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Schatten statt schwarzem Balken – Dieser Fotograf zensiert in der Öffentlichkeit

Gestresst, mit dem obligatorischen Blick auf ihre Smartphones, rennen die Menschen durch die Straßen der Städte. Alle scheinen ein genaues Ziel zu haben, das sie durch den Großstadtdschungel leitet. Immer im Stechschritt und ohne sich von Promotern oder Bettlern stoppen zu lassen gehen sie ihres Weges, überqueren Straßen, betreten oder verlassen Gebäude. Sie fühlen sich unbeobachtet. Was sie nicht wissen: Hinter der nächsten Ecke lauert ein hungriger Street-Fotograf, der nur darauf wartet, sie abzulichten.

 

Zensur in der Street-Fotografie?

 

Julian Mittelstädt ist Fotograf in der bayrischen Landeshauptstadt München. In seiner Serie „Öffentlichzensiert“ zeigt er alltägliche Situationen, wie wir sie aus jeder Stadt kennen – mit einem wichtigen Detail: Die Gesichter sind zensiert. Allerdings entsteht diese Zensur nicht im Nachhinein mit der Hilfe von Photoshop. Nein, Julian zensiert bereits in dem Moment, in dem er das Bild aufnimmt. Mit Hilfe von Schatten von Straßenlaternen, Sonnenschirmen am Straßenrand oder Haltegriffen in der U-Bahn schafft er es, seine Modelle auf einzigartige Weise unkenntlich zu machen. Wir haben ihm einige Fragen zu seinen Bildern gestellt:

 

ZEITjUNG: Wie mache ich am besten ein Foto von jemanden, sodass er es nicht bemerkt?

Julian Mittelstädt: Es gibt mehrere Möglichkeiten. Moderne Kameras kann man beispielsweise mit W-Lan auslösen. Damals hatte ich noch eine alte Kamera (Fuji x100), die ich mit einem Kabel-Auslöser bedient habe. Das richtige Timing und den perfekten Bildausschnitt zu finden ist nicht so einfach.

 

Sagst du den Leuten dann trotzdem, dass du sie fotografiert hast?

Bei „Öffentlichzensiert“ muss ich das theoretisch überhaupt nicht, da ich die Menschen ja bereits im Bild zensiere. Viele fragen mich diese Frage. Meine Meinung dazu: Es gibt einfach Situationen, da entsteht eine gewisse Verbindung zwischen mir als Fotografen und dem Motiv. Eine unsichtbare „Einverständniserklärung“ sozusagen. Ich merke also, ob es „ok“ war. Sollte es vorkommen, dass sich jemand gestört fühlt, lösche ich natürlich das Foto oder verwende es nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, ich muss eine Situation oder Szenerie festhalten, als Erinnerung oder weil sie absurd erscheint. Da möchte ich den Vorbeirennenden oder verträumt Dasitzenden nicht stören und damit in seine Welt eingreifen und das alles zerstören, was ich dort gerade gesehen habe. Wenn man fragt, könnte es sein, das nie etwas entsteht, weil keiner mehr Fremden vertraut. Viele würden natürlich einfach Nein sagen ohne die Hintergründe anzuhören. Das war auch die Idee für Öffentlichzensiert – dem Ganzen aus dem Weg zu gehen.

 

Warum ist das Thema der Zensur so problematisch?

Jeder hat heute Angst im Internet verhöhnt zu werden oder für eine „Plakat-Werbung“ verwendet zu werden. „Etwas sehr weit gedacht“, denke ich mir da manchmal. Trotzdem hat jeder nunmal seine Privatsphäre, die durch ein Porträt oder Ähnlichem verletzt werden könnte. Würde jeder Street-Photograph mit einem Modelvertrag unterm Arm rumlaufen, würden niemals so tolle Arbeiten wie zum Beispiel von Martin Parr oder Vivian Maier entstehen.

 

Wartest du an einem Ort bis sich die Gelegenheit für ein Foto bietet, oder entstehen deine Bilder spontan?

Warten und Suchen ist wichtiger Bestandteil der Street-Fotografie. Manchmal verbringe ich bis zu 4 Stunden an einem Ort.

 

Wie würdest du dich fühlen, wenn du einfach von einem Fremden fotografiert werden würdest?

Ich würde mich natürlich sehr dafür interessieren, was er sonst so macht und fotografiert. Wenn ich jetzt mal meinen fotografischen Hintergrund beiseite lasse und ich es merke, würde ich glaube ich ihm ein bösen Blick zuwerfen. Das mache ich aber immer, wenn ich nicht weiß wie ich mich verhalten soll. Safety first!

 

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