Kampf gegen toxische Chefs: Agenturen helfen Japanern bei Kündigung

In Japan ist es für viele Arbeitnehmer nahezu unmöglich, selbstständig zu kündigen. Ein Beispiel dafür ist Yuki Watanabe, die in einem Telekommunikationsunternehmen arbeitete und täglich bis zu zwölf Stunden im Büro verbrachte. Das klingt vielleicht schon extrem, doch in Japan gilt ein solcher Arbeitstag als normal. Watanabe erzählt, dass sie häufig erst um 23 Uhr Feierabend machte. Die Belastung führte dazu, dass sie gesundheitliche Probleme entwickelte, etwa zittrige Beine und Magenprobleme. Doch trotz ihrer Beschwerden fiel es ihr schwer, einfach zu kündigen.

Grund dafür ist die Arbeitskultur in Japan, die stark von Hierarchien geprägt ist. Es gilt als äußerst unhöflich, den Arbeitgeber zu verlassen. Viele Vorgesetzte betrachten eine Kündigung als persönlichen Affront. In besonders extremen Fällen, so berichtet CNN, würden Chefs sogar Kündigungsschreiben zerreißen oder Angestellte unter Druck setzen, damit sie ihren Job nicht aufgeben.

Resignationsexperten bieten eine Lösung

Watanabe fand dennoch einen Ausweg aus dieser Situation. Sie wandte sich an „Momuri“, eine Agentur, die sich auf Kündigungen spezialisiert hat. In Japan gibt es Firmen, die Angestellten helfen, ihre Jobs ohne persönlichen Konflikt zu verlassen. Für etwa 22.000 Yen (ca. 150 Euro) bietet Momuri einen Service, der Kündigungen im Namen der Mitarbeiter übermittelt und, falls nötig, rechtliche Unterstützung bereitstellt.

Die Nachfrage nach solchen Dienstleistungen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Besonders nach der Covid-19-Pandemie reflektierten viele Japaner über ihre Arbeitsbedingungen und entschieden sich, auszusteigen. Shiori Kawamata, die für Momuri arbeitet, erklärt, dass die Agentur allein im vergangenen Jahr über 11.000 Anfragen erhalten habe. Momuri unterstützt nicht nur bei der Kündigung, sondern vermittelt im Streitfall auch Anwälte.

Harte Arbeitsbedingungen führen zu Resignation

Das japanische Arbeitsumfeld gilt als extrem belastend. Viele Arbeitnehmer arbeiten unter schlechten Bedingungen, insbesondere in kleineren Unternehmen. Oft berichten Angestellte von Belästigungen durch Vorgesetzte, die nicht akzeptieren wollen, dass jemand kündigt. Einige Bosse sollen sogar so weit gehen, Mitarbeiter zuhause aufzusuchen oder sie zu mystischen Ritualen zu zwingen. CNN berichtet von einem Fall, bei dem ein Arbeitnehmer von seinem Vorgesetzten in einen Tempel gebracht wurde, um dort von einem Fluch befreit zu werden, der angeblich auf ihm laste.

Besonders in Branchen wie der Gastronomie und der Gesundheitsversorgung sind Angestellte besonders von dieser rigiden Arbeitskultur betroffen. Japanische Firmen, die für solche Zustände bekannt sind, werden als „schwarze Firmen“ bezeichnet. Einige dieser Unternehmen stehen mittlerweile auf einer schwarzen Liste der japanischen Regierung, die es zum Ziel hat, potenzielle Arbeitnehmer vor extremen Arbeitsbedingungen zu warnen.

„Karoshi“ – Tod durch Überarbeitung

Die Folgen dieser Arbeitskultur können tödlich sein. Das Phänomen „Karoshi“, der Tod durch Überarbeitung, ist seit Jahrzehnten in Japan bekannt. Laut dem japanischen Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt starben allein im Jahr 2022 über 50 Menschen an durch die Arbeit verursachten Hirn- oder Herzproblemen. Dies sei zwar ein Rückgang im Vergleich zu den 160 Todesfällen vor zwei Jahrzehnten, dennoch steigt die Zahl derer, die unter extremem Stress leiden, deutlich an.

Ein besonders tragisches Beispiel ist der Fall einer 31-jährigen Journalistin, die 2017 aufgrund von Überarbeitung verstarb. Sie hatte in den Wochen vor ihrem Tod mehr als 150 Überstunden angesammelt. Ähnliche Fälle sind auch in anderen Branchen bekannt, wie etwa im Gesundheitswesen. Dort beging ein 26-jähriger Arzt nach 200 Überstunden in einem Monat Selbstmord.

Junge Menschen verändern die Arbeitskultur

Ein Lichtblick in dieser düsteren Arbeitsrealität ist die sich verändernde Haltung der jüngeren Generationen. Experten wie Hiroshi Ono von der Hitotsubashi Universität in Tokio sagen, dass junge Menschen heute weniger bereit seien, sich den alten Arbeitsstrukturen zu unterwerfen. Sie haben mehr Macht auf dem Arbeitsmarkt, da Japan mit einer alternden Bevölkerung und einem Arbeitskräftemangel konfrontiert ist.

Viele junge Menschen in Japan entscheiden sich heute schneller, einen Job zu kündigen, wenn er nicht ihren Vorstellungen entspricht. Dabei wollen sie jedoch oft den direkten Konflikt mit ihren Vorgesetzten vermeiden und nutzen lieber Agenturen wie Momuri, um den Trennungsprozess professionell und stressfrei abzuwickeln.

Die Zukunft von Kündigungsagenturen

Obwohl einige Experten wie Ono der Meinung sind, dass es besser wäre, direkt mit dem Arbeitgeber zu sprechen, statt eine Agentur einzuschalten, zeigt die steigende Nachfrage nach solchen Dienstleistungen, dass sie einen Nerv treffen. Kawamata von Momuri sieht ihre eigene Arbeit kritisch. Sie wünsche sich, dass ihre Dienstleistungen eines Tages überflüssig würden. Doch angesichts der Horror-Stories, die sie täglich höre, glaubt sie nicht, dass ihre Agentur so bald schließen werde.

Japanische Kündigungsagenturen bieten ihren Kunden mittlerweile sogar einen Rabatt an, falls sie ein zweites Mal Hilfe bei einer Kündigung benötigen. Das zeigt, wie tief verwurzelt die Probleme in der japanischen Arbeitskultur sind.

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Bild: Unsplash; CC0-Lizenz