Zu süß für Autorität: Mein Leben als kleine Frau
Es gibt Frauen, die aussehen wie Frauen und es gibt Frauen, die aussehen wie Mädchen. Ich sehe mit bald dreißig immer noch aus wie ein Mädchen und muss mich quasi benehmen wie ein knöchelbeißender Chihuahua, um überhaupt Autorität zu erhalten.
Mein Körper zählt unstolze 157 Zentimeter am Maßband und fünfzig Kilogramm auf der Waage. Damit bin ich ganze sieben Zentimeter und 29 Kilogramm unter dem europäischen Durchschnitt. Das macht mich nun nicht zu einer schockierenden Attraktion in einer Freakshow auf dem Jahrmarkt – aber es macht mich zu einer erwachsenen Frau, die bei jedem Weinkauf einen Ausweis vorzeigen und vor jedem hohen Küchenregal laut fluchend auf die Arbeitsplatte klettern muss, um an irgendetwas ranzukommen. Ich bin die, die auf jedem Gruppenfoto dümmlich grinsend mittig ganz vorne stehen muss, weil man sie sonst nicht sieht. Ich bin die, die in jedem Auto den verhassten Sitzplatz in der Mitte der Rückbank bekommt.
Ich bin die Frau, bei der Männer in patriarchalische Ur-Instinkte zurückfallen. Ich bin die, die selbst wütend immer noch aussieht wie ein Lamm. Ich bin eine der kleinen Frauen, die sowohl hart beneidet als auch tagtäglich unabsichtlich diskriminiert werden.
„Wie ist die Luft da unten?“
„Das ist ja ein Zelt für dich!“, wurde mir erst neulich wild lachend mit Blick auf meinen neuen Boyfriend-Coat in Größe S vor die Füße gelegt. Ich so: „Heeeeey, das is´ Oversizelook, Digga! Das muss so!“ Mein Gegenüber mustert mich und erwidert kopfschüttelnd und trocken: „Hach, du bist ja auch so ein süßes Persönchen! Da drin verschwindest du einfach.“ Was klingen sollte wie ein Kompliment, fühlte sich bei mir aber nur an wie das völlig ironiefreie Absprechen der Möglichkeit, dass auch ich tatsächlich eine vollständige Person sei (… und als hätte ich mich mit den Klamotten meines großen Opas verkleidet.) „First world problem!“, wird der erste von Euch gedanklich schreien. Klein, süß und schmal, was für eine Bürde! Aber genau da liegt mein Problem: zu klein, zu süß und zu schmal, um ernst genommen zu werden. Niemand hält mich für gefährlich und noch weniger hält mich jemand für autoritär. Wie denn auch, wenn ich jedes Gegenüber mit treudoofen und großen Augen von unten angucken muss als wäre ich ein Dackel. Natürlich nutzt mir das im Leben manchmal, ja… aber ins Berghain oder eine Chef-Etage komme ich mit dem Babyface auch nicht, Leute. Selbst wenn ich aussehen will wie ein Bad Ass, ist es immer noch die Baby-Bad Ass-Variante.
„Deine kleinen Hände!! So süß!“
Wenn ich laut mein Alter ausspreche, reißen sich jedes mal die Augen meines Gegenübers auf und ich weiß schon lange vor ihnen, was sie jetzt sagen werden: „Kraaaaaaass, ich hätte dich jetzt zehn Jahre jünger geschätzt.“ Wenn ich dann unglücklich aus der Wäsche gucke, hängen sie noch schnell ran: „Hey, mit 40 freust du dich!“. Jaha! Das ist in zehn Jahren! Mit Ende Zwanzig will man nicht mehr aussehen wie jemand, der Lebenserfahrung nur aus Spielfilmen von Woody Allen kennt. Denn da geht es nicht nur um das Optische. Es ist eben die Erwartungshaltung und das fehlende Zutrauen von Verantwortung an mich, wenn man mich nicht persönlich kennt. Wenn man also denkt, ich sei ein Teenager. Ein kleines Mädchen, dem man die Welt erklären will.
Ich bin ausgebildete Buchhändlerin und arbeite in einem kleinen Buchladen. Ich lese viel und kenne mich aus. Ich habe verdammt nochmal Germanistik studiert. Das ändert nichts daran, dass (oft auch ältere) Herrschaften an die Ladentheke kommen, mich vom Kopf bis zur Tischplatte mustern und dann tief seufzend fragen: „Ist der Chef denn auch da?“ Und da geschieht es dann… wie ein fetter Schlag mit der Reich-Ranicki Biografie in meine Babyface-Fresse: Ich sehe nicht nur jung, sondern damit einhergehend auch inkompetent aus. Zu winzig, um ernst genommen zu werden. Ich merke es in den Momenten, in denen mir Kunden schon im Vorfeld den Namen des Autors langsam buchstabieren: „Wittgenstein! Mit Doppel-T und G! Ach, den kennen Sie? Toll!“
„Baby, ich erkläre Dir die Welt!“
Männer, die meinen, sie müssen mir die Welt erklären, sind Teil meines Alltags. Beschützen will man mich sowieso die ganze Zeit und Männern fällt oft die Kinnlade runter, wenn sie sehen, dass ich eine Bohrmaschine bedienen kann. Bodyshaming erlebe ich fast täglich: Von „Kein Wunder, dass du frierst – bei deinem Gewicht!“ bis zu „Und da passt du rein? AHAHAHA! Ist das für Kinder?“ Der stille Konsens ist nämlich der: dünnen und kleinen Menschen darf man ihre Physik im Gegensatz zu dicken Personen, quasi gesellschaftlich anerkannt, um die Ohren hauen. Ebenso wie die Tatsache, dass man aussieht, als befände man sich noch in der Adoleszenz. Umgekehrt würde man ja auch nicht das T-Shirt eines moppeligen Freundes hochhalten und sagen: „Wer soll denn da reinpassen? Ein Elefant? Und außerdem kein Wunder, dass Du schwitzt – bei deinem Gewicht!“
Vielleicht ist man als kleine Person auch irgendwann überempfindlich. Und vielleicht muss man auch einfach anerkennen, dass man als kleine Frau einfach etwas mehr Stärke und Knöchelbeißerei braucht, um ernst genommen zu werden. Oder zumindest auf einem Stehkonzert etwas sehen zu können.