Die Kredibilität der vegetarischen Bratwurst
Die Warenauslage des Einzelhandels verkommt immer mehr zu einer Ode an die Ratlosigkeit. Neben dem Sojajoghurt finden sich bereits seit längerem schnitzelförmige Absonderlichkeiten der Marke Valess, die allen Ernstes mit dem Slogan „Ein Gedicht aus Milch“ auf sich aufmerksam zu machen versucht. Es funktioniert: Ich bin aufmerksam und verwirrt. Lust auf Milchprodukte befriedigen vermutlich die wenigsten Konsumenten durch einen Fleischersatz. „Fleischersatz“. Allein der Wortlaut lässt erschaudern und erinnert unweigerlich an Begriffe wie „Gammelfleischskandal“, „Analogkäse“ oder „Alkoholfreies Bier“.
Schiebt man persönliche Präferenzen beiseite, kommt man dennoch nicht umhin, nach der Zielgruppe derartiger Produkte zu fragen. Aber der gemeine Valess Schnitzel-Käufer scheint kein Morgenmensch zu sein, zumindest zeigt eine einstündige Observierung des Kühlregals keinen Erfolg, sodass die Feldforschung zu Recherchezwecken vorzeitig abgebrochen wird.
Fleischlos glücklich?
Zunächst richtet sich das Produkt primär an Vegetarier – soweit, so offensichtlich. Aber von welchem Typus Vegetarier sprechen wir hier genau? Für den Verzicht auf Fleisch gibt es verschiedene Gründe: Der Tieren wegen, der eigenen Gesundheit zu Liebe oder aber der schlichte Ekel vor Leichenteilen.
Einzig die zweite Gruppierung scheint legitimiert zu sein, zum Valess Schnitzel oder zum vegetarischen Mühlen Hack zu greifen. Hier hat sich jemand möglicherweise nicht bewusst für den Verzicht auf Fleisch entschieden, sondern wurde von äußeren Umständen dazu gedrängt.
Widerspricht in den anderen Fällen der Kauf von Produkten, die sowohl in Aussehen und Geschmack tierischen Produkten zumindest sehr nahe kommen (sollen), nicht völlig meinen Prinzipien? „Ja“ sagen die Vegetarier, die aus reiner Abscheu vor dem Geruch, der Konsistenz und dem Geschmack auf Fleisch verzichten. „Nein“ sagen hingegen diejenigen, denen es um das Leben der Tiere geht. Vor dieser Gruppierung sei an dieser Stelle der imaginäre Hut gezogen: Bewundernswert, wie ihr es so lange ohne industriell gefertigte Burger Patties aus Weizen, Soja, Eiweiß und Rapsöl ausgehalten habt. Dies sind nämlich die Bestandteile, welche die Firma Rügenwalder Mühle als Grundlage für ihre vegetarischen Produkte aufführt.
Glaubwürdigkeit der Produzenten
Gerade im Falle dieser Produkte kommt man aber ins Grübeln. Bitte nicht falsch verstehen: Das Familienunternehmen aus Rügenwalde ist in der Fleischindustrie eine kompetente, glaubwürdige und sympathische Größe. Erinnern wir uns doch alle gern an den eingängigen Jingle zur „Pommerschen“ (dieser Ohrwurm geht aufs Haus!). Aber was bedeutet dies für deren vegetarischen Produkte? Kaufe ich als überzeugter Tierschützer die fleischfreien Produkte mit der roten Mühle, unterstütze ich nach wie vor eine Marke, die ihren Umsatz zum Großteil mit dem Verarbeiten tierischer Produkte generiert.
Ähnlich zweifelhaft das Aufgreifen des Thema Fakefur aka Kunstpelz vieler Modemarken. Die Art und Weise wie Echtpelz in der Verarbeitung und schließlich auf der Ladentheke landet, ist alles andere als unterstützenswert. Es lebe die Kunstfaser – echt jetzt. Aber zum einen ist es kein Geheimnis, dass oftmals keine saubere Trennung von Echt- und Kunstpelz stattfindet und zum anderen stellt sich auch hier wieder die Frage nach der Glaubhaftigkeit der Produzenten. Selbst wenn ich im Einzelhandel nach der, als vegan deklarierten, Jacke greife, verzückt das Modell am Kleiderhaken daneben mit dem selben Label mit einem flauschigen Fuchspelz am Kapuzensaum.
Die Industrie zeigt uns vermehrt Möglichkeiten auf, auch ohne die Ausbeutung von Tieren ein gut gekleidetes Leben der Völlerei zu genießen. Obacht: Es folgt nun keine Pauschalisierung! Aber wie viele Produzenten stehen tatsächlich hinter dem, was sie tun und was sie uns über die Werbung so schön verkaufen? Die Rügenwalder Mühle ist ein Familienunternehmen, in dem die Fleischerzunft seit Generationen besteht. Hier gibt es also zwei Möglichkeiten, weshalb das Produktportfolio auf vegetarische Angebote erweitert wurde: Entweder der Junior Chef hat sich in ein radikales PETA-Mitglied verliebt oder es war eine rein marketinggetriebene Entscheidung.
Ökologisches Gewissen? – Ich weiß ja nicht!
Ja, nun mag man meinen, dass die Gründe, die zu derartigen Entscheidungen bewegen, irrelevant seien – denn jede Veränderung sei eine Verbesserung. Aber eine größere Angebotsvielfalt im Kühlregal ist nicht gleichbedeutend mit dem Umdenken der Menschen. Um die wachsende Zahl der Tierfreunde, die nicht gewillt sind durch ihren Konsum die Ausbeutung und Massenhaltung wehrloser Lebewesen zu unterstützen, weiterhin zum Kundenkreis zählen zu können, werden Unternehmen auch weiterhin Wege einschlagen, die von ihrem ökologischen Gewissen überzeugen sollen. Ich weiß ja nicht.
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Bildquelle: Lindsay Henwood via CC0