
Gleichbehandlungsgesetz ist „gesellschaftlicher Sprengstoff“
Ein umstrittenes Klagerecht
Ein weiterer Vorwurf ist der der „staatlichen Überwachungsbehörde“: Neben einem Verbandsklagerecht (wie es etwa bereits Verbraucherschutzverbände haben) und der Möglichkeit der Prozessstandschaft für Antidiskriminierungsverbände will die Antidiskriminierungsstelle (beziehungsweise deren Beauftragte) auch ein „altruistisches Klagerecht“ haben.
Volker Boehme-Neßler, Rechtswissenschaftler und Professor für Öffentliches Recht und Medien- und Telekommunikationsrecht an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, wirft Ataman vor, sie wolle sich selbst das Recht einräumen, „immer zu klagen, wenn sie glaubt, einen Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz zu sehen.“
Laut dem Grundlagenpapier diene dieses Klagerecht nicht der Durchsetzung individueller Interessen einzelner Personen, sondern der Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Antidiskriminierungsrecht. Dadurch soll die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu denen anderer europäischer Länder aufschließen, die im aktuellen Vergleich mehr Kompetenzen haben.
Darüber, wie sich dieses Recht in Wirklichkeit auswirken würde, wissen wir aber noch gar nichts. Wer im Internet nach Beispielen oder einer Definition eines „altruistischen Klagerechts“ sucht, der sucht vergebens – weil es das in dieser Form noch nicht gibt. Noch dazu ist dieser Abschnitt im Grundlagenpapier recht kurz und bietet kaum Informationen: Wie würde dieses Recht zum Einsatz kommen? Im Vorschlag steht, dass es in Fällen genutzt wird, in denen es keine Kläger*innen gibt, aber was heißt das? Und wie genau soll es für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sorgen? Wir unterstellen der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman an dieser Stelle keine böswilligen Absichten, aber aus diesem Vorstoß allein ergibt sich noch nicht ganz, warum dieses Klagerecht für sie nötig ist.
Gute Vorschläge und eine große Unklarheit
Es ist wichtig, die einzelnen Verbesserungsvorschläge auch für sich zu bewerten: Viele der geforderten Reformen klingen durchweg schlüssig und nach sinnvollen Überarbeitungen eines seit dem Jahr 2006 kaum berührten Gesetzes. Die beschworene „Beweislastumkehr“ bei Diskriminierungsvorwürfen steht uns nicht bevor – das sollte eigentlich jeder/jedem klar sein, der/die sich das Grundlagenpapier durchgelesen hat. Da das aber nicht viele machen werden, lässt sich damit ganz gut Stimmung gegen die Reform machen.
Einzig und allein das „altruistische Klagerecht“ wirkt derzeit undurchsichtig und nicht gut genug ausgearbeitet. Da bräuchte es definitiv mehr, bevor der Antidiskriminierungsbeauftragten solch ein Recht überhaupt zugesprochen werden kann.
Weitere verwendete Quellen:
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Bildquelle: Wikimedia Commons; CC BY-SA 2.0