Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #5

WhatsApp als Überbringer

 

Schon vor dem Gespräch mit Meier habe ich meinen Mut zusammen genommen und eine Whats-App-Gruppe für meine Freunde gegründet. Sie heißt Hoffnung. „Ich wünschte, ich müsste das hier nicht schreiben. Ich bin in Schwerin im Krankenhaus. Mir muss Gewebe entnommen werden. Es besteht Verdacht auf Krebs. Ich bin natürlich am Ende. Paralysiert und völlig unfähig. Bitte ruft mich heute nicht an…ich würde nur heulen. Aber ich brauche eure Liebe und eure Hoffnung. Ich liebe euch.“

 

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Mein Handy vibriert im Minutentakt. Wasser schießt in meine Augen, bei jeder Antwort, bei jedem guten und hoffnungsvollen Wort, das ich von ihnen lese. Gregor schreibt: „Wir packen das zusammen. Du bist ein Kämpfer und egal was kommt, du wirst alles schaffen. Du, wir, alle zusammen.“

Am späten Nachmittag besuchen mich Jan und Susanne. Ich kenne beide, seitdem sie klein sind; Jan seit 1994, Suse seit 2001. Sie sich hingegen erst seit vier Jahren. Auf einer Studentenparty in Rostock habe ich sie mit einem Kumpel vorgestellt, danach wurden sie ein Paar. Und sie für mich Freunde fürs Leben. Direkt nach der WhatsApp-Nachricht setzen sie sich in ihr Auto und fahren zu mir nach Schwerin, knapp zwei Stunden von Stralsund. Meine Eltern und ich warten vor dem Haupteingang der Klinik, Jan und Suse gehen auf uns zu und haben Tränen in den Augen. Mama und Papa umarmen die beiden, lange und fest. Das hatten sie noch nie gemacht. Worte fallen uns nicht ein, wir sind wie gelähmt. Der Schleier der Krankheit liegt auf uns, egal, wie positiv Oberarzt Meier uns vor ein paar Stunden die Aussichten skizzierte.

Am Eingang der Station ist die Hausordnung angebracht. Gäste dürften nur bis um acht bleiben. Wir hielten uns daran. Mama und Papa verschwanden gegen halb sieben, zurück nach Stralsund, mehr Klamotten, alles soll ja für länger sein. Jan und Suse fuhren kurz vor acht, nach einem ausgedehnten Spaziergang durch den Park vor der Klinik. Erst ein paar Tage später erfahre ich von einer Schwester, dass das hier niemanden interessierte, wie lange der Besuch bleibt. Suse ärgert sich noch heute, schüttelt den Kopf, um gleichzeitig über die eigene Naivität zu lachen. Mich den ersten Abend, in der ersten Nacht so lange alleine gelassen zu haben. „Nein, das ging eigentlich gar nicht.“

Sie hat Recht. Die erste Nacht ist erbärmlich. Eine Schlaftablette, die nicht wirkt, aufgefressen von meinen Gedanken. Bei Facebook schreibe ich Freunden, dass ich wegen Krebs im Krankenhaus liege.

 

Hier findest du alle „Fürs Erste Krebs“-Episoden von Sebastian Schramm.

 

Die Diagnose Krebs ist immer schlimm. Aber gerade jungen Menschen wird oft der Boden unter den Füßen weggerrissen, wenn ihnen die Krankheit in ihre Lebensplanung hineinpfuscht. Deshalb gibt es seit 2014 die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Ihr Ziel ist es, die Therapiemöglichkeiten und die Versorgungssituation zu verbessern und Erkrankten mit Gesprächen und Austausch zur Seite zu stehen. Die Facebook-Seite der Stiftung findet ihr hier.