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Kenan aus dem Iran: Ein Flüchtender erzählt uns seine Geschichte – Teil 2

Von Dennis Melzer

Kenan ist 31 Jahre jung, stammt aus einer sechsköpfigen Familie und hat sein Herz an den Fußball verloren. Für ZEITjUNG hat er seine berührende Geschichte erzählt. Das ist der zweite Teil – den ersten findet ihr hier.

Kenan hält kurz inne und nimmt sich einen Haselnusstaler aus der Plätzchendose, als müsse er sich zunächst stärken, bevor er über seine weiteren Erlebnisse reden kann. „So etwas wie da habe ich noch nie erlebt. Wir waren mit unzähligen Menschen in einer Art Zelt untergebracht, unbeheizt, kein fließendes Wasser. Rund um das Zelt waren schwerbewaffnete Polizisten postiert. 20 Tage lang war es nicht möglich, eine Dusche zu nehmen, Internet gab es dort, mitten im Wald, sowieso nicht. Wir haben uns wie Schwerverbrecher gefühlt, die auf engstem Raum miteinander auskommen mussten. Nach zwei Wochen setzte der Lagerkoller ein und wir versuchten, die Polizisten davon zu überzeugen, uns weiterziehen zu lassen. Ich habe noch nie unter solch unmenschlichen Verhältnissen leben müssen. Aber die Polizisten wiesen uns immer wieder zurück, notfalls wurden sie handgreiflich. Wir saßen auf einem Pulverfass, das stets kurz davor war, in die Luft zu gehen. Nach diesen 20 Tagen wurden wir endlich weiter gelassen, nur um einige Zeit später an der österreichischen Grenze abgewiesen zu werden. Ich dachte eigentlich, dass ich es schon fast geschafft hatte. Plötzlich war ich in Venedig, einige Tage später in Verona. Ich hatte mittlerweile zwei Jungs kennengelernt, die aus ähnlichen Gründen wie ich aus dem Iran geflohen waren. In Mailand wollten wir einen neuen Versuch wagen. Dort sprachen wir mit einem Sozialarbeiter, der uns dringend davon abriet, diese Route zu wählen. Er verriet uns, dass wir es besser über Süditalien versuchen sollten. Von dort sollten wir mit dem Schiff nach Nizza fahren. Die Chancen, so nach Deutschland zu kommen, seien größer.“

„Wir hatten Glück“, sagt er mehr zu sich selbst als zu mir. „Warum?“, frage ich. „Weil wir alle drei ganz gutes Englisch sprechen und weil niemand uns auf dem Schiff kontrolliert hat, das nach Nizza fuhr. Als ich in Südfrankreich ankam, waren drei Monate seit meiner Flucht vergangen. Aber kurze Zeit später war ich endlich in Deutschland, in Frankfurt. Dort wurde ich wieder registriert. Aber das war lediglich eine Zwischenstation. Einer meiner beiden Mitreisenden schlug vor, dass wir in Berlin unterkommen könnten, bei Verwandten von ihm. Aber natürlich ging auch das nur einige Tage, weil die Wohnung für drei weitere Leute viel zu klein war. Und dann, dann kamen wir nach Pritzwalk. In Brandenburg.“

 

Flüchtlinge plus Brandenburg – ein gefährliche Kombination

 

Plötzlich schallen bei mir die vorurteilsbehafteten Alarmglocken. Flüchtlinge und Brandenburg, zwei Puzzleteile, die vermutlich nicht die besten Chancen haben, zusammenzupassen. Das Alle-über-einen-Kamm-scheren, vor dem man sonst immer selbst warnt, ist längst in meiner Sichtweise über verschiedene Teile Deutschlands verankert. Leider. „Ach du Schande, Brandenburg?“, sprudelt es aus mir heraus, weil ich sofort an brennende Turnhallen denken muss. Traurigerweise merke ich aus seinen Erzählungen, dass Klischee und Realität in diesem Fall eng beieinander liegen. Die Brandstiftung beschränkt sich hier allerdings auf das geistige und – zum Glück im Unglück – nicht auf das tatsächliche Anzünden von Unterkünften.

„Da will ich nie wieder hin“, gesteht Kenan und begründet: „Die Leute da waren nicht besonders freundlich zu uns. Ich gebe dir ein Beispiel: Weil meine Prepaid-Karte leer war, musste ich einen Handyladen aufsuchen. Ich ging hinein und fragte den Mann hinter der Kasse auf Englisch nach einer neuen. Er hat ganz genau verstanden, was ich von ihm wollte. In gebrochenem Englisch erwiderte er, dass ich erst einmal vernünftig Deutsch lernen solle, bevor ich seinen Laden betrete – und bat mich hinaus. Egal ob an Bahnhöfen oder in Bäckereien, überall wurde man mit Argwohn betrachtet, viele machten abweisende Gesten. Das ist hier ganz anders, die Menschen sind hier hilfsbereiter. Aber die Ablehnung der Einheimischen war nicht mal das schlimmste an Pritzwalk. In meiner Unterkunft lebten viele Afghanen und Syrer. Ich bekam mit, wie sie immer wieder hinter meinem Rücken über mich herzogen, weil sie mitbekommen hatten, dass ich Schweinefleisch esse. Es kam soweit, dass sie mich deshalb sogar angingen und bedrohten. Also war ich gezwungen, weiterzuziehen.“