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Kenan aus dem Iran: Ein Flüchtender erzählt uns seine Geschichte – Teil 2

Kenan ist jetzt in Sicherheit

 

Kenan landete in Karlsruhe und Heidelberg, später in Essen, wo ihm erklärt wurde, dass er wieder nach Brandenburg zurückmüsse. Aus Angst, erneut nach Pritzwalk geschickt zu werden, verließ er das Flüchtlingsheim und wurde auf der Straße von der Caritas aufgelesen, die ihn bei sich aufnahm – im nahegelegenen Wuppertal, wo er später meine Mutter kennenlernen sollte. Die Helfer versicherten ihm, dass sein Antrag auf Asyl dort bearbeitet werde und dass er nicht zurück nach Brandenburg müsse. Aufgrund seiner Albträume, die es sich mittlerweile als ständige, unheilvoller Begleiter an seiner Seite bequem gemacht hatten und wegen seiner damit verbundenen Angstzustände ist die Stiftung, wo ich ihn an diesem Tag abgeholt hatte, zu seinem neuen Zuhause geworden.

„Das einzig Positive“, sagt er, „ist die Tatsache, dass ich in Sicherheit bin. Mein Oberarzt hat mir versprochen, mich nicht zu entlassen, bevor mein Status in Deutschland nicht endgültig geklärt sei. Ich möchte doch einfach nur einen Deutschkurs belegen, die Möglichkeit bekommen zu arbeiten, eine Ausbildung machen. Ich habe mich bereits an der Universität Wuppertal erkundigt, ob ich mein Studium weiterführen kann. All das geht aber nur, wenn ich eine Genehmigung bekomme, hierbleiben zu dürfen.“

Und so servieren meine Eltern Spaghetti Bolognese, Vanille-Zimt-Eis mit Apfelsorbet gibt es als Nachspeise. Diese Selbstverständlichkeit, mit seinen Eltern am Tisch zu sitzen, das Abendessen zu genießen, gemeinsam zu lachen, gewinnt in diesen Stunden eine andere Bedeutung. Aus dem „ganz Normalen“ wird ein Privileg. Das Haus, in dem man aufgewachsen ist, verwandelt sich in eine Festung der Obhut. Als ich Kenan um 20 Uhr wieder zurückbringe (so war die Absprache mit dem Pflegepersonal) und wir gemeinsam die Treppen zu seiner Station hochstapfen, durchfährt mich eine unsagbare Traurigkeit. Ich werde diese Stufen in drei Minuten wieder hinuntergehen, in den Wagen steigen und nach Hause fahren, wo meine Eltern auf mich warten. Danach ein Bierchen in der Kneipe mit meinen Freunden, die ebenfalls über die Festtage in die Heimat zurückgekehrt sind. Dort, wo einst die Wiege stand, bevor man sich aufmachte in alle Ecken der Welt, zum Studieren, zum Arbeiten. Eine Heimat, in die man immer wieder zurückkehren kann. Viel zu selten bin ich mir dessen bewusst.