragen im Rahmen eines Bühnen- oder Fernsehauftritts, wie wir ihn von klassischen Kabarettist_Innen kennen. Vielmehr lässt sie sich gerade in den letzten Jahren als Fortführung von Politik mit den Mitteln des Humors verstehen – mit häufig unerwartetem Ausgang. Man denke nur an die Fifa-Bestechung seitens der Titanic, die Deutschland eventuell die WM 2006 eingebracht hat. Satire lässt sich mittlerweile wählen: Martin Sonneborn sitzt im EU-Parlament. Und nun bringt der selbsternannte Spartentarzan Jan Böhmermann indirekt die Kanzlerin in die Bredouille – Gut so! Mit ihrem vorauseilenden Gehorsam gegenüber Erdogan und ihrer unangebrachten Einmischung in einen Diskurs, der eigentlich in den Feuilletons stattfinden sollte, und nicht in der Politik, hat sie sich dies allerdings selbst zuzuschreiben.

 

Das Potential der Satire

 

Ihr wahres Potenzial schöpft Satire doch erst aus, wenn sie – mehr oder weniger absichtlich – die Grenzen zum politischen Aktivismus verwischt und überwindet. Man denke nur an die gelungene Aktion „Rechts gegen Rechts“, die 2014 Neonazis dazu brachte, unfreiwillig Spenden für ein Aussteigerprogramm aus der Szene zu sammeln. Im internationalen Kontext zeigten uns die Aktivisten von The Yes Men, was Satire potenziell sein könnte: Kommunikationsguerilla, mit deren Hilfe sich politische Ziele in der Realität durchsetzen lassen. Indem sie sich bei einer Pressekonferenz als Vertreter des Unternehmens Dow Chemical ausgaben, nötigten sie eben dieses, die Schuld an der Umweltkatastrophe 1984 im indischen Bhopal einzugestehen. Hochstapelei wird zur Kunst und schließlich zur Politik.

Solch multidimensionale, in die sozialen Medien fortgeführte und nicht zuletzt in das aktuelle politische Geschehen eingreifende Aktionen stellen eine zukunftsfähige Form von Satire und politischem Engagement da. Verwirrung und Angst seitens des Publikums ebenso wie der Presse sind die Nebenwirkungen. Symptomatisch hierfür sind die, auch in differenzierten Artikeln artikulierten, geschmacklichen Bewertungen und Distanzierungen gegenüber dem konkreten Inhalt von Böhmermanns Gedicht. Formulierungen wie „Ziegenficker“ sind unter der Gürtellinie und primitiv? Ach ja? Wer hätte das gedacht? Vielleicht „Captain Obvious“ aus dem Neo Magazin Royale. Mathias Döpfner hat Recht, wenn er das negative Geschmacksurteil mit einem Formel-1-Hersteller vergleicht, dem vorgeworfen wird, seine Autos seien aber schnell. Leider erstreckt sich diese Solidarität nicht über den gesamten Springer-Konzern, blickt man auf Diekmanns unglückliche Publikation.

 

Die Aufmerksamkeitsökonomie

 

Es ist ermüdend, immer wieder Texte zu lesen, die das selbsternannte Schmähgedicht aus seinem Kontext reißen und stilistisch wie inhaltlich bewerten. So ist es geschehen in beispielloser Einfältigkeit in einem Vice-Beitrag, welcher die Reaktionen von Türken in Istanbul auf das Gedicht ohne den Kontext der Satire-Sendung wiedergibt. Ein armseliger Versuch im Rahmen der Aufmerksamkeitsökonomie vom Kuchen des Böhmermann-Skandals ein Stückchen abzubekommen.

Wie man durch geschickt aus dem Kontext gerissene Informationsbruchstücke einen medialen Skandal provoziert, das hat Jan Böhmermann mit seinem „Varoufake“ eindrucksvoll offen gelegt und dabei Günther Jauch und die deutsche Presselandschaft genüsslich vorgeführt. Nun wird er, ironischerweise und doch aus eigener Kalkulation, selbst Opfer dieses Dekontextualisierungs-Mechanismus. Man sollte es inzwischen eigentlich besser wissen.

 

Der Kontext der Satire

 

Eines ist klar: Die Satire ist nicht das Gedicht. Die Satire ist der Kontext, indem das Gedicht als Beispiel von Schmähkritik in der Sendung rezitiert wurde. Das Ganze nimmt seinen Lauf als Meta-Satire über die Mechanismen von Medien und Macht in dem darauffolgenden internationalen Polit- Skandal. Die Löschung aus der Mediathek seitens der Verantwortlichen des ZDF hat Jan Böhmermann schon in der Sendung vorweggenommen. Einkalkuliert hat er sicher eine Debatte um die Presse- und Kunstfreiheit in Deutschland, bestimmt auch einen Shitstorm in den sozialen Medien. Dass er einen politischen Skandal bezwecken wollte, ist jedoch unwahrscheinlich angesichts des juristischen Drucks und der Bedrohung seiner Person, die jetzt auf ihm lasten.

Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung einer Strafverfolgung im Rahmen des § 103 StGB nicht stattgibt – für die Kunstfreiheit dieses Landes wäre es ein Schlag ins Gesicht. Es bleibt zu hoffen, dass der mittlerweile ad absurdum geführte Medienskandal eine politische Debatte über die Abschaffung dieses veralteten und im Hoheitsdenken verankerten Paragraphen zur Folge hat. Es bleibt zu hoffen, dass Jan Böhmermann keinen persönlichen Schaden aus der Angelegenheit zieht, dass er erholt und gefestigt in die Medienlandschaft zurückkehrt und sich in seiner genialen Dreistigkeit von keiner Schere im Kopf beschneiden lässt, sondern uns weiterhin überrascht, verwirrt, zum Lachen bringt und den Finger in die Wunde unseres bequemen Humorempfindens legt.

 

Wir brauchen Satire!

 

Satire ist am klügsten und am wirkungsvollsten, wenn sie sich linearer Interpretation entzieht. Wir brauchen Satire, die aufrüttelt, subversiv und unbequem ist, verwirrt, weh tut und sich einmischt, statt bloß zu unterhalten und gefestigte Meinungen über „die da oben“ zu bestätigen. Jedwede Verfolgung und juristische Bestrafung von Jan Böhmermann wäre ein fataler Einschnitt in die Freiheit der Künstler_Innen, Literat_Innen, Journalist_Innen und Satiriker_Innen dieses Landes. Es bleibt zu hoffen, dass in Deutschland auch in Zukunft Satire in all ihrer rebellischen Qualität und politischen Brisanz gedeihen kann.

 

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Bildquelle: Via Youtube