
Liebeserklärung an: Die Postkarte
Liebe Freunde der Sonnen- oder auch Unwetteranbetung: Der Sommer ist offiziell da. Und damit beginnt neben dem in nördlicheren Gefilden berüchtigten Game of Schietwetter-Zones auch die so lang ersehnte Urlaubssaison. Das kann übrigens bedeuten, dass man entweder selbst Reisepläne schmiedet und das Weite sucht oder auch einfach nur froh ist, dank der temporären Abwanderung von Menschen mit erhöhtem Doof-Potenzial seine Ruhe zu haben.
Und während die sozialen Medien die ersten Reiserouten samt Euphoriepegel dokumentieren (und Marv und Harry schauen schon mal, wem sie den nächsten Besuch können), sehnt sich mein Körper gerade nach einer richtigen Auszeit, ohne Deadlines und Snooze-Missbrauch. Stattdessen tingele ich zwischen Schreibtisch und Küche hin und her und versuche mich mit Nervennahrung bei Laune zu halten. Und da sehe ich sie! Direkt am Kühlschrank, exotisch, nomadisch, fast quadratisch, praktisch, gut: die Postkarte.
Liebste Grüße aus No-Work-Land
Man könnte meinen, dass das doch eigentlich nur frustrierend und kontraproduktiv ist. Jetzt Urlaubsgrüße aus Thailand, Lissabon oder Valencia zu sehen, wo sich die eigene Motivation tot stellt und die Ausdauer Bungee springt. Vielleicht führt es auch nicht unbedingt dazu, dass ich mehr von meiner To-do-Liste schaffe. Aber diese Postkarten an meinem Kühlschrank erinnern mich an Menschen, die ich gern habe, und daran, dass Reisen noch immer das Schönste auf der Welt ist. Und dann schwelge ich in Tagträumereien und „wenn ich mal groß bin Geld hab‘“-Gedanken und werde auch ein klitzekleines bisschen wehmütig. Postkartenschreiben – Mensch Kinder, was waren das noch für Zeiten…
Früher gehörte das zum Urlaub einfach dazu. Vielleicht, weil man damals selbst noch haufenweise Karten bekam und sich ggf. etwas genötigt fühlte. Vielleicht, weil man sich gegen Ende tatsächlich schon wieder ein bisschen auf zu Hause und das große Wiedersehen freute und selbst die Aussicht auf Schule spannend schien. Oder (man kann es heute kaum glauben), weil man einfach ernsthaft ein Stück von seinem kleinen, nicht selbstverständlichen und von den Eltern hart erarbeiteten Urlaubsglück teilen wollte.
Postkartenschreiben für Fortgeschrittene
Tatsache ist, dass ich gegen Ende jedes Urlaubs unbedingt noch für die Lieblingsfreundinnen zwischen entblößten Körperteilen und 08/15 Bildern die schönsten Karten raussuchen und einen kompletten Nachmittag mit dem Schreiben verbringen musste. Dabei gab es nur zwei Regeln zu beachten. Regel Nr. 1: Schicke zwei ebenfalls befreundeten Personen, die sich austauschen könnten, nie, aber auch wirklich niemals dieselbe Karte. Regel Nr. 2: Halte dich für den perfekten inhaltlichen Aufbau an urlaubs- und beziehungsrelevante Schlüsselwörter. Hätte es damals schon Hashtags auf Papier gegeben, sie hätten wahrscheinlich so ausgesehen: #sonnigegrüßeaus #vollschönhier #jedentagstrand #ausflugnach #hdl #hdgdl #deineallerallerbestefreundin.
Aber so gerne ich auch Karten geschrieben habe, so gerne habe ich sie auch bekommen. Auf dem Weg nach Hause konnte ich es fast nicht abwarten. Neben der alles entscheidenden Frage „Wer hat wohl an mich gedacht?“ ging es vor allem darum, auf diesem kleinen DIN A6-förmigen, meist doch eher unästhetischen und halb verblassten Bild zu sehen, wie eigentlich so der Urlaubsort der anderen aussah. Nicht aus Neid – aus purer Neugier.
Die gute alte, geheimnisvolle Postkarte
Irgendwann wurden die Karten allerdings immer weniger – und heute kann ich mich überhaupt nicht daran erinnern, wann ich zuletzt selbst eine geschrieben habe. Mich beschleicht so das Gefühl – nennt mich verrückt –, dass wir mit dem Alter einfach faul und bequem und Anti-Handschrift werden. Soll man die kostbare Zeit wirklich mit Grüßen an andere verschwenden? Sich hinsetzen und nachdenken und Krämpfe in der Hand riskieren? Und dann muss man ja noch Karten, Marken und Briefkasten suchen, und eigentlich hat man ja die Adresse gar nicht, und eigentlich schreibt man ja doch überall nur denselben Mist drauf. Wozu also der ganze Aufwand? Reicht doch mittlerweile auch eine kurze WhatsApp-Nachricht an Mutti – bin gut angekommen, schön hier, hasta luego – und eine gut dokumentierte, semiprofessionelle Fotolovestory auf Instagram.
Dabei vermisse ich die gute alte Postkarte.
Einerseits, weil da meine Fantasie noch angeregt wurde und ich nicht jeden virtuellen Pups dreifach gefiltert aus dem All-inclusive-Urlaub mitbekam. Andererseits, weil diese Grüße irgendwie besonders und – weil vereinzelt – eben auch kostbar waren. Sie waren dieses kleine Lebenszeichen, das noch nicht zu viel verriet und später für genügend Gesprächsstoff sorgte. Zeit und Gedanken, die der Absender in einen investiert hatte und die mit ein paar Zeilen verewigt wurden. Ein Bild, das ein Stück durch die Welt gereist und irgendwann bei uns gelandet ist. Und das jetzt am Kühlschrank hängt. Und selbst wenn im Inneren gähnende Leere herrscht, sieht der damit wenigstens von außen nach einem Mix aus spanischer und griechischer Woche bei Lidl aus.
Back to the postcard roots
Als Mensch zwischen Tradition und Fortschritt nehme ich mir also fest vor: Ich will zukünftig wieder öfter Postkarten schreiben! Und das ohne großen Firlefanz, mit weniger Standardfloskeln und Abkürzungen, die meine für immer anhaltende Sympathie oder Liebe für diesen Menschen bekunden. Einfach nur, weil ich an ihn denke, weil er gerade ein bisschen Glück, Geduld oder ein paar nette Worte gebrauchen kann, weil mich die Reise irgendwie an ihn erinnert – oder schlicht und einfach, weil der langweilige, nackte, nach Urlaub schreiende Kühlschrank es eben gebrauchen kann.
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Bildquelle: Pexels unter CC0 Lizenz