Travelblogger sind Popstars: Das Geschäft mit unserer Wanderlust

Montagabend in München: Semesterferien und 20 Grad im Schatten – Man sollte meinen, der letzte Ort, an dem sich jetzt jemand aufhalten will, wäre ein Hörsaal. Trotzdem drängeln sich Hunderte von Leuten ins Audimax an der TU. Sie sind auf der Suche nach dem ultimativen Geheimtipp, der ihnen monatelanges Reisen mit minimalem Budget ermöglicht. Geliefert werden soll dieser Geheimtipp von Tomislav Perko, der mit seinem Vortrag „How to travel the world with almost no money“ eindeutig den Nerv unserer Generation trifft. Neben meinen Freundinnen, frisch zurück aus Bali und Panama, sitze ich im Hörsaal und schaue zu, wie die letzten bärtigen Jungs und braungebrannten Mädels den Saal füllen, während ein paar Traveller vor uns den Bräunungsgrad ihrer Arme vergleichen.

 

Low-Budget-Tricks und Tramping-Guide

 

Vor etwa Tausend Leuten erzählt Perko dann, wie er nach dem Börsencrash 2008 seinen Job verlor, von Couchsurfern erfuhr, dass man auch ohne Geld und Mut kreuz und quer über den Erdball reisen kann und daraufhin die nächsten fünf Jahre lang die Welt zu seinem Zuhause machte. Wie er irgendwann die Lust am Reisen verlor, sich in eine Hängematte setzte und anfing, ein Buch über sein Leben zu schreiben. Wie er dann nach Kroatien zurückkam, um es selbst herauszubringen und eine ziemlich erfolgreiche Tour mit seinem Buch zu starten, die ihn mittlerweile nicht nur durch seine Heimat Kroatien führt, sondern auch durch Deutschland, Frankreich und die Niederlande. In fast allen Städten sind die Tickets für seinen Vortrag ausverkauft, auf den Facebook-Seiten herrscht ein Kartenhandel, wie man ihn sonst nur von Festivals und Konzerten kennt. Sein TED-Talk, sozusagen sein aktueller Vortrag in Kurzfassung, wurde auf Youtube über eine Million Mal geklickt. Tomislav rattert die bekannten Low-Budget-Tricks runter, von Couchsurfing, House Sitting und Häusertausch über Mitfahrzentralen, Freiwilligenarbeit und Mülltauchen – für die, die’s gerne radikal mögen. Eine – nicht ganz ernst gemeinte – Anleitung zum Trampen gibt’s noch obendrauf. Er erzählt, welche Hindernisse der gemeine Globetrotter heutzutage vor der Reise zu überwinden hat und rät seinem reisefiebrigen Publikum: „Try not to think“. Nach ein paar Anekdoten aus seinem fünfjährigen Leben als Weltenbummler, Reisender und Philanthrop wartet Tomislav Perko noch mit ein paar inspirierenden Fragen und Zitaten auf und fertig ist das – als Vortrag für reisesüchtige Studenten und jeden, der sonst noch kein Geld hat – getarnte Marketing-Event für sein Buch „1000 Days of Spring“.

 

Fernweh und Wanderlust als Vermarktungskonzept

 

Klar, Tomislav Perko ist ein sympathischer Typ, mit dem wahrscheinlich nicht nur ich gerne mal ein Bier trinken gehen würde, aber das ist höchstwahrscheinlich nicht der Grund, aus dem Tausende von jungen Leuten zu seinen Events strömen. Das Reisefieber hat uns alle gepackt. Wollten wir früher mal reich und berühmt werden, scheint es, als bestünde unser neues Lebensideal aus einem Rucksack, mit dem wir von Hostel zu Hostel, von einer Airbnb-Wohnung zum nächsten Guesthouse ziehen und Flugtickets zu Orten, mit denen wir unseren Instagram-Account aufpolieren können. Waren Reisen in die Tropen und die Karibik noch vor wenigen Jahren etwas extrem exotisches und eigentlich nur den Porschefahrern unter den Urlaubern vorbehalten, trifft man in Thailand oder Australien heute wahrscheinlich genauso viele Deutsche wie am Ballermann. Wir sind geradezu besessen von Fernweh und Wanderlust – und das lässt sich eben hervorragend vermarkten.

 

Reiseblogger – Traumjob schlechthin?

 

Die meisten von uns bewundern Menschen wie Tomislav Perko: All die Reiseblogger, -autoren und überhaupt jeden, der sich „Digital Nomad“ schimpft. Weil sie das tun, wovon jeder von uns träumt. Das, was fast jeder gern tun würde und sich dennoch kaum einer traut. Rucksack packen, ab in den Flieger, die Welt erkunden – und das ganze auch noch zu Geld machen. Um die 4000 Euro verdient ein Reiseblogger laut travelbook.de durchschnittlich, durch Affiliate Marketing, die Zusammenarbeit mit Unternehmen, die alle Produkte und Dienstleistungen anbieten, die ein Backpacker so brauchen kann. Oder eben wie Tomislav Perko durch Werbung, Sponsoren und Bücher.
Das Paradebeispiel dafür, wie man unseren Traum vom endlosen Reisen zu Geld machen kann, ist und bleibt wohl Murad Osmann, der mit seiner „Follow Me To“-Serie schon vor einigen Jahren einen regelrechten Hype im Netz auslöste. Mittlerweile hat der Fotograf fast 4 Millionen Follower auf Instagram, ein Buch auf dem Markt und Backpacker-Reisen höchstwahrscheinlich schon lange nicht mehr nötig. Auch wenn die Bilder mehr als gestellt sind und die beiden vermutlich kaum noch zum privaten Vergnügen reisen – mit ihnen tauschen würden viele von uns trotzdem gerne.

https://instagram.com/p/BAM5OqRGszA/

 

Ist also das Leben und Geldverdienen auf Reisen die ultimative Erfüllung unserer Träume?
Nein, sagt Patrick Hundt, dessen Seite 101 Places mit über 100.000 monatlichen Besuchern zu einem der größten deutschen Reiseblogs zählt. „Irgendwann sah vieles gleich aus: Noch ein Wasserfall, noch ein Strand, noch ein Tempel. Es machte alles keinen Unterschied mehr“, schreibt er in seinem letzten Blogeintrag. Vielleicht verhält es sich also mit dem Reisen ein bisschen wie mit Schampusflaschen, Sternschnuppen oder dem vierblättrigen Kleeblatt – sie sind nur so gut, weil sie so selten sind. Und sie sind so viel besser, wenn man sie selbst erleben, entkorken oder pflücken kann, statt nur darüber zu lesen.

 

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Bildquellen: Titelbild) Ian Schneider unter CC0-Lizenz; 1.) Privat