Neid gibt’s auch in Männer-Freundschaften
Sonntagvormittag. Wir liegen auf Leons Couch und jammern. Denn auch nach einer Ibu600, die wir mit einem Konterbier runtergespült haben, geht es uns hundsmiserabel. Natürlich! Schließlich ist man ja keine 18 mehr und kann nach einer durchtanzen und vor allem wild durcheinander durchsoffenen Nacht um 8 schon wieder Mails checken, spazieren und frühstücken gewesen sein.
Stattdessen liegen wir rum wie gerade gestrandet, unfähig, uns zu bewegen, schauen Trash-Fernsehen und lassen die Nacht Revue passieren. Wir lachen über unser ungelenkes Tanzen im Club, reden darüber, dass Saskia mit Moritz geknutscht hat, obwohl sie sich eigentlich nicht mögen und sagen, dass das letzte Bier um 5 unnötig war. Und der Tequila hinterher sowieso. Wie immer. Irgendwann später kommt Alex, der immer seltener mit uns feiern geht. Er sieht aus, als käme er direkt aus einem Wellness-Bunker mit vitalen Magiern an einem geheimen Ort in den Alpen. Er wirft uns Croissants hin und ich muss alleine beim Gedanken an Essen die Augen schließen und mich konzentrieren, um meinen Magen zu beruhigen.
Plötzlich neidisch
„Was habt ihr denn?“, sagt Alex und wir schauen ihn an wie jemanden, den man am liebsten eine Klippe runter werfen würde, hätte man die nötige Kraft dazu. „Jetzt stellt euch mal nicht so an“, sagt er. „Ich war auch feiern gestern. Und ich sag’s euch: Ich hab‘ eine aufgerissen, der absolute Wahnsinn. Mindestens eine Acht. Wir haben uns gemeinsam den Sonnenaufgang angeschaut und sind dann zu ihr.“
Und da sind sie, mitten in die alkoholgeschwängerte Elendigkeit eines Sonntags hinein: drei Blicke, nicht länger als einen Wimpernschlag dauernd, die die Missgunst aufleuchten lassen wie das Bremslicht eines plötzlich stoppenden Autos. Dabei wissen wir, wie gerne Alex übertreibt. Dennoch sagen wir nicht: „Freut uns für dich“ oder „Wow! Habt ihr Nummern getauscht?“. Stattdessen sind wir missgünstig, obwohl wir beste Freunde sind. Wir gönnen ihm nicht, einen besseren Abend gehabt zu haben, weil er nicht bei uns dabei war, sondern mit seinen neuen Kollegen feiern war. Kurz: Wir, die Jungs, die sich immer rühmen, so unkomplizierte Freundschaften miteinander zu führen, sind neidisch.
Nicht anders als bei Frauen
Und das ständig! Wenn man darauf achtet, sind Jungs aufeinander in den verschiedensten Momenten neidisch. Fahren drei aus der Clique gemeinsam auf ein Festival: Neid. Macht einer sich ein Wochenende mit seiner Freundin: Neid. Bekommt einer eine Gehaltserhöhung: Neid. Bei Männern ist das zwar irgendwie ehrlicher als bei Frauen, denn man drückt dem anderen schon mal ein „Was?! Bei deinem gechillten Job bekommst du mehr Kohle?“ rein und haut ihm dann lachend und etwas zu feste auf die Schulter, weniger Missgunst als bei Frauen gibt es aber mitnichten.
Deswegen funktioniert unsere Freundschaft mit Alex auch nicht mehr so gut. Denn sein Rhythmus hat sich verändert. Während wir anderen drei mittwochs ausschlafen und den ganzen Tag in Jogginghose PlayStation spielen, ist Alex seit acht im Büro und hat abends ein Date, während wir uns, immer noch in Jogginghose, Bier von der Tanke holen, weil die näher als der nächste Supermarkt ist. Natürlich mögen wir ihn deshalb nicht weniger, aber wir sind neidisch, dass er scheinbar alles mühelos meistert. Wir fühlen uns im Stich gelassen von ihm, saß er doch vor ein paar Wochen noch mit uns zusammen und schrie das Haus zusammen, wenn er bei FIFA verlor. Dass er dafür zu Hause Netflix durchsuchtet, während wir Spätschicht in der Redaktion haben, sehen wir nicht, sondern: Jetzt müssen wir arbeiten und er lebt sein Leben. Er nutzt seine freie Zeit.
Beidseitige Gefühle
An einem Bar-Abend sprachen wir mit Alex darüber, um es nicht so groß werden zu lassen, dass es etwas kaputt machen kann. Er lachte und wir schauten ihn wahlweise irritiert an oder in unsere Biergläser. „Neid?“, sagte er schließlich. „Bullshit, Jungs! Was meint ihr denn, wie es mir geht, wenn ihr weiter donnerstags mit der Crew zum Pubquiz geht oder ich an einem unserer FIFA-Abende nicht dabei bin?“ Da lassen wir das Thema sein und trinken unser Bier aus, um weiter zu ziehen. Wie immer.
Seit zwei Wochen hat Alex eine Freundin. Über Silvester kommt er nicht mit uns nach Budapest, sondern fährt mit ihr in die Berge auf eine Hütte. Zu zweit werden sie Raclette essen und am Lagerfeuer sitzen und dann gemeinsam einschlafen, während wir in unsere schiefen Jugendherbergs-Betten klettern. Dennoch freue ich mich für ihn. Denn ich liebe ihn. Ganz manchmal aber springt mich noch dieses Gefühl von der Seite an. Dieser kurze Blick bahnt sich dann seinen Weg auf mein Gesicht. Und ich bin neidisch und kann rein gar nichts dagegen machen.
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Bildquelle: Jonas Weckschmied unter CC0 Lizenz