Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #2

Einen Tag später. Wieder in Schwerin. Der Kater ist weg, aber irgendwie fühlt es sich an, als brüte ich etwas aus. Die Augenringe sind trotz des ausgiebigen Nachholschlafs noch immer da, der Hals kratzt unerlässlich. Und ich habe keine Lust auf irgendetwas. Das verwirrt mich. Keinen Antrieb zu haben, das kenne ich nicht.

Eine Arbeitswoche mit all den Vor- und Nachbereitungen für die Redaktion oder das Studium; ich komme durchaus auf 60 Stunden, selbst mit dem vom Arbeitgeber veräußerten Studientag. Eine gute Erfindung. Ich darf für einen Tag zu Hause bleiben und kann die Aufgaben der Uni abarbeiten. Zumindest ist es so geplant. Die Realität: die „freie“ Zeit nutzen und all das machen, was sonst hinten runter fällt. Putzen, einkaufen, Wäsche waschen und natürlich auch etwas für das Studium. Oder mal ein paar Momente für mich?

 

Das Wochenende wegtrainieren

 

Zeit für mich bedeutet meistens Sport. Gleich bei mir um die Ecke ist McFit, fünf Minuten Fußweg. Drei- oder viermal die Woche kotze ich mich dort aus. Mal einfach abschalten, alles vergessen. Mein Ausgleich, selbst dann, wenn ich körperlich nicht auf der Höhe bin. Oder vor allem dann. Um es mir persönlich zu beweisen. Dass ich nicht schwach bin, sondern stark. Was für eine Scheißlogik. Mein Verlangen nach Bewegung hat krankhafte Züge. Eine ausgesetzte Einheit, aus welchem Grund auch immer, kann ich mir kaum selbst verkaufen. Ein Stück Kuchen oder eine Pizza treiben mich ins Studio. Ich kasteie mich für so etwas, glaube, ich nähme zu, würde unattraktiv oder täte dem Körper etwas Schlechtes. Diese Gedanken schlagen sogar Lustlosigkeit bedingungslos in die Fresse. Oder einer aufkeimenden Krankheit.

Ich zähle die Wiederholungen. Neun, zehn, elf, zwölf. Langsam senke ich die beiden Kurzhanteln wieder zur Brust, stoße mich mit einem schnellen Stoß nach oben und werfe sie ab. Geschafft. Für ein paar Sekunden bleibe ich auf der Schrägbank sitzen und atme durch. Mein Herz pumpt, als hätte ich gerade einen neuen persönlichen Rekord aufgestellt. Dabei habe ich das Gewicht nicht verändert. Egal. Es muss auch mal wehtun. Vor allem nach dem sündigen Wochenende in Kiel, ohne Bewegung, mit Alkohol.

Ich gehe ein paar Schritte. Viel Platz habe ich nicht. Das Studio ist komplett überfüllt. Kein Wunder: McFit, Montag, nachmittags und Februar. Eine explosive Mischung. Die einen sind da, weil sie immer da sind. Und die anderen zehren noch immer von ihren guten Vorsätzen. Aber auch das ist bald vorbei.

 

Scheitern ist keine Option

 

Noch in Gedanken drehe ich mich wieder um zur Schrägbank. Und irgendwie drehe ich mich zur mir selbst. Vor der Bank ist eine riesige Spiegelfront. Zwei Meter hoch, sechs Meter breit; unmöglich, sich nicht darin zu betrachten. „Na, wie schaust Du heute aus? Die Augenringe sind schon ziemlich heftig. Noch dunkler als in Kiel. Vielleicht liegt es ja am Licht? Aber sonst? Geht in Ordnung. Kannst mit auf die Straße gehen. Jetzt aber zurück an die Hanteln. Warte. Zur Hölle, was ist das?“

Beim Hals beißt sich mein Blick fest. Kurz über dem Schlüsselbein, auf der linken Seite, entdecke ich eine Erhebung. Etwas ungläubig schiebe ich meinen Kopf zum Spiegel, so als wollte ich mehr erkennen. Mit Mittel- und Zeigefinger umkreise ich die Stelle. Ein Knoten von der Größe einer Kirsche.

Und ich machte weiter. Die Niederlage, sie war schon da, aber ich scherte mich einen Dreck. Ich verliere doch nicht, schon gar nicht mit 25 Jahren. Was sind schon ein geschwollener Lymphknoten, Augenringe und Kraftlosigkeit? Funktionieren um jeden Preis. Scheitern ist keine Option. In meinem Duden stand nichts von Krebs.