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Beziehungen: Der Kapitalismus der Liebe

Reden wir über Liebe! Puh, und schon tut alles weh. Chronische Herzmuskelentzündung, die durch das permanente Gelaber über die Liebe verursacht wird. Die Liebe ist einfach durch. Oder bin einfach nur ich mit der Liebe durch? Angesichts der Tatsache, dass ich meine Familie und einige Freunde wirklich sehr liebe und mir in manchen Momenten, zum Beispiel, wenn ich ein YouTube-Video von einem Beethoven-Flashmob sehe oder Bilder von der Maueröffnung 1989, tatsächlich Tränen in die Augen steigen und ich so etwas wie Liebe für die Welt empfinde, wohl eher nicht.

Also wagen wir heute noch einmal den Versuch, ein paar Thesen über diese seltsame menschliche Angewohnheit rauszuschrubben. Und konzentrieren wir uns dabei auf ein Phänomen, das mit der Liebe Hand in Hand geht, oder sollte ich besser sagen: Hand in Schelle, denn wir sprechen hier natürlich von der Beziehung. Dem Konzept, das wir erfunden haben, um ein Gefühl in eine lesbare Sozialstruktur zu übersetzen. Der Idee, von der alle besessen scheinen und von der ich mich hiermit verabschiede. Wirklich, Beziehung, mach’s gut, ich brauch dich nicht mehr. Tschüss.

 

Ein kleines Wort für einen großen Rechte-und-Pflichten-Katalog

 

Dabei war das Wort sicher mal sehr praktisch. Immerhin fasst es einen unfassbar großen, zwischenmenschlichen Bezüglichkeits-Komplex auf drei kleine Silben zusammen. Wir sind in einer Beziehung und jedem ist klar, was das bedeutet. Welche DO’s and DON’Ts ab jetzt gelten, welcher Regelkatalog hier durchexerziert wird. Boyfriend übernachtet bei Girlfriend: Ok. Boyfriend übernachtet bei Friend: Auch ok. Boyfriend übernachtet bei Ex-Girlfriend: Nicht ok.

Die Grundsätze des Beziehungskanons sind erstmal allen klar, es geht hier um sexuelle und emotionale Exklusivität, um Verfügbarkeit und Erreichbarkeit und eine sehr offene Informationspolitik, die auch hochinteressante Fragen wie „Was hast du heute so gegessen?“ umfasst. Wenn man jetzt ultra reflektiert und latent angetörnt von französischen Libertinage-Filmen ist, kann man den Kanon natürlich noch ein bisschen verändern. Allerdings brauchst du nicht hoffen, dadurch irgendwie unspießiger zu wirken, denn sobald ihr als Pärchen irgendwo auftaucht ist Schluss mit sexy time, egal was ihr da mit Rotwein im Mund über offene Beziehungen blubbert.

 

Geben und Nehmen = Kapitalismus

 

Aber okay, der Beziehungs-Modus bietet Sicherheiten, schön und gut. Das Problem ist nur, mit den Rechten kommen eben auch die Pflichten und schon fängt man fröhlich an, aneinander herumzufordern. Ich habe auf dem langweiligen 50. Geburtstag deiner Mutter mit Tante Erna gesmalltalked, also kommst du gefälligst zu meinem Vortrag, der dich nicht interessiert. Um Zeit für dich zu haben, habe ich diese Woche Uni geschwänzt, also kommst du jetzt mit ins Theater statt Fußball zu schauen. Was nicht passt, wird angepasst.

Optimisten mögen jetzt behaupten, ach, das ist die berühmt-berüchtigte Balance von Geben und Nehmen, das pendelt sich dann schon ein. Oooh nein, ihr naiven Wesen. Die Wahrheit ist: Das hier ist knallharter Handel. Das hier ist Kapitalismus. Das hier ist der Teufel. Das ist das Ende der Liebe! Denn Kapitalismus ist nach Marx „das Streben nach Gewinn im kontinuierlichen, rationalen kapitalistischen Betrieb“, was auch nur eine nett-komplizierte Formulierung für Ausbeutung ist.

 

Gewinnoptimierung

 

Unser Beziehungsmodell ist nach den gesellschaftlichen Verhältnissen geformt, läuft nach gänzlich ökonomischen Marktmechanismen ab. Input-Output, Investition und Ertrag und so, ihr wisst schon, graue Herren bei Momo. Wir sind uns unseres eigenen Marktwertes bewusst, wissen wie wir uns noch weiter optimieren können und versuchen, im Spielraum unseres Körper-Kapitals denjenigen zu angeln, der am Besten und Schönsten ist.
Nicht zuletzt um auch dadurch das eigene Portfolio weiter zu verbessern, denn natürlich strahlt die Grandezza meines Partners auch auf mich ab. Daher dieser unsägliche Blick zur Tür – kommt da noch ein besseres Angebot? Daher diese Bindungsangst auf der einen und diese Abhängigkeiten in Beziehungen auf der anderen Seite.

 

Geben und Geben: Die neue Reziprozität

 

So. Und davon möchte ich mich hiermit verabschieden. Versteht mich nicht falsch, auch ich habe große Lust, einem Menschen sehr vertrauen zu können. Mich nicht regelmäßig bei schlechten One-Night-Stands mit betrunkenen halbsympathischen Dudes zu langweilen. Ich will eine Beziehung, die nicht Beziehung heißt. Als erstes muss man dieses verbrannte Wort wegschmeißen. Und dann den Kapitalismus. Ein Liebesverhältnis zu einer anderen Person sollte einfach auf diesem dem Kapitalismus ausgesprochen unbekannten Prinzip des Schenkens beruhen, auf geben und geben. Ohne beim Geben schon einzukalkulieren, was man eventuell dafür bekommen könnte.
Den Kapitalismus überwinden. Ein ehrgeiziges Ziel, ich weiß. Aber ich werde reich dafür entlohnt werden, ich werde mit dem Menschen meiner antikapitalistischen Träume auf einem verfickten Einhorn in den Sonnenuntergang reiten und dem Kapitalismus den Mittelfinger entgegenstrecken, wenn Miramis (so wird das Einhorn heißen) vom Boden abhebt und wir durch fremde Galaxien fliegen, während wir voneinander lernen, uns gegenseitig beflügeln und uns neue Welten eröffnen, am Anderen wachsen anstatt uns einzuschränken und anzupassen. Wir werden die einzigen beiden Menschen auf der Welt sein, die nichts voneinander verlangen sondern sich gegenseitig einfach nur zulassen. Wir werden sein wie Aladdin und Jasmin. Vielleicht. Einen Versuch wär’s doch mal wert:

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Bildquelle: Ian Schneider unter CC 0 Lizenz