Schluss machen: „Ich muss mich noch ausleben.“

Autsch. Dieser Satz ist gefürchtet und das nicht umsonst – denn er tut weh. Sehr sogar. Und er fällt relativ oft. Aber wieso eigentlich? Ist diese Standardfloskel nur eine Ausrede, um nicht sagen zu müssen „Ich liebe dich nicht mehr“? Ist es die Angst, etwas zu verpassen, weil vielleicht doch noch etwas Besseres kommen könnte? Oder, und das ist mit Abstand die trostloseste aller Theorien: ist es am Ende doch keine Floskel, sondern eine unumgängliche Tatsache, weil junge Liebe unweigerlich zum Scheitern verurteilt ist? Schlichtweg deshalb, weil man sich zu früh kennengelernt hat, um zusammen zu bleiben? Sagen wir mal so: das ist die Regel. Wie ätzend. Doch dort wo es Regeln gibt… gibt es nicht auch Ausnahmen?

 

Die Tobseuche

 

Das Ende einer Beziehung kann unzählige Gründe haben. Die Liebe ist weg, man versteht sich nicht mehr, man ist zu Freunden geworden. Doch dann ist da noch dieser eine bestimmte Grund, der sich auf Zehenspitzen durch Beziehungen schleicht wie eine verborgene Krankheit, die eines Tages auszubrechen und unsere Beständigkeit auszurotten droht: die Tobseuche.

Die Tobseuche, nicht zu verwechseln mit der Tobsucht, ist eine weitverbreitete und ernstzunehmende Erkrankung, die meist zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr auftritt. Das Wort setzt sich zusammen aus dem Verb „Austoben“  des Wortstamms „Toben“ und „Seuche“, da es sich um eine epidemieartige Krankheit handelt. Das Krankheitsbild variiert von Unentschlossenheit bis Sprunghaftigkeit und drückt sich bei jedem Menschen anders aus. Die Symptome dagegen sind leicht diagnostizierbar: sie äußern sich meist mit dem Satz:  „Ich muss mich noch ausleben“.

Fällt dieser Satz, ist die Krankheit bereits weit fortgeschritten, genauer gesagt im Endstadium. Sie ist akut und wird sichtbar, hörbar und vor allem spürbar. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion: in dem Moment, in dem die fünf oben genannten Worte den Mund des einen Partners verlassen, wandern sie direkt ins Herz des anderen und vergiften es in Sekundenschnelle. Die Symptome der daraus entstandenen Virus-Mutation im Herzen des Vergifteten sind starke negative Gefühle wie beispielsweise Selbstzweifel, Trauer und Wut. Die Krankheit kann in einigen Fällen auch einen vorrübergehenden Verlust des Glaubens an die Liebe hervorrufen. Umgangssprachlich nennt man diese Virus-Mutation auch „Liebeskummer“.

Der Ausbruch der Tobseuche erfolgt plötzlich und unerwartet. Der Erreger hingegen schlummert schon lange in unseren Köpfen. Er schleicht sich in unser Gehirn und flüstert uns zu: es kann doch nicht sein, dass du mit Anfang 20 schon den perfekten Partner fürs Leben gefunden hast. Du muss doch noch so viel erleben, dich finden und nicht binden.“ Klammheimlich und hinterfotzig  versteckt er sich in einem verriegelten Winkel unserer Gefühlswelt wie ein grässliches Herpes, um eines Tages vulkanartig auszubrechen. Der Erreger verleiht festen Partnern von Anfang an den Touch eines Lebensabschnittsgefährten und graviert uns unterbewusst unsichtbare Stempel mit einem Ablaufdatum ein.

 

Ist Liebe out?

 

Und all das, weil wir tief in uns drin denken, wir müssen uns noch ausleben. Letzte Woche, ein Gespräch unter Freunden: „Ellie und Moe haben sich getrennt.“ – „Ja das wurde aber auch Zeit, die sind ja schon ewig zusammen.“ Hab ich da irgendetwas verpasst? Ist es out geworden, lange zusammen zu sein? Oder überhaupt zusammen zu bleiben? Ist das lame oder so? Ich versteh´s nicht so ganz. Aber auf einmal reden alle vom Ausleben.

Ausleben, ausleben, was heißt das denn eigentlich? Frei sein? Rumvögeln? Und überhaupt… wer sagt eigentlich, dass wir uns ausleben sollen? Wir selber oder die Tobseuche, die letztendlich nichts anderes als unser Zeitgeist ist? Mit wie vielen Menschen muss man denn schlafen, bis man sich ausgetobt hat? Sind herzlose One-Night-Stands besser als herzliche Beziehungen?

 

Man will immer das, was man nicht hat

 

Die Singles, die sich das durchlesen, fassen sich wahrscheinlich durchgehend an den Kopf. Die wissen nämlich, wie kacke das Putzlicht und One-Night-Stands auf Dauer sind. Und die würden sich vor Freude anpinkeln, wenn sie heute einfach mal einen faulen Abend vor der Glotze mit einem halbwegs attraktiven Menschen verbringen dürften. In Beziehungen wird das irgendwann mal unspektakulär. Die Gewohnheit übertönt dann nämlich in Form eines lautstarken Schnarchens den Ton. Da wird es dann plötzlich wieder ganz magisch, sich im Club wegzuschütten und umzuschauen, was noch so auf dem Markt ist, bis das Putzlicht angeht.

Doch sollte man dabei nie vergessen: man weiß erst, was man hatte, wenn man es verloren hat. Wenn man den Liebsten mit den Worten „Ach, hätte ich dich doch bloß später kennengelernt“ verlassen hat. Die Folgen der Tobseuche hinterlassen tiefe Narben im Herzen des anderen und meistens gehen sie nie wieder ganz weg. Überlegt es euch gut. Denn wenn man darüber streicht, wird man immer spüren, dass da mal ein Schnitt war, der vielleicht zu tief ist, um den Lebemenschen wieder zurückzunehmen. Und dann steht er da, mit seinem fünften Longdrink und der abgebrannten Kippe, und wünscht sich sehnlichst, vor dem Fernseher auf der Couch zu liegen.

Liebe ist nicht out. Selbst die Kooks singen neuerdings „We can settle down and start a family“. Wenn das mal kein Zeichen ist! Man kann in jungen Jahren seine große Liebe finden. Es gibt Ausnahmen. Radiert den Stempel mit dem Ablaufdatum aus. Gebt euren Lebensabschnittsgefährten wieder die Chance, eure Lebensgefährten zu werden! Einen Versuch ist´s doch wenigstens wert, oder?

Bildquelle: Eva Rinaldi unter (CC BY-SA 2.0)