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Warum Tattoos auf Frauenkörpern mehr sind als bloße Dekoration

Ich kenne kein Tattoo ohne Geschichte. Es gibt 36-Jährige, die mit einem Schmunzeln und „damals im Ferienlager“ tief Luft holen. Philosophische Überzeugungen und persönliche Schicksale werden über schwarze Linien erzählt. Und selbst den Körper einzig als Leinwand zu verstehen ist eine – wenn auch seichte – Geschichte. Doch wenn Frauen sich tätowieren lassen und damit eine eigene Symbolik ästhetisch ausdrücken, sind ihre Tattoos trotzdem in ein gesellschaftliches Korsett gepresst.

Denn es geht bei Frauen nicht um Fragen von Freiheit oder Heimat, wenn Anker und Vögel ihre Körper bedecken. Oder um körperliche Selbstbestimmung und individuelle Schönheitsvorstellungen. Sondern darum, dass #girlswithtattoos hypererotisch und verkleidete Pornos sind, oder ob dieser Körperschmuck schön, süß oder passend ist. Wichtig wird anscheinend, wie andere die Tattoos finden, dass andere die Ästhetik – und nur die Ästhetik – bewerten. So ist unser sonstiger Schrei nach Selbstbestimmung vergessen, sobald es um rebellischen Jugendsünden und prachtvolle Körperverzierungen geht.

Doch in dieser Kritik geht es nicht um Trends oder darum, ob Schmetterlinge besser sind als Arschgeweihe, oder geometrische Linien superindividuell. Es geht darum, dass gerade die Welt körperlicher Ästhetik eine geschlechtliche ist, die wir mit unseren Gedanken und Einstellungen immer wieder reproduzieren. Und so sind Tattoos nicht nur persönliche Anekdoten, sondern erzählen auch eine Geschichte geschlechtlicher Ungleichheit.

 

Wenn Tattoos Geschichte werden

 

Tattoos werden seit dem neolithischen Zeitalter, also seit mindestens 8.000 Jahren gestochen. Selbst der Ötzi hatte Markierungen auf seiner Haut. Oftmals waren sie ein Zugehörigkeitsmerkmal wie bei den Maori, aus deren Sprache sich das Wort für Tattoo ableitet: Tatao. Ein anderes Beispiel dafür sind die Yakuza, japanische kriminelle Organisationen. In manch heißen Quellen in Japan sind Tattoos deshalb verboten – denn nicht verurteilten Straftätern kann man unbegründet schwer den Zugang verbieten. Aber Tattoos bieten sich als wunderbarer Grund an, Türsteher zu spielen.

Auch tragische Momente sind mit Tattoos verbunden, die zur negativen Markierung und Besitzerklärungen verwendet wurden. Man muss nur an das Dritte Reich oder den Sklavenhandel denken. Die Historie von Tattoos – ihre Größe, Symbolik, Wahrnehmung – hat eine geschlechtsunabhängige Komponente. Doch ihre Geschichte zeigt eben auch, dass es eine Rolle spielt, ob man männlich oder weiblich ist.

 

Seemänner und Schmetterlinge

 

Beispielsweise waren die typischen Seemannstattos lange Zeit eine Domäne von Männern. Fast pervers ist, dass Frauen sie nicht tragen durften und gleichzeitig zum häufigen Motiv auf Körpern wurden. Damit wird deutlich, dass Frauen begehrenswert sind, selbst aber nicht begehren durften. Diese klassische Geschlechtervorstellung kennen wir alle, it’s an old tale….

Dass Tattoos auf Frauenkörpern Sex und Erotik implizieren, beschreibt Dr. Christine Braunberger in ihrem Buch „Revolting Bodies: The Monster Beauty of Tattooed Women“ mithilfe eines Beispiels aus dem Jahre 1920. Ein Gericht in Boston ließ einen Vergewaltigungsvorwurf fallen, weil das Opfer tätowiert war. Ein Schmetterling auf ihrem Bein wurde zum Symbol ihrer Promiskuität und bewies nach Ansicht des Richters, dass sie längst nicht mehr Heilige, sondern Hure war. Anscheinend war dieser Körperschmuck – genauso wie zu kurze Röche heutzutage – eine ganz offensichtliche Einladung und nicht, wie sollte man auch darauf kommen, persönliches Schönheitsideal *Ironie off*.

 

My body is my temple

 

Es ist das Bad Girl-Image, das tätowierte Frauen auf ihrer Haut tragen und dieses Bild ist eng geknüpft an Erotik, Exzess und die Suche nach Aufmerksamkeit – und das ist wohl der entscheidende Unterschied. Männer können mit Tattoos sexy sein, Frauen werden spätestens damit zu Sexobjekten.

Es ist dieser Hauch Anrüchigkeit, dieser Hang zum Skandalösen, der Tattoos anhaftet. Doch während Männer vom Leben gezeichnet sind, Falten haben dürfen und mit schwarzer Tinte gestochene Lebenserfahrung beweisen, schwingt bei Frauen der Gedanke an Unreinheit mit – ein No-Go für herrschende Geschlechterideale. Da verwundert es kaum, dass selbst in der Stellenausschreibung für Stewardessen steht, dass sie keine großen, sichtbaren Tattoos haben dürfen Oder habt ihr schon einmal eine voll tätowierte Miss Universe gesehen?

„My body is my temple“ sollte nicht nur für unseren Fitnesswahn, sondern auch für individuelle Schönheitsideale gelten. Es ist eine einzigartige, komplexe Wahl, ob ein Leib weniger als 12 Prozent Körperfett hat, oder ihn bunte Ikonen, Symbole und Fehler verzieren. Sich unendlich viele Nadelstiche in den Körper jagen zu lassen, darf und sollte auch bei Frauen als Statement stehen gelassen werden. Denn die Besitznahme des weiblichen Körpers, von Körpern im Allgemeinen, sollte – egal ob über physische Vergewaltigungen und Misshandlungen oder gesellschaftliche Ansprüche – Geschichte sein.