Paris Krieg kann man nicht wegstreicheln

Kriege kann man nicht wegstreicheln

Der Weg der Angst ist ein kurzer. Sie sprintet auf den Marschwegen der Montagsdemonstrationen und springt einem vom Titel der BILD-Zeitung an. Sie schnellte vorletzten Sonntag bei den französischen Regionalwahlen vor jeder anderen Partei in die Urne, sie lässt Bomben über Syrien fallen und läuft uns allen voran.

 

Eine kleine kalte Hand mit schnellen Beinen

 

Seit den Attentaten vom 13. November in Paris dreht sich die Welt irgendwie schneller. Und die Angst schubst an. Sie hat es leicht in diesen Tagen: Sie ist wahrscheinlich die erste Reaktion, die der Mensch angesichts der aktuellen Nachrichtenlage entwickelt. Doch es wäre sehr gefährlich, nicht weiterzudenken; bei der Angst stehen zu bleiben, ihre kleine kalte Hand zu nehmen und mit ihr loszurennen.

Affekte wie Angst, Aggressivität, Hass, aber auch Solidarität formieren sich schnell und manchmal unüberlegt. Doch wenn wir nicht den entscheidenden Schritt weitergehen, weiterdenken, wegrationalisieren, bilden diese instinktiven und teilweise unbegründeten Emotionen die einzige Grundlage für unser Tun: „Eine Emotion ist eine Reaktionsdisposition“, erklärt mir der Neuropsychologe Thomas Elbert: „Die Bereitschaft, eine bestimmte Handlung durchzuführen“. Letzte Woche peitschte der deutsche Bundestag im Eilverfahren einen Beschluss für militärische Einsätze im Kampf gegen den IS durch, Großbritannien bombardierte nur wenige Stunden nach der Entscheidung in London erste Stützpunkte in Syrien. Hitzig, emotional und persönlich wurde es bei den Debatten; wer angeschossen wird, schießt zurück, und genau nach diesem Prinzip agiert die Politik dann scheinbar auch. Ist nicht der Terror des IS die Ernte, die Bush und der gesamte Westen mit dem Irakkrieg säte? Man kann es nicht ganz so einfach herunterbrechen, aber zu oft scheinen die Akteure nach einem einfach geschnitzten Stock zu laufen: Wie du mir, so ich dir. Was droht bei dieser gefühlsgeleiteten Vorgehensweise, ist eine Spirale der Gewalt.

 

Krieg buchstabieren, Gefühle instrumentalisieren

 

„Weil diese Reaktionsdisposition mit der Zeit schwächer wird, wäre es natürlich das Beste, darüber zu schlafen. Es wäre immer gut, etwas abzuwarten, klar“, bestätigt mir Professor Doktor Elbert, der an der Universität Konstanz vor allem zur „Psychobiologie menschlicher Gewalt- und Tötungsbereitschaft“ forscht. Doch natürlich ist das nicht möglich, wenn Gefahren akut sind und die Leute eines Landes danach brennen, dass sie jemand aus ihrer Ohnmacht befreit, dass ihnen jemand sagt, wie es nun weitergeht: „François Hollande überlegt sich natürlich auch ganz genau, wie kommt was bei meinen Leuten an. Wenn er sagen würde, da muss ich jetzt in Ruhe drüber nachdenken, dann flippen die aus. Er muss sich also auch überlegen, wie spreche ich mein Volk an, damit sie sich weiterhin gut von mir betreut fühlen“.

Wenn sich der französische Präsident einer emotionalen Rhetorik bedient, indem er erhitzt verkündet „Nous sommes en guerre“, lässt er sich also vielleicht gar nicht (nur) von seinen eigenen Affekten als Privatperson leiten, sondern instrumentalisiert als Staatsmann bewusst die Emotionen seines Volkes – Angst, Vergeltung, Zusammengehörigkeitsgefühle -, um einer verunsicherten Gesellschaft das zu geben, was sie hören will. Krisen erfordern große Gesten und schnelle Entscheidungen – „und das ist das Problem“, erklärt der Psychologe Elbert: „Denn besser wäre es natürlich zu sagen, wir analysieren die Situation und überlegen genau, was wir machen können“. Doch dafür fehlt die Zeit.

 

Kriege kann man nicht wegstreicheln

 

Wie oft werden Politiker als kalte, gefühlslose Roboter kritisiert, die unmenschliche weil kaum merkliche Reaktionen zeigen, auf Krisen schwerfällig reagieren und echte Tränen mit unbeholfenen Patschehändchen wegstreicheln zu versuchen. Natürlich ist menschliche Wärme und Empathie etwas, das keiner Führungsperson fehlen sollte. Aber vielleicht ist es wichtig, dass ein Staatsoberhaupt seine eigene Familie von einer ganzen Gesellschaft und einen nächsten Monat von der nächsten Dekade abgrenzen kann – politische Entscheidungen über Krieg und Frieden haben Wirkungen von einer Laufzeit, die uns als Individualpersonen nur nebulös vorschweben.

Blinde Solidarität hilft einem Land nur so lange, bis man wieder klar sehen kann. Denn die Entscheidungen von letzter und vorletzter Woche haben keine rationale Grundlage: kein UN-Mandat. Völkerrechtlich sei der Einsatz nicht zu rechtfertigen, schreibt auch Benjamin Friedrich im Katapult-Magazin. Kriege lassen sich nicht wegstreicheln. Aber Probleme kann man auch nicht zerbomben; man muss sich ihnen mit klarem Kopf und ruhiger Hand stellen.

 

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Bildnachweis: Bianca Dagheti unter cc by-nd 2.0